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Colofon
De deputatie: Herman Reynders, gouverneur
Marc Vandeput, Walter Cremers, Gilbert Van Baelen, Frank
Smeets, Jean-Paul Peuskens, Mieke Ramaekers, gedeputeerden
Renata Camps, provinciegriffier
Cover Image
Guido Schalenbourg, Gallo-Roman Museum
19th Century bronze statue of Ambiorix, central Market Place,
Tongeren
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….
Edition limited to 500 copies
Paper
….
ISBN
9789074605618
D/2012/5857/60
Atuatuca / Publications of the Gallo-Roman Museum
Tongeren,
Under the supervision of Guido Creemers
Kielenstraat 15 B-3700 Tongeren
Tel 0032 12 670330
e-mail: grm@limburg.be
http://www.galloromeinsmuseum.be
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part of the text or illustrations may be reproduced without
written permission of the publisher Any reproduction by any
means including photocopy, photographing microfilming,
taping, recording or otherwise is an offence liable to be punished by law
Tongeren, 2013
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Archaeological Contributions to
Materials and Immateriality
Edited by
G. Creemers
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Publications of the Gallo-Roman Museum
Tongeren, 2013
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Ein Bleibarren mit
Stempel des Tiberius
aus Tongern (Belgien)
Bode M., Borgers K., Hanel N., Raepsaet G., Raepsaet-Charlier M.-Th.,
Rothenhöfer P. & Vanderhoeven A.
– 22 –
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– 23 –
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Die Fundumstände des
tiberischen Bleibarrens
aus Tongern
K. Borgers & A. Vanderhoeven
Einleitung
Die Fundumstände des tiberischen Bleibarrens aus Tongern lassen sich unter drei
Gesichtspunkten zu untersuchen.
Zunächst stellt sich die Frage nach dem
Aussehen der römischen Stadt Tongern zur
Regierungszeit des Tiberius. Inwiefern wies
die einige Jahrzehnte zuvor gegründete
Hauptstadt der Civitas Tungrorum bereits ein
römisches Erscheinungsbild auf ?
In welchem Umfang war das Stadtgebiet
schon mit öffentlichen Gebäuden und
städtischen Wohnhäusern in römischer
Tradition ausgestattet? Ab wann führte man
die Steinbauweise ein?
Als nächstes müssen wir uns vor Augen
führen, wie das Stadtviertel aussah, in dem der
Bleibarren in den Boden gelangte. Gehörte die
unmittelbare Umgebung des Fundplatzes zu
einem öffentlichen oder privaten Bereich und
wurde dieser Teil der Stadt tatsächlich schon
1
benützt?
Zum Dritten sind Fundplatz und Fundkontext
genau zu betrachten. Hierbei wird deutlich,
dass sich der Bleibarren zwar einem genau
nachweisbaren Fundplatz zuordnen lässt,
doch ist es zweifelhaft, ob es sich hierbei um
den ursprünglichen Deponierungsort handelt.
Zu diesen drei Fragestellungen folgen nun
einige Überlegungen.
Die Stadt
Wir wissen nicht, wie das römische Tongern
aussah, als der Bleibarren in die Stadt
gelangte. Fest steht, dass das städtische
Straßennetz schon angelegt gewesen ist. Dies
muss während der Stadtgründung um 10 v.
Chr. geschehen sein1. Wir wissen bereits, dass
die ersten städtischen Wohnhäuser in
einheimischer Weise gebaut waren. In den
vergangenen Jahren sind an vier Stellen
In der betreffenden Zeit sind die Straßen Tongerns noch nicht befestigt gewesen. Man nimmt an, dass dies erst in
claudischer Zeit geschah (Vanderhoeven 1955; Vanvinckenroye 1985,35-36).
– 24 –
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Wohnstallhäuser des sogenannten Typs
Alphen- Ekeren entdeckt worden2. Sie datieren
in spätaugusteische und tiberische Zeit. An
der Kielenstraat, dem Bereich einer zentral
gelegenen Insula, konnte eine Gruppe von vier
Gebäuden nachgewiesen werden, wovon eines
in mehreren Merkmalen von der traditionellen
Bauform abweicht. Der Stallteil scheint zu
fehlen und außerdem sind zwei hölzerne
Kellereinbauten entlang der Außenwände
abgetieft worden. In Zusammenhang mit
einem auffälligen Fundensemble (einem
Bauopfer und einem Münzschatz) deutet dies
auf einen höheren Status der Bewohner
gegenüber denen der drei übrigen Wohnstallhäuser hin. An der Hondsstraat konnte ein
tiberisches Wohnstallhaus vom Typ AlphenEkeren ermittelt werden, das sich ebenfalls in
einer zentralen Insula befand. Am nördlichen
Rand der Stadt, an der Sacramentenstraat,
fanden sich Grundrisse zweier im zeitlichen
Ablauf aufeinander folgender Wohnstallhäuser. Das ältere datiert in die tiberischclaudische, das jüngere in die claudischneronische Periode. Schließlich nehmen wir
auch für die östliche Randzone des
Civitashauptortes, am heutigen Veemarkt, ein
weiteres Wohnstallhaus an, das einheimischen
Bauweisen folgt. Angesichts des jeweiligen
Abstandes der Gebäude zueinander, muss sich
das Areal des damals besiedelten Stadtgebietes
schon über viele Hektar erstreckt haben.
Möglicherweise haben in tiberischer Zeit
neben diesen einheimischen Wohnstallhäusern bereits Wohnhäuser mit römischmediterran beeinflussten Grundrissen und
ebensolcher Ausstattung bestanden. Vergleichbare Wohnhäuser kennen wir aus
2
3
4
5
6
7
8
9
anderen zentralen Orten Nordgalliens und
Niedergermaniens. Für Köln wird dies auch
schon aus den historischen Quellen
ersichtlich, die von einer Domus berichten, in
dem sich Germanicus und seine Familie in den
Jahren 14 n. Chr. und vermutlich auch 16 n.
Chr.
aufhielten3.
Außerdem
sind
archäologische Reste zum Vorschein
gekommen, die mit mehr oder weniger großer
Sicherheit
einer
römischen
Domus
zuzuschreiben sind4. Spuren früher, in
römisch-mediterranerer
Technik
und
römisch-mediterranem Stil ausgestatteter
Stadtwohnhäuser sind außerdem aus Trier
bekannt5. Gut erhaltene Reste einer
städtischen Wohnbebauung augusteischtiberischer Zeitstellung sind in Reims
ausgegraben
worden6.
Im
Oppidum
Batavorum zeigt das schon bekannte
Siedlungsmuster dann wieder längliche
„Streifenhäuser“ auf langgestreckten Parzellen,
die sich nicht klar in die römische Tradition
einfügen lassen7. Obwohl die Situation in
Xanten noch nicht geklärt ist, ist auch hier
anzunehmen, dass in der „vorcoloniazeitlichen
Siedlung“ streifenhausartige Gebäude auf
langgestreckten Parzellen standen8. Bis jetzt
sind im augusteisch- tiberischen Tongeren
weder städtische Wohnhäuser in römischmediterraner Bauweise noch Streifenhäuser
bekannt geworden, obwohl denkbar ist, dass
sich diese Wohnbauten bereits an exponierten
Stellen der Stadt befunden haben.
Wahrscheinlichste Fundstellen dieser Häuser
sind z. B. die Parzellen, die an die Hauptachsen
des Straßennetzes grenzen.
Wir dürfen auch annehmen, dass in der
tiberischen Zeit bereits öffentliche Gebäude
Vanderhoeven 1996, 2001 und 2007; Vanderhoeven u. a. 1992a, 1992b und 1993.
Tac., Ann. 1, 39, 3 und 12, 29, 1. Siehe auch Eck 2004, 112- 126, insbes. 117 und 123.
Gelegen vor dem Dom (Eck 2004, Fußnote 27, S. 752), unter dem späteren Praetorium (Haensch 1997,67). Es ist auch
für die Breite Straße gesichert (Thomas & Liesen 2004, 574- 586, 620-621, 665 und Abb. 10).
So an der Konstantinstrasse (Thomas 1995, 189 und Abb. 118, und Gothert 2003, 248 und 256, Fußnote 54 für die
genaue Fundstelle) und St. Irminen (Cüppers 1984a und 1984b).
„Quartier gallo-romain de la Rue de Venise“ (Rollet u. a. 2001, 48- 58), das “Maison de Maranus” Balmelle & Neiss
2003, 45, 48- 55, 58 und 78-79) und das “Maison au Mercure” (Balmelle & Neiss 2003, 70- 71). Siehe auch Balmelle &
Neiss 2003, 63.
Van Enckevort & Heirbaut 2010, 55-98.
Ein Gegenstand der Diskussion ist die Deutung von Siedlungsspuren, die jenen der Colonia Ulpia Traiana vorangingen. Entweder handelt es sich um eine Militäranlage mit militärischem vicus oder um einen zentralen Ort der
Cugerner (Lenz 2003; Precht 2008; Schalles 2008, 258- 263).
Eck 2004, 77-102.
– 25 –
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bestanden haben und diese zum Teil bereits in
Stein aufgeführt waren. Spuren solcher frühen
Gebäude und Monumente sind aus vielen
zentralen Orten im nordgallischen und
niedergermanischen Gebiet bekannt. In Köln
handelt es sich bei einem Turm aus massiven
Steinblöcken, einem Triumphbogen und die
berühmte Ara Ubiorum um Beispiele aus dem
öffentlichen Lebensbereich. Außerdem gibt es
Hinweise auf eine monumentale Grabarchitektur9. Aus Nimwegen ist die Göttersäule bekannt, die eventuell anlässlich des
Triumphes des Germanicus im Jahr 17 n. Chr.
für Kaiser Tiberius errichtet worden ist10. Aus
noch älterer Zeit erfahren wir von einem
Kenotaph für G. und L. Caesar und einem Altar
für Augustus und Roma aus Trier11, von einem
weiteren Kenotaph für G. und L. Caesar in
Reims12 und einem Denkmal aus Bavay, das zu
Ehren des Tiberius zwischen 4 und 14 n. Chr.,
also noch in der Regierungszeit des Augustus,
errichtet worden ist13.
Im Fall Tongeren fehlen hierfür bislang
eindeutige Beweise, obwohl 1995 am
Elisabethwal indirekte Hinweise auf frühen
Steinbau zutage getreten sind. Hierbei handelt
es sich um ein Säulenelement, das als Podest
für einen Pfosten in einem Pfostenloch
wiederverwendet worden war. Dieses Pfostenloch war Bestandteil einer Holzkonstruktion,
die beim Brand von 69/70 zerstört worden ist.
Die Erstverwendung der Säule muss daher in
das frühe erste Jahrhundert datiert werden. Da
es sich um ein Säulenelement handelt, ist
anzunehmen, dass es ursprünglich Bestandteil
10
11
12
13
14
15
16
17
eines öffentlichen Gebäudes oder einer reichen
in römisch- mediterraner Bauweise errichteten Stadtwohnung gewesen ist14.
Das Stadtviertel
In der Insula, wo man den Bleibarren fand (fig.
1), sind bis vor kurzem noch keine
archäologischen Untersuchungen durchgeführt worden. Dies änderte sich rasch, als an
der Vermeulenstraat drei Flächen ergraben
wurden. Anlass war die Anlage dreier
Tiefgaragen. Zwei Flächen, Vermeulestraat 115
und Vermeulenstraat 216 wurden durch das
Vlaams Institut voor het Onroerend Erfgoed
(Flämisches Amt für Denkmalpflege) untersucht, die Vermeulenstraat 317 durch eine
archäologische Projektgruppe im Auftrag der
Stadt Tongeren (fig. 2). Die letztgenannte
Grabung brachte den Bleibarren zum
Vorschein. Diese Ausgrabungen sind zurzeit
noch nicht ausgewertet, so dass nur eine
allgemeine Deutung der Grabungsergebnisse
möglich ist.
Die vorflavische Besiedlungsgeschichte des
Gebietes kann nur in begrenztem Umfang
rekonstruiert werden. Spuren dieser Epoche
wurden in späteren Zeitabschnitten größtenteils zerstört. Einzelne Gräben und kleine
Gräbchen lassen sich mit Sicherheit vorflavisch datieren. Stratigrafisch gesehen sind
es auf jeden Fall die ältesten Befunde. An der
Vermeulenstraat 1 handelt es sich hierbei um
einen nord- süd verlaufenden Graben mit einer
Tiefe von 0,50 m und einer Breite von 0,80 m
und einen in Ost- West Richtung verlaufenden
Deren Reste sind in sekundärer Niederlegung vorgefunden worden, so dass wir nicht sicher wissen, wo sie
ursprünglich im Gebiet von Nimwegen gestanden hat (Panhuysen 2002; Driessen 2007, 85-87). Der Raum Nimwegen
war als Standort verschiedener augusteischer Militärlager schon seit 12 v. Chr. durch Zeugnisse repräsentativer
Bautätigkeit und die dahinter stehenden Ideologie gekennzeichnet (Driessen 2007, 25-89).
Schwinden 2000; Breitner & Goethert 2008.
Neiss 1982; Vassileiou 1982.
Heurgon 1948. Zu den Gründen für die Errichtung dieses Denkmals gibt es unterschiedliche Auffassungen. Leman
(2001, 90) denkt an die Vollendung eines bedeutenden Teils des nordgallischen Straßennetzes, Carmelez (2001, 101)
stellt einen Zusammenhang mit dem Bau des Forums her und datiert die Errichtung des öffentlichen Teils des
Stadtzentrums ebenfalls in diese Zeit.
Vanderhoeven (im Druck).
Vanderhoeven & Vynckier 2008a, 2009 und 2010a.
Vanderhoeven & Vynckier 2008b, 2010a und 2010b.
Borgers u. a. 2008 und 2010; Borgers 2009.
– 26 –
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Fig. 1: Tongeren:
Einrichtung der
Grabungsfläche an der
Vermeulenstraat 1 - 3.
2
1
3
0
40 m
gemeentelijke jongens teekenschool ( 1867 )
0
1
2
3
4
7
8
9
10
5
6
10 m
– 27 –
Fig. 2: Tongeren:
Grabungsflächen an der
Vermeulenstraat 1 - 3.
1. Frührömische Graben; 2.
Gruben; 3. Pfostenlöcher; 4.
Frührömische Mauern; 5.
Frührömischer Estrich; 6.
Spätrömische Mauern; 7.
Spätrömischer Estrich; 8.
Herden und Öfen; 9. Kalk
Grube; 10. Fundstelle des
Bleibarrens.
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Graben mit einer Tiefe von 1 m und einer Breite
von 1,5 m der sich über eine Länge von 16 m
verfolgen lässt. An der Vermeulenstraat 2
finden sich drei Nord- Süd orientierte flache
Gräben mit leicht unregelmäßigem Verlauf. An
der Vermeulenstraat 3 sind keine Spuren von
alten Gräbchen und Gräben nachgewiesen
worden. Sowohl an der Vermeulenstraat 1 als
auch an der Vermeulenstraat 2 gefundene
Pfostenlöcher müssen zur vorflavischen
Holzbebauung gehört haben. Sie zeigen
allerdings zu wenig Strukturen, um hieraus
Grundrisse rekonstruieren zu können. Vieles
ist durch spätere Erdarbeiten verlorengegangen. Merkwürdigerweise sind an der
Vermeulenstraat 3 keine Pfostenlöcher
gefunden worden. Das könnte darauf hindeuten, dass dort in der vorflavischen Periode
keine oder nur wenige Gebäude standen.
Schließlich datieren zumindest einige Gruben
auf den drei Flächen vorflavisch. Auf welche
dieser Gruben dies zutrifft und aus welcher
Phase der vorflavischen Periode sie genau
stammen, wird erst aus einer genaueren
Bestimmung des Fundinventars deutlich
werden. Auf Höhe der Fundstelle des
Bleibarrens haben wir jedenfalls eine
tiberische Grube und eine einzige vorflavische
Aufschüttungslage nachweisen können18.
Auf den drei Flächen an der Vermeulenstraat
wird nahezu die gesamte Oberfläche von
Befunden der flavischen Zeit, des 2., 3. und 4.
Jahrhunderts eingenommen. Von einem Teil,
der an der Vermeulenstraat 1 und 2 gefundenen
Pfostenlöcher nehmen wir an, dass sie der
Holzbebauung aus dem letzten Viertel des
ersten Jahrhunderts, eventuell auch noch der
ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts
angehören. Danach kommen Steinbauten auf.
Eigentlich handelt es sich um Sockelmauern
mit in Holz- Lehm Bauweise ausgeführten
Aufbauten. An der Vermeulenstraat 2 fanden
sich ausgebrochene Mauerfundamente und
Böden eines großen städtischen Wohnhauses
aus dem 2. und 3. Jahrhundert. Das Gebäude
wies verschiedene Bauphasen auf. An der
Vermeulenstraat 1 und 3 kamen Reste eines
18
Siehe ‘Die Fundumstände’.
– 28 –
rechteckigen Gebäudes ohne weitere
Innengliederung gleicher Zeitstellung zum
Vorschein, von dem wir annehmen, dass es
sich um einen Wirtschaftsbetrieb handelt. An
der Westwand hatte sich eine ovale
Ziegelkonstruktion erhalten, die möglicherweise als Ofen gedient hat. Aus benachbarten
Gruben konnten Spuren handwerklicher
Betätigung dokumentiert werden: verschiedene kleine Öfen, Konzentrationen zersplitterter Rinderknochen, Abfall aus der Gewinnung
von Knochenmark und -öl, sowie von
Knochenfett und –leim und außerdem
Metallschlacken und Schmelztiegel. Sowohl
das Wohngebäude an der Vermeulenstraat 2 als
auch der Handwerkerbereich an der Vermeulenstraat 1 und 3 wurden im 3. Jahrhundert aufgegeben und sind nahezu planmäßig
abgebrochen worden.
Im 4. Jahrhundert standen zumindest zwei
unterschiedliche städtische Wohnhäuser an
dieser Stelle. An der östlichen Begrenzung der
Vermeulenstraat 2 kam gerade noch der
westliche Rand eines Gebäudeflügels zum
Vorschein, der mit einem Hypocaustum
beheizt worden ist. An der Vermeulenstraat 3
sind gut erhaltene Reste eines zweiten
städtischen Wohnhauses kartiert worden. Das
bemerkenswerteste Element stellt ein
viereckiger saalartiger Raum dar, der mit
einem Kanalhypocaustum geheizt wurde. Aus
der Schuttlage über dem Boden des Raumes ist
eine große Menge der Wandmalereien
geborgen worden. Zu erkennen war unter
anderem eine Erntedarstellung mit einer Villa
im Hintergrund. Die Buchstaben AVG(ustus)
verdeutlichen, dass es sich um die Darstellung
des gleichnamigen Monats handelt. Da sich
auch Fragmente mit der Buchstabenfolge
NOV(ember) erhalten haben, nehmen wir an,
dass verschiedene Monate des Jahres auf der
Innenwand des Saales abgebildet waren, der
einen bedeutenden, repräsentativen Trakt des
Wohngebäudes darstellte. Es ist nicht
bekannt, wann das römische Viertel an der
Vermeulenstraat letztendlich aufgegeben
worden ist.
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Fig. 3: Tongeren: Detail der
Grabungsfläche an der
Vermeulenstraat 3.
Da die Flächen an der Vermeulenstraat
während des Mittelalters im Bereich der
Gärten der Kanonikerhäuser an der
Maastrichterstraat lagen und unmittelbar an
die Stadtmauer des 13. Jahrhunderts grenzten,
sind beinahe keine Befunde oder Funde aus
dieser Periode zutage getreten. Nach dem
Abbruch der Stadtmauer aus dem 13.
Jahrhundert in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts, wurde 1866 die „Gemeentelijke
Jongens Teekenschool“ (Öffentliche Zeichenschule für Jungen) errichtet, in deren
Umgebung nun die drei Grabungsflächen der
Vermeulenstraat liegen.
Die Fundumstände
Wie bereits erwähnt wurde der Bleibarren auf
der Fläche an der Vermeulenstraat 3 gefunden.
Er lag in einem Schichtenpaket, dass eine
Grube bedeckte. Wir nehmen an, dass sich der
Barren nicht mehr in ursprünglicher Fundlage
befand (Fig. 3, 4 und 5).
Die Grube, Befund 845, hat einen ovalen
Grundriss, mit einer Größe von ca. 130 x 180 cm
und einer erhaltenen Tiefe von ca. 30 cm im
Westen und ca. 20 cm im Osten ( Fig.3 und 4).
Die Füllung besteht aus drei Schichten: eine
ca. 10 cm starke Schicht grauen Sandes mit
Holzkohlefragmenten, ein 10 bis 20 cm dickes
Paket gelbgrauen sandigen Lehms mit
Holzkohle und einer 10 bis 20 cm starken Lage
weißen Sandes mit Holzkohlefragmenten. In
der Füllung sind folgende Funde beobachtet
worden19.
845
1
2
3
4
5
6
0
1. 5 Randfragmente, 1 Wand- und 1 Bodenfragment einer Terra sigillata Tasse Typ
Dragendorff 25. Ware: südgallisch.
Stempel: ALBVS (das L steht auf dem
Kopf ): Albus aus La Graufesenque (Hartley
& Dickinson 2008, Albus i/Albus v).
Vergleiche konnten wir nicht finden.
Datierung: Albus i wird in die Periode 45 75 datiert, Albus v in die Periode 30 - 50.
Eventuell handelt es sich jedoch um einen
Töpfer, wodurch eine tiberische Datierung
des Stempels gut möglich ist (Hartley &
19
7
552
549
550
551
845
In den folgenden Fundkatalogen wurde für jedes Individuum eine Katalognummer vergeben.
– 29 –
1m
Fig. 4: Tongeren: Detail der
Grabungsfläche an der
Vermeulenstraat 3: 1: Grube
845; 2: Schicht 551; 3: Schicht
549; 4:Schicht 552; 5: Schicht
550; 6: spätere römische
Gruben und Baubefunde; 7:
Bleibarren.
Fig. 5: Tongeren,
Vermeulenstraat 3:
Stratigrafische Situation
van Grube 845 und der
Schichten 549, 550, 551und
552.
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Fig. 6: Tongeren,
Vermeulenstraat 3:
Funde aus Grube 845.
Maßstab 1/3.
1
8
2
9
10
3
11
15
6
15
Dickinson 2008, 144 - 149 und 153).
Dragendorff 25 wird etwa nach 40 nicht
mehr produziert (Polack 2000, 117). Fig. 6: 1.
2. 3 Randfragmente einer Terra sigillata Tasse
Typ Dragendorff 27. Ware: südgallisch.
Stempel: SCOT F (das F steht auf dem
Kopf ): Scotius aus La Graufesenque (Polak
1995, S45). Datierung: ca. 25 - 50. Fig. 6:2.
3. 6 Rand- und 4 Wandfragmente eines Terra
rubra Bechers Typ Deru 1996, P17. Ware:
nördlich. Verziert mit Kerbbanddekor.
Datierung: -25/20 - 40/45. Fig. 6:3.
– 30 –
4. Wandfragment aus Terra rubra. Ware:
nördlich.
5. Wandfragment aus Terra rubra. Machart:
nördlich.
6. 3 Wandfragmente und Bodenfragment aus
Terra nigra. Ware: nördlich. Anpassung an
Katalognr. 4 aus Schicht 552. Fig. 6:6.
7. Wandfragment aus Terra nigra. Ware:
nördlich.
8. 10 Wand-, 2 Randfragmente und 1 Boden-
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Fig. 7: Tongeren,
Vermeulenstraat 3: Funde
aus Schicht 551. Maßstab 1/3.
1: Maßstab 1/6; 2 & 4
(Verzierung): Maßstab 1/2.
1
2
fragment eines rauhwandigen Topfes Typ
Stuart 1962, 201A/Höpken 2005, R18. Ware:
granular grey. Datierung: ca. 20 - 120
(Anderson 1981; Höpken 2005, 123 - 124;
Brulet u.a. 2010, 305- 306). Anpassung an
Katalognr. 5 aus Schicht 552. Fig. 6: 8.
9. Rand- und Wandfragment eines rauhwandigen Topfes Typ Stuart 1962, 201A/Höpken
2005, R18. Ware: granular grey. Datierung: ca.
20 – 120 (Anderson 1981; Höpken 2005, 123 124; Brulet u. a. 2010, 305 306). Fig. 6: 9.
10. Rand- und Wandfragment rauwandiger
Ware eines Topfes Typ Stuart 1962
201A/Höpken 2005, R18. Machart:
blaugrauer Ton, rauhwandig. Datierung:
ca. 20 – 120 (Anderson 1981; Höpken 2005,
123- 124; Brulet u. a. 2010, 305 306). Fig. 6: 9.
4
17. Feuersteinabschlag. Datierung: vorgeschichtlich.
Befund 845 wird von einem Paket von vier
Schichten mit einer Gesamtstärke von einigen
Dutzenden Zentimetern abgedeckt. Diese
Schichten (Nr. 549, 550, 551 und 552) dehnen sich
unregelmäßig über eine Oberfläche von etwa
Dutzend Quadratmetern übereinander aus und
werden an allen Seiten durch jüngere Gruben
und Baubefunde geschnitten (Fig. 4 und 5).
Schicht 551 setzt sich aus gelbbraunem
sandigem Lehm mit weißen Einschlüssen
zusammen und enthält Holzkohle, Stücke
verbrannten Lehms und Dachziegelgrus. Aus
der Schicht wurden folgende Funde geborgen:
1. Der Bleibarren mit Aufschrift. Fig. 7: 1.
11. 9 Wand- und 8 Bodenfragmente eines
Doliums. Fig. 6: 11.
12. Wandfragment eines Doliums.
13. Wandfragment eines Doliums.
14. Wandfragment eines Doliums.
15. Randfragment und 2 Wandfragmente eines
Halterner Kochtopfes Typ Vanvinckenroye
1991, Nr. 34 - 39. Datierung: ca. 1 - 120
(Vanvinckenroye 1991, 18 - 20). Fig. 6: 15.
16. Fragment eines sekundär verbrannten
Imbrex.
2. Randfragment einer Terra sigillata
Schüssel Typ Dragendorff 29. Ware:
südgallisch.
Obere
Zone
mit
durchlaufendem Rankenfries wie Hermet
(1934, pl. 40,24), mit viergliedrigen
Rankenknoten und abwechselnd nach
oben und nach unten orientierten Paren
von Efeublättchen. Vergl. Dannel u. a. 2003,
S- T, Taf. G1 und G2 (Senicio) und Dannel u.
a. 2003, M. 1, Taf. G4 und G8 (Melainus).
Datierung: ca. 30 - 80. Fig. 7: 2.
3. Wandfragment einer Terra sigillata Tasse
Typ Ha. 8. Ware: italisch. Datierung: ca. -15
- 25 (Hanut 2004, 172, 183 und 188).
– 31 –
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Fig. 8: Tongeren,
Vermeulenstraat 3: Funde
aus Schicht 549. Maßstab
1/3.
1. Fragment eines bleiernen Gegenstandes.
2. Wandfragment aus Terra nigra.
5
3. 2 Wandfragmente glattwandiger Keramik.
Ware: Köln.
4. Wandfragment glattwandiger Keramik.
6
5. Bodenfragment eines Mortariums. Ware:
Grob gemagert. Datierung: ca. 20 - 120
(Vanvinckenroye 1991, 72; Willems 2005,
46-49). Fig. 8: 5.
11
6. Randfragment eines Doliums. Fig. 8: 6.
4. Wandfragment eines Terra rubra Bechers.
Ware: nördlich. Fig. 7: 4.
7. Wandfragment eines Doliums.
8. Wandfragment eines Doliums.
5. Wandfragment einer Terra nigra Scherbe.
Ware: nördlich.
6. Wandfragment eines engobierten Bechers
Typ Stuart 1961, 1/Höpken 2005, E15. Ware:
Köln.
Technik
a.
Verziert
mit
Körnchendekor. Datierung ca. 60 - 120
(Höpken 2005, 74).
7. 2 Wandfragmente glattwandiger Keramik.
Ware: Maasländisch weiß.
8. Bodenfragment glattwandiger Keramik.
Ware: Maasländisch weiß.
9. Wandfragment eines Deckels aus rauhwandiger Keramik. Ware: Maasländisch
weiß.
10. Wandfragment
einer
Amphore,
möglicherweise Typ Ha. 70. Datierung: ca. 50 – 50. (Peacock & Williams 1986, 115-116,
class 15; Martin-Kilcher 1994a, 388).
Schicht 549 ist ein Paket graubraunen
sandigen Lehms mit grünen Einschlüssen. Sie
enthält Holzkohle, Stücke verbrannten Lehms
und etwas Mörtel und Kalk. Außerdem wurden
folgende Funde aufgesammelt:
– 32 –
9. Wandfragment einer Amphore Typ D 7/11.
Datierung: ca. 1 - 100 (Peackock & Williams
1986, 117-119, class 16 ; Martin-Kilcher
1994a, 399).
10. Wandfragment einer Amphore Typ D 2/4.
Ware: Tarragona, Datierung: ca. -25 - 100
(Raynaud 1993; Martin-Kilcher 1994a, 340341 und 1994b, 670 Farbtafel C, 28a und b;
Tomber & Dore 1998, 91 und Pl.67).
11. Randfragment eines Halterner Kochtopfes
Typ Vanvinckenroye 1991, Nr. 31-33.
Datierung: ca. 1 - 100 (Vanvinckenroye 1991,
18). Fig. 8: 11.
Schicht 552 besteht aus grauem Sand mit
gelben Einschlüssen. Sie enthält Holzkohle
und folgende Funde:
1. Fragment geschmolzenes Blei.
2. Bodenfragment eines Terra rubra Tellers.
Ware: Champagne.
3. Wandfragment aus Terra rubra. Ware:
nördlich.
Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 33
4
4. Bodenfragment aus Terra nigra. Ware:
nördlich. Gehört zu Katalognr. 6 von
Befund 845. Fig. 9: 4.
5. Wandfragment rauhwandiger Keramik.
Ware: granular grey. Datierung: ca. 20 - 120.
Gehört zu Katalognr. 8 von Befund 845.
6. Wandfragment einer Amphore Typ G4.
Schicht 550 ist ein in seiner Ausdehnung stark
eingeschränktes Paket grüngrauen Sandes mit
etwas Holzkohle und zwei Funden:
1. Randfragment einer Schüssel aus
rauhwandiger Keramik Typ Stuart 1962, 210.
Ware: nicht näher zu bestimmen, reduzierend
gebrannt mit zahlreichen graubraunen,
kantigen Quarzkörnchen (> 1 mm).
2. Randfragment eines Halterner Kochtopfes
Typ Vanvinckenroye 1991, Nr. 31- 33. Datierung:
ca. 1 - 100 (Vanvinckenroye 1991, 18). Fig. 10: 2.
2
Einige Merkmale von Grube 845 sprechen
dafür, diesen Befund in die tiberischclaudische Periode zu datieren. Zum einen
tieft die ovale Grube in den gewachsenen
Boden ein. Sie schneidet weder eine römische
Aufschüttung noch einen anderen Befund.
Zum anderen besteht die Füllung
ausschließlich aus tertiärem Sand, dem
Material, das sich zur Zeit der Stadtgründung
von Natur aus an der Oberfläche befunden hat.
Schließlich beinhaltete die Grube einen
20
Feuersteinabschlag. Artefakte aus Feuerstein
und Fragmente handgeformter vorgeschichtlicher Keramik kommen in einer mehr
oder minder großen Häufung im nördlichen
Teil des römerzeitlichen Stadtgebiets von
Tongeren vor, wo der natürliche Untergrund
nicht aus Löss sondern tertiärem Sand
zusammengesetzt ist. Die ersten Bewohner des
antiken Tongeren haben dann diese
vorrömischen Reste beinahe vollständig
überbaut, so dass die ältesten Befunde aus der
römischen Stadt regelmäßig vorgeschichtliches Material aufweisen20. Die weiteren
Funde verdeutlichen zusätzlich, dass der
Befund nicht zur frühesten Phase der
römischen Siedlung gezählt werden kann,
sondern in eine etwas jüngere Periode zu
datieren ist, nämlich der tiberischclaudischen Zeit.
Wie bereits festgestellt, wurde die Grube
durch ein Aufschüttungspaket abgedeckt, in
dem sich vier Schichten unterscheiden ließen
(Fig. 4 und 5). Diese lassen sich anhand der in
ihnen enthaltenen Funde in die claudischneronische Periode stellen. Sie belegen die
Planierung und/oder Aufhöhung des
Geländes, die nach der
Abtiefung und Wiederverfüllung von Grube 825 stattgefunden haben muss.
Eventuell geschah dies, um
diesen Bereich zur Überbauung
vorzubereiten. Diese Besiedlung, von der weiter nichts bekannt ist,
scheint durch den Brand von 69/70 beendet
worden zu sein. Die charakteristische
Brandschicht, die traditionell mit dem
Bataveraufstand in Verbindung gebracht wird,
ist allerdings nirgendwo nachgewiesen
worden, vermutlich weil wir uns weder
innerhalb noch in der Umgebung eines
vorflavischen Gebäudes bewegen. Wo das in
Tongeren der Fall ist, finden wir beinahe
immer eine charakteristische rot gefärbte
Brandschicht, die sich aus Bruchstücken
Bisher liegen Meldungen über vorgeschichtliches Fundmaterial von der Grabung am Elfde Novemberwal (Vynckier
u. a. 1994 und 1995; Machiels & Wyns 2010, 39; Borgers u. a 2009, 1), von der Ecke Pliniuswal und Bilzersteenweg (De
Winter 2009, 10 - 11 und Beilage 9; De Winter & Driessen 2010, 132 - 133) und nun auch von der Vermeulenstraat
(Borgers u. a. 2008, 20 und 22; Vanderhoeven & Vynckier 2009, 375 und 2010a, 148) vor.
– 33 –
Fig. 9: Tongeren,
Vermeulenstraat 3: Funde
aus Schicht 552. Maßstab 1/3.
Fig. 10: Tongeren,
Vermeulenstraat 3: Funde
aus Schicht 550. Maßstab
1/3.
Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 34
verbrannter Lehmwand zusammensetzt.
In der untersten der vier Aufhöhungs- und
Planierungsschichten, Befund 551, wurde der
Bleibarren zuerst beobachtet (fig. 4 und 5). Er
lag mit seiner beschrifteten Seite nach unten.
Einige Scherben aus der auf der Schicht 551
(und 549) liegenden Schicht 552 gehören zu
Gefäßen, von denen bereits Teile in der
zuunterst liegenden Grube 845 beobachtet
wurden. Es handelt sich dabei um einen Terra
nigra Boden (Katalognr. 6 von Grube 845 und
Katalognr. 4 von Schicht 552) und einen Topf
vom Typ Stuart 201A in rauhwandige Ware
(Katalognr. 8 aus Grube 845 und Katalognr. 5
von Schicht 552). Während der Aufhöhungsund Planierungsarbeiten, in deren Folge
nacheinander die Schichten 551, 549, 552 und
550 entstanden sind, muss infolge der
Arbeiten Grube 845 angeschnitten worden
sein. Obwohl der Bleibarren aus Schicht 551
nicht unmittelbar über der Grube 845
gefunden wurde, müssen wir doch in
Erwägung ziehen, dass dieser, ebenso wie dies
für die oben erwähnten Scherben aus Schicht
552 zutrifft, aus der älteren Grube stammt.
Es fällt auf, dass sich der Gegenstand aus Blei
unbeschädigt erhalten hat und in diesem
Zustand in den Boden gekommen ist. Das
könnte auf eine intentionelle Deponierung
hindeuten. An den weiteren Funden aus Grube
845 fällt auf, dass die zwei Terra sigillata
Tassen ebenfalls fast vollständig erhalten
geblieben sind. Diese Beobachtungen
sprechen dafür, einen Teil der Funde aus Grube
845, einschließlich des Bleibarrens, als eine
rituelle Deponierung zu klassifizieren.
Darüber hinaus scheint sich hinter dem
übrigen Fundinventar auch zum Teil normaler
Haushaltsabfall zu verbergen.
Schluss
Angesichts der Fundumstände des Bleibarrens
ist anzunehmen, dass der Gegenstand in die
Civitashauptstadt der Tungrer gelangt ist, als
21
diese sich bereits voll ausgedehnt hatte. Die
Stadt ist ein knappes halbes Jahrhundert
vorher, ungefähr 10 v. Chr. durch die römische
Verwaltung gegründet worden, wobei das
Militär eventuell für das hierfür notwendige
technische Knowhow und die Arbeitskräfte
gesorgt hat. Wir wissen mittlerweile, dass die
einheimische Bevölkerung die Siedlungsparzellen in Besitz nahm und dort Wohnstallhäuser errichtete, die die eisenzeitlichen
Bautraditionen fortführten. Möglicherweise
entstand, wie in den benachbarten Civitashauptstädten, in den frühen Phasen an herausgehobenen Stellen der Stadt eine stärker
romanisierte städtische Wohnbebauung, von
der jedoch zurzeit noch jede Spur fehlt. Mit
großer Sicherheit befanden sich dort aber
schon öffentliche Gebäude, die zumindest in
Teilen schon in Stein aufgeführt waren. Die
auf der Fläche am Elisabethwal gefundene
Säulentrommel gibt möglicherweise hiervon
Zeugnis.
Ebenso wie in anderen nordgallischen und
niedergermanischen Städten müssen sich
auch in Tongern zu Anfang der Gründung
bereits
umfangreiche
Bauaktivitäten
entwickelt haben. Diese erstreckten sich über
mehrere Jahrzehnte21. Wir nehmen an, dass
hierbei auch Blei verarbeitet worden ist, und
der tiberische Rohstoffbarren zu diesem
Zweck nach Tongern gelangte. Aus dem ein
oder anderen Grund ist der an der
Vermeulenstraat gefundene Barren jedoch
nicht verarbeitet, sondern in der rundovalen
Grube 845 vergraben worden. Später entfernte
man ihn während der claudischen oder
neronischen Terrassierungsmaßnahmen aus
seinem ursprünglichen Zusammenhang und
er gelangte in die vorflavische Aufhöhungslage 551. Hierbei ist unklar, ob der Barren
unbemerkt umgelagert wurde, oder erneut
niedergelegt worden ist. Es scheint unwahrscheinlich zu sein, dass die Erbauer der
Terrasse, beim Anschneiden des Bleibarrens
Der Eindruck einer Stagnation in der tiberischen Periode ist eventuell auf das Fehlen einer guten archäologischen
Dokumentation für die frühen Phasen zurückzuführen (Coquelet 2011, 216 - 217).
– 34 –
Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 35
dieses Objekt unbemerkt umgelagert haben.
So ein schwerer Gegenstand kann unmöglich
übersehen werden. Die Terrassierung hatte
vielleicht den Zweck, den Baugrund für die
Besiedelung vorzubereiten. Möglicherweise
geschah dies zum ersten Mal und der Bereich
hatte zur Zeit der ersten Deponierung des
Barren noch brach gelegen. Die Erinnerung an
die halbrunde Grube mit dem darin
verborgenen Gegenstand scheint zu diesem
Zeitpunkt bereits verloren gegangen zu sein.
Weil der Barren intakt gelassen wurde und
zusammen mit einer unbekannten Anzahl
wenn auch nicht unbeschädigter, so doch
vollständiger Gegenstände in der rundovalen
Grube vergraben wurde, gehen wir von einer
rituellen Deponierung aus. So ist schwer
vorstellbar, dass ein dermaßen schwerer
Gegenstand, der immerhin eine große Menge
wertvollen Baumaterials darstellt, unbewusst
verloren gegangen sein soll. Schwerer zu
deuten ist die Tatsache, dass auch die
Hersteller der Aufschüttungslage den
Gegenstand nicht beeinträchtigten. Hatte man
sich bei der (Wieder)entdeckung der
ursprünglichen Bedeutung des Objektes
erinnert und es erneut niedergelegt? Es ist
jedenfalls auffällig, dass der Barren während
der Grabung haargenau mit dem Text nach
unten vorgefunden wurde, was den Eindruck
einer sorgfältigen (Neu)deponierung erweckt.
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Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 38
Der in Tongern aufgefundene
Bleibarren mit dem Namen des
Kaisers Tiberius
Marie-Thérèse Raepsaet-Charlier & Georges Raepsaet
Beschreibung, Lesung & Übersetzung:
Der Bleibarren hat die Form eines Trapezes; er ist 53,3 cm lang, 4 bis 5 cm hoch, 6,5 cm breit
(oben) sowie 9,5/9,8 cm breit (unten), sein Gewicht beträgt 17, 970 kg (fig. 1)1.
Auf der Oberseite trägt der Barren eine bei dem Gussvorgang in die Barrenform eingeprägte
Inschrift, die in eine Kartusche eingepasst ist. Die Inschrift besteht aus sehr sorgfältig
ausgeführten Majuskeln; zwischen den einzelnen Worten stehen Trennpunkte. Die Versalhöhe
der Buchstaben variiert von 3,0 bis zu 3,6 mm.
IMP(eratoris)° TI(berii) CAESARIS° AVG(usti) (plumbum)° GERM(anicum)° TEC(-)
Eigentum des Kaisers Tiberius Caesar Augustus, germanisches Blei, TEC(-).
Datierung: Regierungszeit des römischen Kaisers Tiberius: 14-37 nach Christus.
Fig. 1
Zeichnung und Photo des
Barrens aus Tongern
– 38 –
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Interpretation
Die Eigentumsmarke trägt den Namen des
Kaisers, was auf eine offizielle Produktion des
römischen Staates hinweist. Es bestehen
sicher Varianten bei den Organisationsmodalitäten dieser Herstellung, aber der
Umstand, dass der Name des Kaisers in der
Gussform eingebracht ist und nicht durch
Ritzung nachträglich auftragen wurde oder
durch spätere Prägung, zeigt den kaiserlichen
Besitz schon ab dem Guss des Barrens und
somit ab der Gruben-Gewinnung2.
Das Wort GERM() darf nicht als Beinamen des
Kaisers interpretiert werden, der diesen cognomen ex virtute niemals getragen hat, sondern,
den Barren aus Großbritannien gleich, als ein
Hinweis auf den geographischen Ursprung
des Metalls. Tatsächlich charakterisieren die
in der Provinz Britannia hergestellten und dort
aufgefundenen Barren das Metall oft als
Brit(annicum plumbum): So kann man zum
Beispiel Vespasian - Besitzstempel anführen
(RIB 2404.4 -2404.13); bei Letzteren ist die
Abkürzung BRIT in die Kartusche eingegossen
wie bei dem Bleibarren aus Tongern. GERM
muss also auf eine germanische Produktion
verweisen, wie dies auch ein anderer, den
Namen des Kaisers Augustus tragender Barren
belegt, der in einem Wrack entdeckt wurde
(siehe unten).
Das Wort TEC() ist schwerer zu interpretieren.
Man könnte an T() E() C() denken, drei getrennte Buchstaben, die den Namen des im Dienste
des Kaisers stehenden Grubenverwalters oder
Pächters in Form einer Abkürzung wiedergeben. Die römischen Namen enthalten in der
Tat drei Bestandteile, die tria nomina, mit dem
praenomen (hier also Titus), dem nomen gentile
(der mit E beginnen könnte, zum Beispiel
Eggius oder Ennius oder Egrilius; man beachte, dass die mit E beginnenden Familiennamen
selten sind) sowie dem Beinamen, dem cognomen (das hier mit C beginnt, daher eröffnen
sich unzählige Benennungsmöglichkeiten).
1
2
Barren aus germanischem Blei geben manchmal den Namen des Herstellers an, wie man
noch sehen wird, allerdings in unterschiedlicher Form.
Weiterhin wird man vielleicht einwenden,
dass die drei Buchstaben TEC nicht durch
Punkte getrennt sind, was die Vermutung
nahe legt, dass diese Buchstaben eher zu
einem einzigen Wort gehören.
Eine andere Interpretation ergibt sich durch
bestimmte Barren aus Großbritannien, die
inner- oder außerhalb der Kartusche eine
Angabe zum Herstellungsort tragen. Diese
Standorte können identifizierbar sein oder
auch nicht.
Besonders interessant sind die aus der vespasianischen
Herstellung
stammenden
Beispiele: So weist ein Barrentypus in der
Kartusche, also bei dem in der Grube eingegossenen Stempel, die Inschrift Brit(annicum) ex
arg(entariis) (RIB 2404.13) auf. An einigen
Barren findet sich die Inschrift ex arg(entariis)
VEB(-) an einer seitlichen Markierung, die
ebenfalls in der Gussform eingebracht war
(RIB 2404. 4-10). Der Betrieb lag in den Händen
einer societas, die auf einigen Barren an anderer
Stelle durch einen Prägestempel ausgewiesen
wird: soc(iorum) Novaec(-). VEB(-) verweist also
nicht auf einen Personennamen, sondern ist
eher als geografisches Indiz zu verstehen;
denkbar ist ein Herstellungsort im
Bergwerksbezirk der Mendips (Somerset).
TEC(-) könnte daher als Abkürzung für den
Herstellungsbezirk verstanden werden.
Das Blei dieses Barrens wurde von Dr. Michael
Bode im Labor der Universität Münster
Isotopenanalysen unterzogen. Die Ergebnisse
geben Hinweise auf die jeweiligen Zonen, in
denen dieses Blei eventuell hergestellt werden
konnte oder auch nicht. (Verweis auf das technische Kapitel)
Das Ergebnis für den Barren lässt zwei
Interpretationsmöglichkeiten zu: Entweder
handelt es sich um die Standorte in der
Nordeifel oder um die Gegend um Brilon im
Für die Illustrationen danken wir Guido Schalenbourg (Gallo-Römisches Museum) und André Dettloff (OE).
Sehe auch: Raepsaet-Charlier 2011.
– 39 –
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Sauerland. Die Gegend um Brilon3 zeigt
Spuren römischen Bergbaus zur Zeit des
Kaisers Augustus, aber sie liegt rechtsrheinisch, in einem Gebiet, das von den Römern
ausschließlich zwischen 12 vor Christus, dem
ersten Jahr der Eroberung durch Drusus, und 9
nach Christus, als Varus die Schlacht im
Teutoburger Wald (bei Kalkriese) verlor, unterworfen, verwaltet und erschlossen wurde, also
zur Zeit der Provinz Germanien4. Ab dem Jahr
9 wird die Provinz jenseits des Rheines aufgegeben und es ist undenkbar, dass Kaiser
Tiberius Gruben in dieser rechtsrheinischen
Zone besessen und dort Abbau betrieben
haben könnte. Spuren römischer Anwesenheit
haben die Zeiten überdauert, Händler waren in
der Germania libera unterwegs, aber der offizielle Bergwerksbetrieb ist zu dieser Zeit beendet: An diesem historischen Sachverhalt
besteht kein Zweifel. Zum Zeitpunkt des
Todes von Augustus haben sich die Römer
bereits seit mehreren Jahren völlig hinter die
Rheinlinie zurückgezogen5.
In der Eifel sind mehrere Bergwerke lokalisiert
worden; sie geben Zeugnis von der
Erzförderung zu römischer Zeit6.
So ist in Mechernich ein Bleigewicht der von
Fig. 2
Buchstaben mit TEC
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
43 bis 70 n. Chr. am Rhein stationierten XVI.
Legion (AE 2006, 867) aufgefunden worden7.
Weiterhin stammen im Moseltal zwischen
Trier und Koblenz, genauer in St. Aldegund
(Lkr. Cochem-Zell), aufgefundene Bleibarren8,
von denen einer Prägestempel des Kaisers
Valentinian III. (425-455) trägt, ebenfalls aus
den Bergwerken der Nordeifel, entweder aus
Mechernich oder aus Stolberg, was auf eine
über die ganze römische Zeit hin bestehende
Ausbeutung dieser Vorkommen hindeutet.
Bei genauer Betrachtung der archäologischen
Karte der Herstellungsregion um Mechernich
stellt man fest, dass sich in unmittelbarer
Nähe von Mechernich die Standorte Floisdorf,
Soller und Boich befinden:
An diesen drei Orten wurden sog. „topischen“
Gottheiten geweihte Altäre entdeckt, wobei
diese Bezeichnung darauf verweist, dass diese
Gottheiten den Namen der Gegend oder des
Ortes tragen, an denen sie verehrt wurden9;
diese Göttinnen heißen Matronae Textumehae
(CIL XIII 7849, 7899 und Schillinger-Häfele 146)
und sind ausnahmslos in diesem Gebiet10 rund
um den antiken Siedlungsbereich Zülpich
belegt.
Die sprachwissenschaftliche Untersuchung
dieser als germanisch11 identifizierten
Bezeichnung Tech + tum + Suffix ehae verweist
auf die indoeuropäische Wurzel deks/texs, wie
sie auch einerseits im keltischen12 Tecto- so z.B.
im Namen der Tectosagen13, in der curia der
Textoverdi (RIB 1695) und im germanischen
techs „rechts, südlich“14 andererseits erscheint.
Daher kann man die Hypothese aufstellen,
dass die Buchstaben TEC (fig. 2) am Ende des
Bleibarrenstempels aus Tongern auf den
Rothenhöfer 2003; Hanel & Rothenhöfer 2005.
In Bezug auf die Gründung, Hauptstadt und Organisation der Provinz Germanien siehe: Eck & von Hesberg 2003;
Eck 2004 a; 2004b 63-126; 2007 9-32.
Siehe dazu z.B.: Tacitus, Annalen, I, 31; vgl. Cassius Dio LVI, 23-25 bezüglich der Jahre 9-11. Zur einheimischen
Produktion siehe: Melzer & Capelle 2007.
Rothenhöfer 2005, 88-90.
von Petrikovits 1960, 68; Horn 1987, 154-156; Rothenhöfer 2005, 88-90.
Rothenhöfer 2007.
Vgl. Spickermann 2002, 145-146; Spickermann 2009, 356-357.
Spickermann 2008, 295.
Gutenbrunner 1936, 169; Neumann 1987, 109 ; Reichert 1987, 659.
Delamarre 2003, 294.
Evans 1967, 265-266.
Pokorny 1959, 190.
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Herstellungsbereich Mechernich hinweisen,
was aufgrund der Isotopenanalysen möglich
wäre, und dessen Name nach den ihn schützenden Matronen, den Matronae Textumehae,
rekonstruiert werden könnte15.
Plumbum Germanicum – Barren aus
augusteisch-tiberischer Zeit
Die im Mittelmeer geborgenen Schiffswracks
haben uns eine beträchtliche Zahl epigrafischer Informationen über das germanische
Blei geliefert; aus ihnen geht hervor, dass das
Blei nicht nur in der Herstellungsregion verwendet, sondern auch in das Imperium exportiert wurde. Diese Informationen können mit
lokalen Funden verglichen werden. Die
Interpretation dieser schriftlichen Zeugnisse
kann sich dabei auf Isotopenanalysen aus den
letzten Jahren stützen, bei denen sich zwei
große, auch in archäologischer Hinsicht anerkannte Produktionsgebiete herausgestellt
haben. So zum einen die Eifel, aus der das Blei
des in Tongern aufgefundenen Barrens
stammt. Zum anderen die Gegend um das sauerländische Brilon16, die Spuren römischen
Bergbaus zur Zeit von Augustus aufweist:
Diese Gegend befindet sich auf der rechten
Rheinseite, in einem Gebiet, das die Römer
nach der clades Variana aufgaben; die
Produktion wurde anschließend linksrheinisch weitergeführt.
1° Das Wrack von Rena Maiore vor Sardinien17
liefert zwei interessante Inschriften auf unterschiedlichen Barren:
a) Augusti Caesaris (plumbum) Germanicum
(AE 2000, 653)18
„germanisches Blei, Eigentum des
Kaisers Augustus Caesar“
Auf einigen Barren befinden sich außerdem
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
Gegenstempel:
- L. Val(erius) Ruf(us)19 (AE 2002, 636a) auf der
Langseite, teilweise zwei- oder dreimal aufgedruckt;
- CHI könnte die auf den Schmalseiten aufgeprägte Abkürzung des Namens Chilon20 (AE
2002, 636b) sein;
- IMP(eratoris)21 (AE 2002, 636c).
b) Pudentis (plumbum) Germ(anicum) (AE
2002, 636d)22
„germanisches Blei, (Herstellung?)
durch Pudens,
ebenfalls versehen mit dem Gegenstempel
CHI (AE 2002, 636e)23.
Anzumerken ist, dass die Zeichen des Kaisers
Augustus in eine Kartusche gegossen, die von
Pudens hingegen mit einem Stempel geprägt
sind. Die vollständig ausgeschriebene Angabe
Germanicum belegt deutlich, dass alle anderen
früher angeführten Lesarten für die auf Barren
vorhandenen Abkürzungen Ger oder Germ
falsch sind.
Die Gegenstempel bedeuten, dass andere
Personen, deren Rolle aber schwer einzuschätzen ist, beteiligt waren: An der Herstellung?
Oder am Transport oder am Vertrieb?
2° Dieses Zeichen lässt sich vergleichen mit
der unvollständigen Prägung, die in Brilon24,
einem Bergbaugebiet des Sauerlandes, entdeckt wurde:
]Pudent[is (AE 2005, 1099)
Die Analysen zeigen, dass dieses Blei auf keinen Fall aus Spanien oder Britannien stammen
kann, eine Herstellung im Sauerland hingegen
möglich ist. Zu lesen ist der Name des Kaisers
Augustus sowie der eines Herstellers, Pudens.
Dieser einzige Name könnte auf einen kaiserlichen Beamten, einen Sklaven oder einen
Freigelassenen hindeuten; es kann allerdings
nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um
Eine neue Interpretation (Belgien) gibt Raepsaet-Charlier 2011.
Rothenhöfer 2003; Hanel & Rothenhöfer 2005.
Ruggeri 2000, Riccardi & Genovesi 2002.
Ruggeri 2000, 877 und 897-904 (Vorschlag einer iberischen Bleiherkunft); Riccardi & Genovesi 2002, 1319-1324.
Riccardi & Genovesi 2002, 1323.
Riccardi & Genovesi 2002, 1323. ein griechischer Name, der auf den Leibeigenenstand verweist: Solin 1996, 390.
Riccardi & Genovesi 2002, 1324.
Riccardi & Genovesi 2002, 1327-1329.
Riccardi & Genovesi 2002, 1327.
Hanel & Rothenhöfer 2005, 56-57.
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das Cognomen eines römischen Bürgers handelt, der das Blei durch Pacht erworben hat, da
es sich hier um einen Genitiv und nicht um
einen Nominativ handelt (Subjekt zu fecit).
Denkbar ist ebenfalls ein Peregrinus, ein freier
Einwohner des Kaiserreiches. Pudens ist
jedoch ein häufig anzutreffender Name für
Sklaven25. Man beachte, dass die PudensZeichen nicht in die kaiserliche Kartusche eingegossen sind, sondern eingeprägt wurden.
3° Das Wrack vor Saintes-Maries-de-la-Mer26
hat andere eingegossene, derselben Zeit zuzuordnende Stempel ergeben:
a)
Flavi Veruclae plumb(um) Germ(anicum)
(AE 1992, 1183 b1)
„germanisches Blei, hergestellt von
Flavius Verucla“
mit Stempeln, deren Prägung nur die unter
B verzeichnete Eigentumsmarke trägt:
Imp(eratoris) Caes(aris) (AE 1992, 1183a)
„Eigentum des Kaisers Caesar“.
Veruclas Name steht in der Kartusche eingegossen, während der Name des Kaisers auf
einem Seitenstempel steht, der nach dem
Herausnehmen aus der Form eingeprägt
wurde.
b) Andere Barren, die aus demselben Wrack
geborgen wurden, weisen zwei oder drei
Stempel27 auf:
L(uci) Fl(avi) Veru(clae) (AE 1992, 1183b2)
oder L(uci) Fl(avi) Ve(ruclae);
Erotis (AE 1997, 1042), dieser Aufdruck
erfolgte mit zwei unterschiedlichen
Stempelmodellen (A und B);
Imp(eratoris)
Caes(aris),
dieser
Aufdruck erfolgte mit zwei unterschiedlichen
Siegelmodellen (A und B),
was auf die Beteiligung einer dritten Person an
25
26
27
28
29
30
31
dem Herstellungsprozess oder an der
Kontrolle oder auch am Vertrieb hinweist,
nämlich auf einen gewissen Eros (es handelt
sich hierbei um einen weiteren, ausdrücklich
auf die Zugehörigkeit zur Sklavenschicht verweisenden Namen28), der ein kaiserlicher
Sklave oder ein als institor oder actor handelnder Sklave (oder Freigelassener) von Verucla
sein könnte; eventuell auch ein staatlich
bestellter, im Verladungshafen tätiger Prüfer.
Der auf Besitz hinzuweisen scheinende Genitiv
ist jedoch problematisch.
4° Der unvollständige Stempel an dem Barren
aus Bad Sassendorf/ Heppen (Museum Soest)29,
Sauerland, ist in seiner Machart durchaus
ganz und gar vergleichbar, da er Kartusche
und Stempel für ein- und denselben Namen
miteinander verbindet:
L. Fla[vi Veruclae plumb. Germ.] (Kartusche)
L. F. Ve (Stempelung)
„germanisches Blei, hergestellt von L. Flavius
Verucla » (AE 2003, 1222 ab, s. AE 1920, 7)30
Die Isotopenanalyse hat dieselben Ergebnisse
gezeigt und in Anbetracht des Fundortes kann
man sehr wahrscheinlich auf eine Herstellung
auf rechtsrheinischer Seite schließen; man
kann daher davon ausgehen, dass die Zeichen
L. Flavius Verucla ebenfalls auf die Zeit der
Provinz Germania Magna unter dem Kaiser
Augustus (-12 / +9) zurückgehen. Verucla
könnte der Pächter der Grube Brilon sein oder
auch nur ein Pächter.
5° Ein anderer Stempel, der aus einem
Schiffswrack aus Fos-sur-Mer31 (Museum
Istres) stammt, ist ebenfalls sehr interessant,
was die Erkenntnisse über die Bleiverhüttung
in Germanien betrifft:
Kajanto 1965, 264.
Pomey 1992; Long & Domergue 1995. Die Verfasser, in der offensichtlichen Überzeugung, dass es kein plumbum
Germanicum gibt, da sie diese Auslegung nicht einmal erwähnen, haben als Lesart „germ(anum)“ vorgeschlagen. Das
von Verucla hergestellte Blei soll „rein“ oder „echt“ sein sowie hispanischer Provenienz, nur aufgrund der Typologie
der Barren.
Zeichnungen: Long & Domergue 1995, 813, Abb. 10, zusammenfassende Tabelle, 856-859.
Solin 1996, 284-290.
Rothenhöfer, 2003.
Sie wurde so gelesen: L(uci) Fla(vi) // L(uci) F(lavi) Ve[teris].
Laubenheimer-Leenhardt 1973, 124-125 Nr. 16 und 193-199: da die Autorin von dem Nichtvorhandensein des germanischen Bleis überzeugt war, lautete ihr Vorschlag für Ger(-) ein in Britannien liegender Herstellungsstandort. Siehe
im vorliegenden Band den Artikel von M. Bode zur Isotopenanalyse.
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Sociorum plumb(um) Ger(manicum) oder
Sociorum plumb(i) Ger(manici) (AE 1959, 124),
eingegossen in eine Kartusche
„Germanisches Blei, Eigentum der Gesellschafter“ (der Mitglieder der Genossenschaft,
die germanische Bergwerke und den Abbau in
Pacht übernahm) oder auch „Eigentum der
Gesellschafter der Genossenschaft des germanischen Bleis“.
Diese Markierung bezeugt das Vorhandensein
einer societas zum Zwecke der Pacht, welche
wie „Staatspächter“ auftraten. Bei der Überprüfung des archäologischen Kontextes32
ergibt sich zeitlich gesehen der Verlauf des 1.
Jahrhunderts, eher noch die zweite Hälfte des
1. Jahrhunderts33. Das Blei dieses Barrens
wurde untersucht: Es entspricht genau dem
Profil der anderen Barren aus germanischem
Blei und verweist also aufgrund seiner
Datierung auch auf die Eifel.
6° Andere in Bleibarren gegossene Stempel aus
dem Mittelmeer können als weitere Gegebenheit hinzugenommen werden: Zum einen ein
unveröffentlichter Barren aus Fos-sur-Mer, der
den Namen Tiberius trägt und zum anderen
ein 1986 vor der korsischen Insel Île Rousse
geborgener Barren34. Beide werden derzeit an
der Université Libre de Bruxelles untersucht
und in der nächsten Veröffentlichung (M.
Bode) behandelt.
Die Bergbauverwaltung
In den letzten Jahren waren der Besitz sowie
die Betriebsweisen und der Abbau in den römischen Bergwerken Gegenstand wichtiger
Untersuchungen und Abklärungen, darunter
zeichnen sich insbesondere Claude Domergues35 Forschungsarbeiten aus. Bedeutende
Entwicklungen lassen sich beim Übergang von
der Republik bis zur Kaiserzeit feststellen,
allerdings ist deren zeitliche Zuordnung nicht
immer ganz einfach; dies betrifft insbesondere
32
33
34
35
36
37
den Zeitraum um die Herrschaft des Kaisers
Augustus, in dem die Macht der großen
Staatspächtergenossenschaften
merklich
schwindet und man zu einem staatlichen
Finanzwesen übergeht, das unmittelbarer mit
der zentralen Obrigkeit des Kaisers verbunden
ist. Allerdings muss man dabei einräumen,
dass selbst zur Zeit der Republik nicht alle
Bergwerke der res publica in den Händen der
publicani waren. Aber bei Hinzuziehung der
sich mit dem Betrieb der Bergwerke befassenden Quellen vor allem aus späterer Zeit muss
man in Bezug auf den untersuchten Zeitraum
Vorsicht walten lassen. Die epistemologische
Gefahr einer Gleichstellung der damals ergriffenen Maßnahmen mit Dirigismus oder
Liberalismus stellt ebenfalls ein Risiko dar, vor
dem Jean Andreau warnt36.
Für die Zeit der Republik schlägt man das
Vorhandensein zweier Betriebsweisen der
Gruben vor, das sind die großen Genossenschaften der publicani einerseits, welche
Domergue zufolge keinen Abbau betreiben,
sondern die Abgaben für die Verhüttung einheimsen, und andererseits Privatgenossenschaften, die nicht über die umfassenden
Privilegien der großen societates verfügen.
Aber die Bedeutung des Begriffes publicani ist
selbst nicht eindeutig geklärt; ob es sich um
eigens gebildete Gesellschaften handelt oder
ob es jeder Ersteigerer als Auftragnehmer des
Staates ist, der Bergwerke gepachtet hat37.
Domergue folgert bei der Prüfung der
Situation in Spanien, dass die Gesellschaften
der Publikanen Steuern auf Bergwerke erheben oder eintreiben; diese Gruben werden von
Privatunternehmern oder Familien von
Bergleuten, ja sogar von kleinen, privatrechtlichen Genossenschaften betrieben, die wiederum den großen Pachtgenossenschaften
Steuern entrichten.
In der Hohen Kaiserzeit gehören die Bergwerke
hauptsächlich dem fiscus; dies bedeutet aber
Benoît 1958, 34-37.
Marty 2009.
Pomey et al. 1988, 54 –55; AE 1992, 913; siehe auch den Artikel von M. Bode.
Domergue 1983; 1990; 2008.
Andreau 1989; 1990.
Lange Diskussion bei Andreau 1989, 91-95 und Domergue 2008, 192-193.
– 43 –
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nicht, dass jedes Bergwerk zwangsläufig
Eigentum des Staates ist. Was die bedeutenden
Bergbaubezirke und Vorkommen an sich
angeht, verweisen alle uns zugänglichen
Quellen auf eine direkte oder indirekte
Verwaltung durch den Staat. Aus rein juristischer Sicht wird über die Zugehörigkeit des
solum provinciale, das heißt des eroberten
Gebietes, zum Patrimonialbesitz des Princeps
debattiert, aber faktisch impliziert sie eine privilegierte Stellung des Staates, „redoublé par
la conquête“38, insbesondere wohl in solch
heiklen und lebenswichtigen Bereichen wie
den Bergwerken. Die Bergwerke wären dann
ein Teil des von dem fiscus verwalteten
Patrimoniums. Aber die Zäsur wäre nicht einschneidend, da der Staat nicht unbedingt die
zuvor geltenden Vorschriften ändert.
Das Römische Reich ab Augustus verwaltet
eine erheblich gestiegene Menge von
Vermögenswerten, für die der fiscus offensichtlich zentral verantwortlich zeichnet und
gleichzeitig Beschaffer von Einkünften ist. Die
Gesamtheit der Bergwerke sowie des kaiserlichen Vermögens in einer Provinz steht unter
der Verantwortung eines ritterlichen
Prokurators; ihm zur Seite steht ein freigelassener Prokurator. Auf der iberischen Halbinsel
gibt es vier hauptamtliche Prokuratoren, dazu
in den Bergbauregionen einen freigelassenen
Prokurator, so etwa den procurator metallorum
der Tafeln von Aljustrel. Die Bergwerksordnung des lusitanischen Vipasca zeigt im 2.
Jahrhundert die äußerst aktive Rolle des mit
der Leitung des Bergwerkes betrauten
Prokurators auf, der mit Unterstützung von
Sklaven und kaiserlichen Freigelassenen voll
verantwortlicher Verwalter des Bezirkes für
den fiscus war39.
Die Verpachtung scheint dort gegeben zu sein.
Domergue zufolge ist sie in der Kaiserzeit vorherrschend. Der Bergbau ist an Unternehmer
verpachtet, unter Kontrolle durch den
38
39
40
41
Prokurator oder freigelassenen Prokurator
oder dessen Stellvertreter. Eine Bergwerksordnung wie die aus Vipasca scheint genau zwischen der Aufsicht durch und den Interessen
des fiscus einerseits und denen des PächterBetreibers andererseits zu unterscheiden.
Verschiedene Pachtarten bestehen nebeneinander. So gibt es die Verpachtung an
Publikanen-Genossenschaften, die aber
anscheinend in der Kaiserzeit an Bedeutung
verliert, belegt ist auch nach Zuschlag an
einen einzigen und einzelnen conductor die
Verpachtung einer Bergbaukonzession, oder
sogar eines Bezirkes oder einer Region40.
Umstritten ist allerdings, wie der Titel conductor inhaltlich definiert werden kann, wie
zum Beispiel bei dem conductor ferrariarum
Noricarum. Eine Quantifizierung hinsichtlich
der Anzahl der „großen“ Pächter und der der
kleinen Betreiber-Pächter wie in Vipasca
erscheint sehr schwierig, zumal nichts der
Unterverpachtung oder Übertragung mittels
eines Vertrages der Art conductio-locatio entgegensteht.
Die direkte Verwaltung durch den Staat gibt es
auch. In diesem Fall gibt es zwangsläufig mehr
staatliche Beamte und diese sind unmittelbarer involviert, mit umfangreicheren Aufgabenbereichen. Unter Augustus erfolgt die
Goldgewinnung im Nordosten Spaniens durch
den Staat, wobei einheimische Peregrini die
Arbeit ausführen, auch wenn die Betriebsstruktur im Einzelnen “ganz ungeklärt“ bleibt41.
Zum direkten Betrieb durch den Staat kann
man noch das Heer hinzufügen, dessen
Anwesenheit an mehreren Bergwerksstandorten belegt ist. Andreau bezeichnet sie als
„gelegentlich“; er erkennt eher eine Kontrollfunktion als eine Arbeit vor Ort in den in
Barren der legio II Augusta eingegossenen
Kürzeln (RIB 2404.24-25), die an Bleivorkommen mit Silberanteilen in Wales angetroffen werden. Das kann sein, darüber muss aber
Andreau 1989, 111.
Mateo 2003.
Domergue 2008, 200-201; vgl. Andreau 1989, 100-102. Der einzige für die Provinz Niedergermanien belegte conductor
betrifft die Quadragesima und den „portus Lirensis“ (Nesselhauf 161). Zur Interpretation dieses Portus siehe France
2001, 337-345; man befindet sich hier allerdings in einem anderen Bereich, dem der Steuern und Abgaben.
Andreau 1989, 106.
– 44 –
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Fig. 3
Buchstaben mit TI(berii)
noch gesprochen werden, insofern als das
Heer über die nötige Infrastruktur und die
technische Ausrüstung für den Erzabbau verfügte und wahrscheinlich seit dem Beginn der
Kaiserzeit in Germanien wirkte.
Domergue42 hat Recht, wenn er die beiden Fälle
miteinander verbindet. Und wenn man, wie in
Spanien, berücksichtigt, dass der Name des
Herstellers in die Form auf der Rückseite des
Barrens eingegossen ist und die Seitenstempel
nur die an der Distribution nacheinander
beteiligten Händler bezeichnen, dann muss
man als erwiesen annehmen, dass der Kaiser
der Produzent ist, wenn sein Name in die Form
eingegossen ist: Es handelt sich dann um
Direktverwaltung. Auf welche Art und Weise
kann man sich die Bleiherstellung in
Germanien folglich vorstellen? Die in der
Form eingebrachten Prägestempel mit den
Namen Augustus oder Tiberius, wie auch die
der Kaiser, die auf Barren aus Aquitanien,
Britannien, Sardinien oder Noricum43 belegt
sind, verweisen auf das Patrimonium und auf
eine Direktverwaltung.
Die Herstellung des germanischen Bleis ist in
einen ganz besonderen historischen Kontext
einzuordnen, zumindest in Bezug auf die
rechtsrheinische, sehr kurzzeitige Gewinnung,
frühestens in das Jahr -12, als Drusus die
Eroberung bis zur Weser und an die Elbe ausdehnt, spätestens in das Jahr 9 nach Christus,
bei der Varusniederlage. Eine ganze Reihe von
Indizien lassen darauf schließen, dass das
eroberte Gebiet als Provinz44 eingerichtet
wurde, und dies schon ab dem Triumph des
Tiberius im Jahre -8. Hiermit wird durch die
unmittelbar anschließende Urbanisierung,
wie zum Beispiel in Waldgirmes, oder die
Einsetzung des Kaiserkultes im Oppidum
Ubiorum, der bisher vernachlässigte Text von
42
43
44
45
Cassius Dio (56,18,2) bestätigt. Augustus wollte wohl ähnlich wie in Gallien die gleiche
Integrationsdynamik nach der ersten Reise
Agrippas einführen und eine rasche
Zustimmung und Einbindung der neuen einheimischen Eliten erreichen, ein wenig wie bei
den Tres Galliae, als er im Jahre 12 nach
Christus die einheimischen Vertreter der neu
gebildeten gallischen civitates in Lyon zum
Kaiserkult um den Altar versammelte. Werner
Eck vertritt die Vorstellung einer direkten und
starken Einbeziehung der höchsten Ebene der
Staatsmacht, das heißt des Kaisers und seiner
Familie, seiner familia, in die Organisation der
neuen Provinz. Drusus und, nach seinem Tod,
Tiberius (fig. 3), übt die höchste Macht aus; er
befehligt das Heer und trägt die zivile
Verantwortung eines Statthalters für die
Provinz. Lange vor der Neugründung der Stadt
durch Claudius als Colonia Claudia Ara
Agrippinensis erscheint das Oppidum Ubiorum
wie ein umfassender städtischer Wirtschaftsund Verwaltungsschwerpunkt inmitten einer
voll nutzbaren Fluss- und Straßeninfrastruktur. Es gibt mehrere Hinweise auf den
direkten Einfluss der augusteischen Staatsmacht am Rhein, so zum Beispiel in dem oppidum, das monumentale Mausoleum eines dispensator, welcher im Finanzbereich verantwortlich tätig war, oder die Präsenz des
Vedianus, eines weiteren kaiserlichen Freigelassenen, den Werner Eck45 durchaus mit
dem Patrimonium, das ab der ersten Eroberungsphase zur Verwaltung des von der
Staatsmacht erworbenen Patrimonialvermögens gebildet wurde, verbunden sähe. Diese
beiden Zeugnisse sollen die Indizien für das
Vorhandensein eines mit diversen, direkt mit
den Belangen des Princeps verknüpften
Aufgabenbereichen betrauten Personals sein.
Domergue 1994.
Domergue 2008, 191.
Vgl. o.a.
Eck & von Hesberg 2003, 191-198 (AE 2004, 969 abc).
– 45 –
Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 46
Während der relativ kurzen Zeit der
Einrichtung der neuen Provinz Germanien auf
der rechten Rheinseite musste das Heer besonders aktiv gewesen sein. Wie auch in den anderen eroberten Provinzen werden die
Infrastruktur und die Verwaltungsgrundlagen
der neuen Staatsmacht von den Legionen und
ihren spezialisierten Diensten (dazu gehören
Topografen, Techniker und Logistiker) sowie
eigene oder dienstverpflichtete Arbeitskräfte
gelegt und gebildet. Die rheinischen Bezirke
behalten ihre strategische Bedeutung auch
nach der Niederlage des Varus und dem
Rückzug auf die linke Rheinseite. Mehrere
Legionen und Auxiliartruppen sichern die
Nordwestgrenze des Imperium Romanum.
In der linksrheinisch gelegenen Eifel sind die
Voraussetzungen für den Bergwerkbetrieb in
einer befriedeten Gegend anders geartet, in
der das Heer wohl eher eine deutlich unbedeutendere Rolle gespielt hat und der Betrieb
durch Privatunternehmer stärker verbreitet
war. Die über einen langen Zeitraum (bis in die
späte Kaiserzeit und sogar noch weiter bis ins
20. Jahrhundert hinein) währende Bleiherstellung hat zwangsläufig zur Entwicklung anderer Abbauarten geführt; diese Entwicklungen
wurden bisher wenig dokumentiert46.
Man kann alles in allem meinen, dass es sich
um eine Direktverwaltung durch den Staat
handelt, wenn der Name des Kaisers im
Hauptstempel auf der Rückseite des
Bleibarrens aus plumbum Germanicum
erscheint; diese Verwaltung stützt sich bei
bestimmten Umständen auf die technischen
Hilfsmittel des Heeres wie wohl auch auf die
Fachkompetenz und Erfahrung der örtlichen
Bevölkerung. Wenn hingegen der Name eines
Privatmannes erscheint, wie z.B. L. Flavius
Verucla, oder auch der einer Genossenschaft,
hier z.B. die für Fos-sur-Mer belegten socii,
könnte es sich um eine indirekte Verwaltung
handeln, also um eine Pacht. Allerdings
spricht nichts gegen das gleichzeitige
Nebeneinander von Privatunternehmern und
unmittelbar dem Princeps unterstehendem
Militär- oder Zivilpersonal in demselben
46
47
48
Siehe den Artikel von Peter Rothenhöfer in diesem Band.
Riccardi & Genovesi 2002, 1323.
Riccardi & Genovesi 2002, 1323-1324.
– 46 –
Bergwerksbezirk. Die auf ein und demselben
Barren nebeneinander stehenden Namen des
Privatunternehmers und des Kaisers können
dem dem Staat vorbehaltenen Produktionsanteil und eventuell gleichzeitig dem
Pachtzins entsprechen; dieses Vorgehen bei
der Eintreibung ähnelte dann der pars dimidia
ad fiscus pertinens auf der Tafel von Aljustrel.
In jedem Fall ist bei den beobachteten
Vorgehensweisen der Gewinnung des plumbum Germanicum jegliches Zufallsgebaren
fremd. Sie erfolgen im Rahmen bekannter und
bewährter Amtsstrukturen, was auf rechtsrheinischer Seite für den offiziellen Status der
neuen Provinz Germanien spricht, auch wenn
dies nur vorübergehend war, und auf linksrheinischer Seite für ein Verwaltungswesen, in
das die civitates und die Prokuratoren eingebunden sind.
Bei dem Versuch, die Gebrauchsschemata der
Stempel und Gegenstempel näher zu erklären,
stößt man auf folgende Befunde, die innerhalb
der großen Optionen (Direktverwaltung,
Verpachtung) eine Reihe von Varianten aufweisen.
A. Bei den eingegossenen Stempeln aus Rena
Maiore (AE 2000, 653) handelt es sich um eine
Direktherstellung des Kaisers Augustus. Die
Gegenstempel verweisen wahrscheinlich auf
verschiedene Stadien des Transportes vom
Herstellungsbergwerk bis zum Schiff, denn
zum gegenwärtigen Zeitpunkt fehlen für das
plumbum Germanicum (fig. 4) konkrete Belege
für die Ankunft in Ostia. L. Valerius Rufus (AE
2002, 636a) könnte entweder der Name eines
kaiserlichen Beamten sein (aber es erscheint
verwunderlich, dass ein ingenuus ein solches
Amt bekleiden könnte) oder auch der eines
Transportunternehmers oder Händlers47.
Chi(lo ?) (AE 2002, 636b) könnte ein im Hafen
beschäftigter Sklave sein, der mit der
Kontrolle des jeweiligen Gewichtes betraut
war oder auch mit der Aufsicht über die
Gebührenzahlung (oder die Befreiung
davon)48. IMP(eratoris) (AE 2002, 636c) könnte
Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 47
ein redundanter Stempel sein oder der
Hinweis auf eine Beschäftigungskategorie: In
diesem Falle bedeutet die Abwesenheit dieses
Stempels vielleicht zum Beispiel, dass der
nicht nochmals gestempelte Barren nicht dem
öffentlichen Gebrauch zugeführt wird, sondern dem Handel. Oder auch, dass diese mehrfach mit Imp. abgestempelten Barren den Preis
für eine Transaktion darstellen (Transport?).
B. Im Falle der eingegossenen Stempel aus
Saintes-Maries-de-la-Mer mit dem Namen
Verucla (AE 1992, 1183b1) erscheint L. Flavius
Verucla als „Prinzipal“, als Pächter und
Produzent. In diesem Falle würde der nachträglich durch einen Stempel aufgebrachte
Gegenstempel Imp. Caes. (AE 1992, 1183a) einer
Zahlung an den Kaiser entsprechen, und zwar
als Pachtzins oder als Kaufpreis bei einem
Nutzungsvertrag49, oder auch als Gebühr.
C. Wo Verucla als Gegenstempel erscheint (AE
1992, 1183b2)50, gibt es keinen eingegossenen
Stempel, daher besteht Unsicherheit bezüglich des Eigentümers oder Hauptersteigerers,
es sei denn, man akzeptiert den Gegenstempel
als offiziellen Produktionsstempel. Eine andere Alternative wäre: Eine kaiserliche Direktproduktion, bei der Verucla als Händler oder
Spediteur auftritt. Wenn man von dieser
Hypothese ausgeht, wäre Eros (AE 1997, 1042)
gleichbedeutend mit Chilon, einem staatlichen Zoll- oder Hafenaufseher. Und der
Stempel IMP CAES könnte als Quittung für
geleistete Abgabenzahlungen dienen.
D. Das Fragment aus Bad Sassendorf (AE 2003,
1222 ab) kombiniert B und C: Verucla in der
Kartusche und als Gegenstempel auf demselben
Barren. Man könnte in Betracht ziehen, dass
Verucla gleichzeitig als Ersteigerer-Produzent
und als selbstständiger Händler auftritt.
E. Der Fall Pudens ist unklar (AE 2002, 636d ;
AE 2005, 1099)51. Der Einzelname mit Bezug auf
49
50
51
52
53
Fig. 4
Buchstaben mit GERM(anicum)
eine Leibeigenschaft deutet auf einen Sklaven
hin, aber ist es ein kaiserlicher Sklave (in diesem Falle hat man es mit einer
Direktverwaltung zu tun) oder handelt dieser
als actor eines Ersteigerers (in diesem Falle
ginge es dann um eine Verpachtung)? Der
Genitiv könnte einfach ein Indiz für eine von
Pudens aufgrund seiner Dienstpflichten getätigte Handlung sein. Die Hypothese eines
selbstständigen Peregrinus klingt aufgrund
der Datierung wenig glaubhaft -es geht um
den Beginn einer Provinz- Produktion in einer
frisch eroberten Region-; ein Beleg könnte
auch die sprachliche Beschaffenheit des in
Germanien seltenen Namens sein, der wahrscheinlich auf deine Herkunft aus Italien hindeutet. Im Falle des Pudens-Barrens aus dem
Wrack vor Rena Maiore kann der mit dem der
anderen Barren unterschiedlicher Machart
identische Gegenstempel CHI(lo ?)(AE 2002,
636e) der Beleg für ein späteres Aufbringen
dieses Stempels sein, der in Zusammenhang
mit dem Transport oder eher noch Umschlag
im Hafen stehen könnte52.
F. Der eingegossene Stempel der Socii (AE 1959,
124) impliziert eine dritte Betriebsart in der
Form einer Verpachtung, nicht an eine
Einzelperson, sondern an eine societas.
Aufgrund der Datierung53 muss im vorliegenden Falle die Gründung der Genossenschaft
die Vergabe an Einzelpersonen abgelöst haben;
Gründe hierfür liegen zum Beispiel in der
Ausweitung des Bleiabbaus und der
Herstellung und des damit einhergehenden
Anstieges der Kosten und Investitionen.
Rothenhöfer 2005, 92.
Mehrere Abläufe werden von Long & Domergue 1995, 830-834 in Betracht gezogen; alle betreffen mehrere Stadien
bei der Distribution.
Hanel & Rothenhöfer 2005, 57-58.
Riccardi & Genovesi 2002, 1327.
Die von Ruggeri (2000, 903) vertretene Vorstellung, dass die societas der Vergabe an Einzelne vorausgegangen ist,
scheint durch das Datum der Ladung widerlegt.
– 47 –
Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 48
Abschließend kann man sagen, dass der nicht
mit einem Gegenstempel versehene Bleibarren
des Tiberius in Tongern sich in die vor Rena
Maiore geborgenen augusteischen Barren einreiht; er entspricht der kaiserlichen Direktverwaltung, die in vorliegendem Fall in der Eifel
vielleicht fortgesetzt wurde, und den man in
Britannien nur mit dem Namen des Kaisers
und dem topografischen Hinweis auf das
Vorkommen versehen auffindet (zum Beispiel
RIB 2404.31).
In Tongern wie in Britannien wird der Barren
in der Nähe des Herstellungsortes aufgefunden, was erklärt, warum er nicht mit den mit
dem Transport und den Hafenverrichtungen
zusammenhängenden Gegenstempeln versehen worden ist, die man auf den Barren aus
den Wracks findet.
Schlussbetrachtungen
Der Barren des Tiberius liefert also einen
ergänzenden und interessanten Aspekt der
Thematik hinsichtlich der Gewinnung des
plumbum Germanicum. Zunächst einmal ist die
Einbindung des Kaisers in die Herstellung in
diesem Falle klar belegt, und zwar nicht nur in
den militärisch besetzten Gebieten in der Zeit
der Eroberung, sondern auch in der Provinz
Niedergermanien. Nach einer langen Zeitdauer, in der das plumbum Germanicum von der
Forschung völlig ignoriert wurde, hatten die
kürzlich vorgelegten Untersuchungen vor
allem die augusteische Produktion im
Sauerland herausgestellt, die zwar nur sehr
kurz, aber dafür umfangreich war und in den
Mittelmeerraum exportiert wurde. Der in
Tongern aufgefundene Barren veranschaulicht
zum ersten Mal ein kaiserliches Besitztum zu
Beginn des 1. Jahrhunderts n. Chr. in den
Bergwerken der Nordeifel; diese waren bisher
für Produktionen in späterer Zeit bekannt (wie
zum Beispiel der Stempel der XVI. Legion oder
der des Valentinianus in St. Aldegund zeigen).
Nach unserer Meinung fügt sich das in dieser
Studie von uns hervorgehobene Toponymie-
54
Element besonders gut in die von technischen
und historischen Indizien ausgehende
Argumentationskette ein, die für eine
Herstellung von Blei in der Eifel zu römischer
Zeit spricht54.
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Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 50
Bleiisotope als Schlüssel
zur Herkunftsbestimmung
von Metallen – Die
römischen Plumbum
Germanicum-Barren
Michael Bode 1
Einleitung
Der folgende Beitrag befasst sich mit der
naturwissenschaftlichen Untersuchung vier
frühkaiserzeitlicher römischer Bleibarren. Ein
Bleibarren wurde in Tongeren (Tab. 1, B-0001)
gefunden, zwei weitere in der Rhônebucht bei
Fos-sur-Mer (Tab. 1, F-0001, F-0007) und ein
Barren bei Île Rousse auf Korsika (Tab. 1, F0006)2. Während drei Bleibarren in ihren
Gußinschriften römische Kaiser nennen, ist
auf einem nur eine anonyme Pachtgesellschaft
(socii) erwähnt. In allen Gussinschriften findet
sich das Kürzel GERM bzw. GER. Aus historisch-epigraphischer Sicht stellt sich die
Frage, ob dieses Kürzel jeweils zu der
Herkunftsangabe (plumbum) Germanicum aufzulösen ist. Zumindest im Falle des Barrens
von Île Rousse wäre auch eine Auflösung als
kaiserlicher Beiname Germanicus denkbar.
1
2
3
4
Die Provenienzbestimmung mittels Bleiisotopenanalyse soll hier zu mehr Klarheit
führen.
Zur Zeit sind 54 Barren von fünf (sollte sich der
Barren von Île Rousse auch als germanisches
Blei zu erkennen geben, dann sechs)
Fundorten bekannt, die über ihre Inschriften
deutlich als plumbum Germanicum-Barren
gekennzeichnet sind [Fos-sur-Mer (F), Île
Rousse (F), Rena Maiore (I), Saintes-Maries-dela-Mer (F), Soest (D), Tongeren (B)].3 Mehr als
100 weitere Bleibarren sind aufgrund ihrer
Stempel und Fundumstände ebenfalls römischer Bleiproduktion in Germanien zuzuordnen.4
Im folgenden werden Bleiisotopendaten der
römerzeitlichen Bleierzbergbaue der Nordeifel, des Bergischen Landes und des Briloner
Bergbaureviers im Sauerland innerhalb des
Deutsches Bergbau-Museum Bochum, Forschungslabor für Archäologie und Materialwissenschaften, Herner
Straße 45, D-44787 Bochum. E-mail: michael.bode@bergbaumuseum.de
Eingehende archäologisch-epigraphische Untersuchung der Barren F-0006 und F-0007: Raepsaet-Charlier, 2011,
s. a. Beitrag Raepsaet-Charlier & Charlier, in diese Publikation.
Laubenheimer-Leenhardt 1973; Long & Domergue 1995; Riccardi & Genovesi 2002; Rothenhöfer 2003.
Rothenhöfer 2003; Vergl. Hanel & Rothenhöfer 2005; Bode 2008; Bode et al. 2009.
– 50 –
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nördlichen Rheinischen Schiefergebirges als
Vergleichsdaten zugrunde gelegt.5 Anzumerken ist, dass das Briloner Bergbaurevier aus
historisch-archäologischen Überlegungen
heraus nur in augusteischer Zeit, also zur Zeit
der Germanienfeldzüge bis zur Varus-Schlacht
9 n. Chr., den Römern als Bleilieferquelle
gedient haben kann.6 Eine Unterscheidung
von Bleierzen der Nordeifel und des Briloner
Bergbaureviers ist allerdings weder geochemisch noch bleiisotopisch möglich.7
Grundlagen der Bleiisotopie
In der Archäologie kann die Entschlüsselung
der Herkunft von Metallobjekten wichtige
Informationen über Handelsbeziehungen,
Handelswege und die Ausbreitung vergangener Kulturen bereitstellen. Für die Herkunftsuntersuchung bedarf es einer Vergleichsmöglichkeit, die bei der Metallherstellung
unverändert bleibt, sich also eindeutig vom
Metall zum Erz zurückverfolgen lässt. Der
Vergleich der chemischen Zusammensetzung
von Erz und Metall, das heißt von Spurenelementen im Erz, die mit dem Metall legieren,
ist nur bedingt geeignet, da Erzlagerstätten
heterogen aufgebaut sein können und sich die
Spurenelemente bei der Verhüttung verschieden verhalten. Zudem ist grundsätzlich fraglich, ob die heute anstehenden Erze mit den
damals abgebauten wirklich vergleichbar
sind.
Weitaus besser geeignet ist der Blick auf die
Isotopenzusammensetzung ausgewählter chemischer Elemente. Viele Elemente kommen als
Isotopengemische vor, deren Atome eine konstante Anzahl an Protonen, aber unterschiedlich viele Neutronen besitzen, also auch unterschiedliche Massen. Bei leichten Elementen
wie Sauerstoff ist der relative Massenunterschied zwischen den Isotopen verhältnismäßig groß, sodass bei physikalischen Prozessen
wie Verdampfung messbare Fraktionierungs-
5
6
7
8
effekte, also Veränderungen der Isotopenzusammensetzung, auftreten. Dies liegt darin
begründet, dass die leichteren Isotope gegenüber den schwereren bevorzugt in die
Dampfphase übergehen. Schwere Elemente,
deren relative Massenunterschiede zwischen
den Isotopen entsprechend gering sind, fraktionieren nur unwesentlich, sodass kleinste
daraus resultierende Veränderungen im
Isotopenverhältnis vernachlässigt werden
können.8
Für die Herkunftsuntersuchung von Metallen,
aber auch Gläsern, Pigmenten oder Glasuren,
eignet sich besonders das schwere Element
Blei (Pb). Blei besteht unter anderem aus den
stabilen Bleiisotopen 204Pb, 206Pb, 207Pb und 208Pb.
Entgegen dem seit der Erdentstehung
ursprünglichen 204Pb wächst der Anteil der
drei anderen radiogenen Bleiisotope im
Muttergestein von Erzlagerstätten durch den
Zerfall der radioaktiven Elemente Uran und
Thorium kontinuierlich an. Eisen-, Kupferoder Bleierzlagerstätten enthalten nur in seltenen Fällen Uran und Thorium. Bleiglanz, das
häufigste Bleierz, ist praktisch frei davon. Je
jünger eine Erzlagerstätte ist, desto radiogener
ist ihre Bleizusammensetzung. Die Bleiisotopenverhältnisse dienen somit als „geolo-
Informationen zum römischen Bleibergbau im Bergischen Land bietet Körlin 2006.
Hanel & Rothenhöfer 2005.
Bode 2008.
Diskussion z. B. in Gale & Stos-Gale 1982, 2000; Stos-Gale & Gale 2009.
– 51 –
Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 52
gische Uhr“, wodurch mit Hilfe der Bleiisotopenmethode also nicht nur eine direkte
Vergleichsmöglichkeit zwischen Erz und
Metall, sondern auch ein Unterscheidungskriterium für Lagerstätten verschiedenen
Alters besteht.
Im Falle der römischen massiven Bleibarren
kommt zum Tragen, dass sie als unmittelbare
Bergbauprodukte erfahrungsgemäß die bleiisotopische Zusammensetzung des Bleierzes
einer einzelnen Lagerstätte widerspiegeln, es
sich also nicht um zusammengegossenes
Altmetall handelt. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die Bleiisotopenmethode ein
Ausschlussverfahren ist. Das heißt die absolut
sichere Bestimmung eines Metallliefergebietes mittels bleiisotopischen „Fingerabdrucks“ ist hiermit nicht möglich. Dies liegt
daran, dass gleich alte Lagerstätten sehr ähnliche Bleizusammensetzungen aufweisen können. Offenkundig ist dagegen, welche
Lagerstätten als Liefergebiet von Metallen
nicht in Frage kommen können.
Messmethodik
Die Proben der römischen Bleibarren von
Tongeren (B-0001) und Fos-sur-Mer (F-0001)
(Tab. 1), sowie zusätzlich die eines Bleistücks
von Tongeren (Tab. 2) gefunden in der Gegend
des Barrens während die Ausgrabungen, wurden im Institut für Mineralogie in Münster mit
einem ThermalIonisations-MassenSpectrometer (TIMS, VG Sector 54) analysiert.9 Die
Bleiisotopenzusammensetzung der Proben
der römischen Bleibarren F-0006 und F-0007
wurde im Institut für Geowissenschaften der
Universität Frankfurt a. M. mit einem
Multikollektor-ICP-MS (Neptune, Thermo
Scientific) bestimmt. Diese Proben wurden in
2 N HNO3 gelöst, abgeraucht und mit 2 %
HNO3 verdünnt (0,25 mg/l). Als interner
Standard wurde den Proben 0,1 mg/l Thallium
9
10
11
12
13
zugesetzt. Zur Kontrolle wurde der Standard
NIST SRM-981 mitgemessen. Die Präzision lag
unterhalb 0,005 %, die Genauigkeit unterhalb
0,05 % (2 SD).
Bleiisotopenvergleich der vier römischen
Bleibarren mit weiteren Barrenanalysen
und wichtigen Bleierzlagerstätten des
Römischen Reiches
Obwohl die Inschriften der untersuchten
Bleibarren auf eine Herkunft aus Germanien
deuten, sollten neben diesen potentiellen
Liefergebieten (Nordeifel, Bergisches Land,
eventuell auch das Briloner Bergbaurevier)
weitere für jene Zeit in Frage kommende
Bleierzlagerstätten mit in die Untersuchung
einbezogen werden. Hierzu gehören die großen Bergbaureviere im Süden der Iberischen
Halbinsel (Cartagena-Mazarrón, Sierra
Morena), die während der Zeit der römischen
Republik und auch darüber hinaus die antike
Welt mit Blei belieferten.10 Bleiisotopenuntersuchungen an Bleibarren der römischen
Republik und der frühen römischen Kaiserzeit
bestätigten dies.11 Auch in Südfrankreich
(Cévennen, Montagne Noir) könnte Blei in den
Jahrhunderten römischer Herrschaft in größeren Mengen, also auch für den Export von Blei
in Form von Bleibarren, erwirtschaftet worden
sein. Dies kann jedoch bis heute nicht durch
entsprechende Bergbauspuren untermauert
werden.12 Auf Sardinien gibt es immerhin
einen Bleibarren mit der Nennung des
Augustus und mindestens weitere 10
Bleibarren mit Hadrian-zeitlicher Gußinschrift, wovon fünf bis dato analysierte
Bleibarren aufgrund des Bleiisotopenvergleiches auch dort produziert worden sein dürften.13 Was die Epoche des Augustus betrifft,
zeigen auch Bleiisotopenanalysen an insgesamt 150 Bleifunden aus augusteischen
Militärlagern des rechtsrheinischen Germaniens, dass eine Versorgung Germaniens mit
Zur Methodik z. B. Bode et al. 2009.
Domergue 1987 und 1990; Meier 1995; Trincherini et al. 2001.
Grögler et al. 1966; Begemann & Schmitt-Strecker 1994; Pinarelli et al. 1995; Trincherini et al. 2001 und 2009;
Picottini et al. 2003; Róda 2004; Domergue et al. 2006; Tisseyre et al. 2008.
Davies 1935; Nriagu 1983; Meier 1995; Trincherini et al. 2001.
Eine Analyse stammt von Pinarelli et al. 1995.
– 52 –
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Blei aus Südfrankreich oder Sardinien
unwahrscheinlich ist. Das untersuchte
Bleikontingent scheint fast gänzlich aus den
lokalen Bergbauen am Rhein und ein geringer
Teil aus Spanien zu stammen.14
Der Vollständigkeit halber werden in
Abbildung 1, ungeachtet der Zeitstellung, alle
zur Verfügung stehenden Isotopenanalysen
von römischen Bleibarren und deren mutmaßliche Herkunftsgebiete präsentiert. Ein
Großteil der Daten stammt aus dem laufenden
Projekt Corpus der römischen Bleibarren des
Deutschen Archäologischen Instituts und des
Deutschen Bergbau-Museums Bochum, mit
dem eine möglichst vollständige Aufnahme
aller bekannter Bleibarren des Römischen
Reiches und die Bestimmung der Bleiisotope
wichtiger Bleibarren(-gruppen) angestrebt
wird.15 Dadurch sollen unter Anderem neue
Erkenntnisse zur Bleiversorgung gewonnen
werden.
In den Bleiisotopen-Diagrammen der Abbildung 1 wird die Bleizusammensetzung der
Bleierze Britanniens, Deutschlands, Sardiniens, Spaniens, der römischen Bleibarren
und eines Bleistücks aus Tongeren als
Häufigkeitsverhältnisse aufgetragen. Rechts
oben in den Graphiken befinden sich die geologisch älteren, links unten die jüngeren
Bleierze und die aus ihnen hergestellte
Bleibarren. Fallen die Bleiisotopenverhältnisse
von einer Lagerstätte mit denen von Bleiobjekten zusammen, so ist eine Herkunft des
Metalls von dort möglich. Ist dies nicht der
Fall, kann eine Herkunft ausgeschlossen werden, es sei denn, dass die Analysendaten auf
einer Mischungs- bzw. Verbindungslinie zwischen zwei Lagerstätten liegen. Je nach
Position auf solch einer Linie könnte man die
Mischungsverhältnisse ablesen. Für Bleibarren als direkte Bergbauprodukte sind keine
Mischungseffekte bekannt.
14
15
16
17
Die Bleizusammensetzung der hier vorgestellten vier römischen Barren (gelbe Karos, Daten
in Tab. 1) liegen in beiden Diagrammen der
Abbildung 1 im Variationsbereich der Bleierzlagerstätten der Nordeifel und des Briloner
Bergbaureviers (blaue Quadrate, 207Pb/206PbVerhältnisse zwischen 0,845 und 0,855). Das
Bergische Land kommt in diesem Fall nicht in
Frage (blaue Quadrate, 207Pb/206Pb-Verhältnisse
zwischen 0,855 (ein Datenpunkt) und 0,862).
Von hier kann aber z. B. der Halterner Barren
der 19. Legion kommen.16 Britannien kann aus
historischen Gründen nicht als Bleiquelle fungiert haben. Die Barren fügen sich also in die
Gruppe der anderen frühkaiserzeitlichen
plumbum Germanicum-Barren (hellblaue Karos).17 Damit dürfte im Falle des Barrens von Île
Rousse das in der Kartuscheninschrift nach
dem Kaisernamen erscheinende GERM wohl
weniger als Siegerbeiname Germ(anicus) denn
als Herkunftsangabe Germ(anicum) aufzulösen sein.
Des Weiteren distanziert sich diese Gruppe
von Bleibarren in beiden Schaubildern deutlich von denen aus der Zeit der Römischen
Republik und der frühen Römischen Kaiserzeit
(violette Karos), die mit Sicherheit von der
Iberischen Halbinsel stammen. Das gleiche
gilt für die vermutlich auf Sardinien produzierten Hadrian-zeitlichen Bleibarren (orange
Karos). Dass die plumbum Germanicum-Barren
das Resultat einer Mischung von Bleierzen aus
Spanien sind, ist theoretisch möglich, kann
aber, wie oben angedeutet, ausgeschlossen
werden. Nicht nur die Herkunftsbezeichnungen auf den Barren sprechen dagegen, sondern auch, dass die Datenpunkte der einzelnen
Bleibarren in solch einem Fall, da sie von mindestens fünf verschiedenen Produzenten kommen, auf einer gedachten Mischungslinie zwischen den spanischen Lagerstätten links und
in der Mitte der Diagramme (violette
Quadrate) in einem größeren Bereich streuen
sollten. Es bleibt also festzuhalten, dass durch
Bode 2008; Bode et al. 2009. 50% der Messdaten stammen von Durali-Müller 2005.
Siehe Artikel Rothenhöfer, Hanel & Bode in diese Publikation.
von Schnurbein 1971;Bode 2008.
Trincherini et al. 2001. Bode 2008. Bode et al. 2009. Unter Verwendung aktueller Daten des CMPR-Projekts.
– 53 –
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das Zusammenspiel von Naturwissenschaft,
Lateinischer Epigraphik und Archäologie
herausgearbeitet bzw. bestätigt werden konnte, dass mit großer Wahrscheinlichkeit nicht
nur Spanien und ab Mitte des 1. Jh. n. Chr.
Britannien, sondern auch Germanien, wenigstens für einige Jahrzehnte der frühen römischen Kaiserzeit, eine wichtige Rolle in der
Bleiversorgung des Imperium Romanum
spielte.
Die Bleiisotopenverhältnisse eines Bleistückes
von Tongeren (gelbes Quadrat, Daten in Tab. 2)
sind vergleichbar mit denen der plumbum
Germanicum-Barren, womit davon ausgegangen werden kann, dass sein Blei aus demselben
Liefergebiet kommt.
Tabelle 1: Bleiisotopenverhältnisse ± 2 -analytische Genauigkeit (entspricht dem Schwankungsbereich, in dem sich der wahre Wert zu 95% aufhält) der plumbum Germanicum-Barren (B-0001, F-0001 (s. Bode et al. 2009 „F1/1“), F-0006, F-0007)
Objekt
B-0001, IMP TI CAESARIS
AVG GERM TEC, Tongeren
F-0001, SOCIORVM PLVMB
GER, Fos-Sur-Mer
Pb/206Pb
±1.E-03
2,086
208
2,090
Pb/206Pb
±2.E-04
2,085
208
F-0006, [.] CAES AVG IMP
GERM TFCF, Île Rousse
F-0007, IMP TI CAESARIS
AVG GERM TEC, Fos-Sur-Mer
2,085
Pb/206Pb
±3.E-04
0,8501
207
Pb/204Pb
±4.E-02
18,339
206
0,8510
Pb/206Pb
±2.E-04
0,8509
207
0,8497
18,374
Pb/204Pb
±4.E-03
18,357
206
Pb/204Pb
±2.E-02
15,591
207
15,637
Pb/204Pb
±1.E-03
15,620
207
18,376
15,614
Pb/204Pb
±7.E-02
38,253
208
38,397
Pb/204Pb
±1.E-02
38,278
208
38,323
Pb/206Pb
±3.E-05
0,05453
204
0,05442
Pb/206Pb
±1.E-05
0,05447
204
0,05442
Tabelle 2: Bleiisotopenverhältnisse ± 2 -analytische Genauigkeit (entspricht dem Schwankungsbereich, in dem sich der wahre Wert zu 95% aufhält) eines Bleistücks aus Tongeren
Objekt
Bleistück von Tongeren
Pb/206Pb
±1.E-03
2,090
208
Pb/206Pb
±3.E-04
0,8505
207
– 54 –
Pb/204Pb
±4.E-02
18,376
206
Pb/204Pb
±2.E-02
15,629
207
Pb/204Pb
±7.E-02
38,397
208
Pb/206Pb
±3.E-05
0,05442
204
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Abbildung 1: 204Pb/206Pb und 208Pb/206Pb vs. 207Pb/206Pb-Diagramm mit Bleiisotopenverhältnissen von römischen Bleibarren
(verschiedenfarbige Karos), von den hier vorgestellten Bleibarren aus Tongeren (B), Fos-sur-Mer und Île Rousse (F) (gelbe
Karos) und von einem Bleistück aus Tongeren (B) (gelbes Quadrat) im Vergleich mit den für die Bleibarrenproduktion in
Frage kommenden Bleierzlagerstätten (verschiedenfarbige Quadrate) (Quellen der Lagerstätten-Bleiisotopendaten s. z. B.
Bode et al. 2009)
– 55 –
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– 57 –
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Römische Bleigewinnung
in der Nordeifel
Peter Rothenhöfer 1
Fig. 1:
Karte des Imperium
Romanum zur Zeit seiner
größten Ausdehnung
unter Trajan. Die
Rechtecke geben die
Fundorte der Wracks bei
(1) St. Maries-de-la-Mer in
der Rhônebucht und bei
(2) Rena Maiore (Aglientu,
NW-Sardiniën) an.
Einleitung
Glückliche Umstände führten dazu, dass in
den letzten Jahren zahlreiche Bleibarren
bekannt wurden, die im römischen
Germanien produziert worden sind. Es sind
vor allem ein Schiffswrack aus der
Rhônebucht (Saintes-Maries-de-la-Mer 1) und
ein Wrack vor der Nordwestküste von
Sardinien (bei Rena Maiore, Aglientu), die mit
zusammen weit über 150 massiven Bleibarren
den Kenntnisstand zum römischen Germanien
in der frühen Kaiserzeit, speziell zum augusteischen Germanien, wesentlich bereichern
1
2
3
(Fig. 1)2.
Bei dem Fundstück aus Tongeren handelt es
sich zwar nur um einen einzelnen Barren, dennoch ist seine Bedeutung als historische
Quelle nicht weniger gering. Die Gussinschrift
auf dem Rücken des Barrens nennt neben dem
herrschenden Kaiser, Tiberius (14-37 n. Chr.),
in dessen Regierungszeit das Stück produziert
worden ist, auch die Herkunft des Metalls:
(plumbum) Germ(anicum) - Blei aus Germanien3. Allein diese Angabe ist bereits von großem Wert. Doch auch hier ist von hohem
Interesse, welche Bleierzlagerstätte im Bereich
Dr. Peter Rothenhöfer, Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik des Deutschen Archäologischen Instituts,
Amalienstrasse 73b, D-80799 München. E-mail:
rothenhoefer@aek.dainst.de
Long et al. 1995; Hanel et al. 2005; Rothenhöfer 2005, 92-93.
siehe Beitrag Raepsaet-Charlier & Raepsaet in diese Publikation.
– 58 –
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der beiden späteren germanischen Provinzen
konkret als Produktionsgebiet in Frage
kommt.
Eine der wichtigsten Gewinnungsregionen für
Blei in den römischen Nordwestprovinzen war
neben Britannien, dessen Eroberung aber erst
unter Kaiser Claudius ab 43 n. Chr. einsetzte,
die Nordeifel. Es überrascht deshalb wenig,
dass die naturwissenschaftlichen Analyseergebnisse in Verbindung mit der Inschrift
recht klar auf dieses Produktionsgebiet hindeuten4.
Seit langem ist bekannt, dass in der Nordeifel
bereits in römischer Zeit Bleierze abgebaut
wurden5. Während jedoch über den mittelalterlichen und neuzeitlichen Abbau schriftliche Quellen wie zum Beispiel Konzessionsurkunden oder Betriebsakten reichlich
Informationen bereithalten, fehlen sie für die
Römerzeit völlig. Deshalb hing der
Forschungsstand lange Zeit gänzlich von den
materiellen Hinterlassenschaften und archäologischen Beobachtungen ab. Doch gerade hier
wirkte erschwerend, dass durch bergbauliche
Aktivitäten in jüngeren Abbauphasen ältere
Spuren überprägt und vielfach zerstört wurden. Andererseits sind aber gerade dadurch
erste Nachrichten und Beobachtungen überliefert6. Sie bezeugen unzweifelhaft römischen
Bergbau, doch lagen Beginn, Dauer, Intensität
und Strukturen des Abbaus weitgehend im
Dunkeln7. Erst Forschungen in jüngster Zeit
vermochten hier erstmals nähere Einblicke zu
geben. Es sind Resultate ganz unterschiedlicher Disziplinen, die sich aber gut miteinander verbinden lassen und die diesem nicht
4
5
6
7
8
9
unbedeutenden Wirtschaftszweig wieder
Konturen geben.
Die Bleierzlagerstätten der Nordeifel
In der Nordeifel liegen verschiedene Vererzungszonen von Blei, die bis in die Mitte des
20. Jahrhunderts ausgebeutet wurden8.
Wirtschaftlich bedeutend waren im 19. und 20.
Jahrhundert die Erzlagerstätte Rescheid auf
dem Gebiet der Gemeinde Hellenthal, der
Maubacher Bleiberg, vor allem aber die
Vorkommen bei Mechernich und bei AachenStolberg. Hinweise auf römischen Abbau
liegen aber nur aus dem Raum
Mechernich/Kall-Keldenich und AachenStolberg/Breinigerberg vor (Fig. 2)9.
Zwischen Mechernich und Kall-Keldenich
liegt am östlichen Rand der Mechernicher
Trias-Senke, einer Buntsandsteinformation,
eine sich über 12 km in südwest-nordöstlicher
Richtung erstreckende Vererzungszone. Der
Buntsandstein ist hier infolge des hydrothermalen Aufstiegs von Erzlösungen aus dem
Erdinnern unter anderem mit Galenit
(Bleiglanz) imprägniert worden: Quarzkörner
sind mit dem Sandstein verkittet und bilden
dichte Konkretionen von 0,5-6 cm großen
Knottenerzen (Fig. 3). Charakteristisch für
diese Lagerstätte ist der eher geringe
durchschnittliche Bleigehalt von lediglich 1,0
bis 1,5 % und zugleich ein extrem niedriger
Silbergehalt. Es ist demnach zu vermuten,
dass die Gewinnung von Silber durch
Kupellation ökonomisch nur von untergeordneter Bedeutung war.
Ergiebige Bleierzlagerstätten lagen auch südlich von Stolberg, Kreis Aachen, an der
Wie Michael Bode bereits darlegte, kämen aus rein naturwissenschaftlicher Sicht auch Lagestätten im Raum Brilon
(Hochsauerlandkreis, Nordrhein-Westfalen) als Herkunftsgebiet in Frage. In den letzten Jahren haben sich Hinweise
gemehrt, dass dort in der kurzen Zeitspanne der augusteischen Eroberung zwischen 8 v. Chr. und 9. n. Chr. wohl
römischer Bleierzabbau einsetzte. Siehe Rothenhöfer 2003 und Hanel et al. 2005. Diese Region scheidet jedoch aufgrund historischer Sachverhalte aus. Denn nach der Niederlage des P. Quinctilius Varus im rechtsrheinischen
Germanien 9 n. Chr. ist eine umfangreiche römische Bleiproduktion rund 100 km östlich des Rheins nicht mehr vorstellbar. Unabdingbare Grundvoraussetzungen wie dauerhafte Sicherheit sowohl des Produktionsortes wie auch der
Verbindungswege waren nicht mehr gegeben, so dass Investitionen römischer Unternehmer in die
Wiederaufnahme der Erzgewinnung unterblieben sein dürften.
Zum Beispiel Davies 1935; Petrikovits 1958; Gechter 1993; Wegener 1993.
Zum Beispiel Eick 1867, 40 ff. zu Kall-Keldenich oder Alpen 1821 zu Gressenich.
Siehe zum Beispiel Bechert 2001, 7-8 (sehr summarisch).
Zu den Lagerstätten wie generell zur Geologie der Eifel siehe Meyer 1994.
Zur Nutzung der Eifellagerstätten in römischer Zeit Rothenhöfer 2005, 77-100, besonders 88-94 (Blei).
– 59 –
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Fig. 2:
Im südlichen Teil der
Provinz Germania Inferior
lagen bedeutende Zonen mit
Bleierzen vor allem im
Raum KallKeldenich/Mechernich
(Rechts unten) und wenig
südlich von AachenStolberg (Links oben).
Jüngste Forschungen halfen
zu klären, dass der Abbau
entsprechender Erze erstmals in römischer Zeit
wohl kurz vor der
Zeitenwende einsetzte.
Fig. 3:
In den Sandsteinflözen bei
Kall-Keldenich und
Mechernich ist die
Hauptmenge des Bleierzes
in Form so genannter
Erzknotten verteilt. Dies
sind Kügelchen aus
Quarzsand, die mit
Bleiglanz-, aber auch mit
Cerussit-Partikeln verkittet
sind. Sie kommen auch in
Wolken oder in Schnüren
vor. Im Bereich von
Störungen ist die Vererzung
am intensivsten. Als
„Blankgut“ (Bildmitte) werden mit Bleierz gefüllte
Hohlräume und Klüfte
bezeichnet.
– 60 –
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Nordwestflanke des Hohen Venns. Sie bildeten
dort zusammen mit der Gewinnung weiterer
Erze, unter anderem des Zinkerzes Galmei,
über lange Zeit einen wichtigen Wirtschaftszweig10. Die Bleiglanz- und Zinkerzvorkommen stehen dort an, wo Verwerfungen den
Kohlenkalk kreuzen. Vor allem in Hohlräumen
meist grobbankiger Kalke und Dolomite konnten sich Bleiglanz und andere primäre Sulfidvererzungen ablagern11. Die römische Bleiproduktion fand hier - wie auch die Eisengewinnung - bislang relativ wenig Beachtung,
ganz im Gegensatz zum Galmeiabbau, der die
Basis schuf für das Aufblühen der örtlichen
und regionalen Messingproduktion.
Die Anfänge des Abbaus
Vielfach findet sich der Hinweis, dass es in der
Nordeifel bereits in vorrömischer Zeit Bergbau
auf Bleierze durch Kelten gegeben habe und dass
demnach der Anfang des Bleierzbergbaus in die
vorrömische Epoche falle12. Eine exakte Analyse
der Überlieferungslage führt jedoch zu dem
Ergebnis, dass diese Angabe nicht zutreffend
ist. Vielmehr zeichnet sich aufgrund jüngster
Forschungen ein Bild ab, dem zufolge die
Anfänge des Bergbaus zwar noch in das 1. vorchristliche Jahrhundert gehören, allerdings erst
im Verlauf der letzten beiden Jahrzehnte vor der
Zeitenwende - und damit zu Beginn der römischen Epoche des Rheinlandes - einsetzen.
Bereits aus der archäologischen Fundlage zur
ausgehenden Latènezeit ergeben sich Zweifel an
einem vorrömisch-einheimischen Bergbau auf
Bleierze in der Region. Setzt man diesen aber
voraus, dann sollte doch mit einem gewissen
Fundniederschlag an Bleiobjekten wenigstens in
den regionalen Siedlungen zu rechnen sein. Dies
ist allerdings nicht der Fall. Die Fundspektren
gut untersuchter Siedlungen wie etwa der oppida von Hambach-Niederzier, Kreis Düren, und
Eschweiler-Laurenzberg, Kreis Aachen, sind frei
von jeglichen Bleifunden und liefern somit
10
11
12
13
14
15
keine Argumente für einen vorrömischen
Abbau13. Und auch im südlichen Teil der Eifel im
treverischen Heiligtum auf dem Martberg
(Pommern, Kreis Cochem-Zell) konnte keines
der zahlreich vorhandenen Fundstücke aus Blei
der “keltischen Zeit” zugeordnet werden, so dass
auch aus dieser Perspektive eine vorrömische
Nutzung der Eifel-Bleiressourcen nicht belegt
werden kann14.
Das zentrale Argument für “keltischen” Abbau
von Bleierzen in der Nordeifel sind “keltische
Münzfunde” in den Abbauregionen. Auch hier
erweist sich der Blick auf die Objekte als höchst
aufschlussreich. Forschungsgeschichtlich die
wichtigste Quelle ist hierbei folgende Notiz von
C.A. Eick aus dem Jahre 1867 über Funde verschiedener Typen “keltischer” Münzen in alten
Halden und Schächten bei Kall-Keldenich. Eick
beschreibt zwei Typen von Münzen, wobei aus
seinen Worten deutlich wird, dass es sich weder
um römische noch mittelalterliche oder neuzeitliche Gepräge gehandelt haben dürfte.
Obwohl er keine Angaben zum Material macht,
scheint es sich einmal um nicht näher zuweisbare Potinmünzen zu handeln, im zweiten Falle
gelingt aufgrund seiner Beschreibung ein
Identifizierung mit einem bekannten Münztyp:
“Keine der mit zu Gesichte gekommenen war
mit einer Umschrift versehen, das Gepräge derselben im Allgemeinen sehr roh und die
Figurenzeichnung nur durch kleinere oder größere Punkte angedeutet.” Die weitere
Beschreibung dieses Typs, von dem Eick fünf
Münzen vorlagen, ist aufschlussreich: “Auf der
Hauptseite eine sitzende Figur, die in der
Rechten eine Sichel, in der Linken einen nicht
erkennbaren Gegenstand hält; auf der Rückseite
befindet sich das Bild eines Hirsches”15. Diese
frühe Beschreibung - entstanden lange vor der
Etablierung einheitlicher Kriterien für die
Beschreibung von Münzen durch die numismatische Forschung - passt nur auf einen Münztyp,
der in der heutigen Forschung als Quinar des
Rothenhöfer 2005, 90-91.
Gussone 1964; Krahn et al. 1986.
Zum Beispiel Imle 1909, 6.
Hambach-Niederzier: Simons 1989. – Eschweiler-Laurenzberg: Joachim 1980. Zur möglichen Besiedlungsdauer siehe
auch die Bemerkungen von Lenz 1999, 73 Anm. 297.
Nickel et al. 2008, 55-56 besonders mit Anm. 232.
Eick 1867, 42.
– 61 –
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Fig. 4:
Münzen (Silberquinare) einheimisch-ubischen Typs
(Scheers Sch 57 II) wurden
sowohl am Schlangenberg
bei Stolberg-Breinigerberg
als auch am Tanzberg bei
Kall-Keldenich gefunden.
Sie belegen Bleierzabbau um
die Zeitenwende bzw. möglicherweise bereits in den
beiden Jahrzehnten davor.
Typs Scheers Sch 57 II (Quinar mit ‘tanzendem
Männlein’)16 benannt wird (Fig. 4). Es handelt
sich dabei um kleine Silbernominale, die den ab
ca. 20/19 v. Chr. in der Region ansässigen Ubiern
zugeschrieben werden können und die kaum
über die Zeitenwende hinaus in Umlauf waren17.
Es handelt sich demnach nicht um keltisch-vorrömische Münzen, sondern um einheimische
Gepräge, die bereits unter römischer Herrschaft
ausgebracht wurden und umliefen. In alten
Stollen und Halden aufgefunden, sind sie ein
sehr wichtiges Datierungselement: Bergbauliche Aktivitäten lassen sich so erstmals für die
letzten beiden Jahrzehnte vor der Zeitenwende
wahrscheinlich machen. Dies gilt nicht nur für
Kall-Keldenich, sondern auch für den Raum
Aachen-Stolberg, denn dort wurden Münzen
dieses Typs auch am Schlangenberg bei
Breinigerberg gefunden18.
Historische Überlegungen stützen dieses
16
17
18
19
Scheers 1983, 117 – 118 & Taf. XIII.
Heinrichs 2003, 281 ff. und 276 Karte 2b.
Löhr et al. 1980, 93.
Becker et al. 2001, 607.
– 62 –
Ergebnis: In die Anfänge des 2. Jahrzehnts v. Chr.
fällt auch die Anlage der Fernstraße Lyon-TrierZülpich-Neuss (bzw. später Köln), die bei KallKeldenich durch die Mechernicher Vererzungzone führt. Spätestens bei deren Ausbau sollte
die Lagerstätte den Römern, die generell ein großes Interesse an Bodenschätzen besaßen, aufgefallen sein. Dieses besondere Interesse der
Römer manifestierte sich auch in der raschen
Erschließung von Bleierzlagerstätten im rechtsrheinischen Germanien während der kurzen
Phase der augusteischen Okkupation (12/8 v. Chr.
bis 9 n. Chr.): sowohl rund 100 km östlich des
Rheins im Raum Brilon (Hochsauerlandkreis)
als auch in relativer Nähe Kölns auf dem
Lüderich bei Bergisch-Gladbach (RheinischBergischer Kreis) ist mittlerweile römischer
Bergbau mit guten Gründen anzunehmen beziehungsweise nachgewiesen. Wenn aber dort
innerhalb kurzer Zeit die Ausbeutung von
Bleierzlagerstätten aufgenommen wurde, sollte
dies auch für die Nordeifel vorausgesetzt werden. Dass bereits vor 9 n. Chr. Blei von den
Römern in Germanien produziert wurde, belegen ferner Wasserleitungsrohre, die in der augusteischen Siedlung von Lahnau-Waldgirmes
(Lahn-Dill-Kreis) entdeckt worden sind19. Dieses
Blei muss aufgrund seiner Isotopendaten entweder in der Nordeifel oder im Sauerland produziert worden sein.
Von ganz anderer Seite wird diese frühe
Datierung der Aufnahme bergbaulicher Aktivitäten in die letzten beiden Jahrzehnte vor der
Zeitenwende bestätigt. Denn bei der Untersuchung von Sedimenten mehrerer Eifel-Maare
fielen den Geologen in den Ablagerungen, die
aus den ersten Jahrhunderten der römischen
Epoche stammen, Anomalien im Schwermetallgehalt auf. Plötzlich, vor ca. 2000 Jahren, wurde
über die Atmosphäre ein Vielfaches an Blei in
die Gewässer eingetragen und dort einsedimentiert. Da die Isotopenwerte des abgelagerten
Bleis denen der Lagerstätten im Norden der Eifel
entsprechen, ist diese drastische Veränderung
Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:55 Pagina 63
nur durch einen schnell einsetzenden, massiven
Abbau regionaler Bleierze und durch deren
Verhüttung, bei der Blei in die Atmosphäre freigesetzt wird, zu erklären. Ausdrücklich weisen
die Geowissenschaftler G. Schettler und R.
Romer darauf hin: “There is no pre-Roman anthropogenic Pb anomaly in the sediments. Therefore,
Celtic Pb and Ag mining in the Northwestern Eifel
before the Roman occupation seems to have been insignificant or absent”20.
Der Aachen-Stolberger Bergbaudistrikt
Ca. 12-15 km südöstlich von Aachen wurde in
römischer Zeit vor allem zwischen Breinigerberg und Gressenich massiv Blei produziert21.
Die ältesten Siedlungsspuren in Form von
Keramik und Münzfunden – unter anderem ubische Quinare des Typs Scheers Sch 57 II - aus der
Zeit kurz vor beziehungsweise um die
Zeitenwende stammen vom Schlangenberg (Fig.
5) bei Breinigerberg. Diese früheste Siedlung
verlagerte sich wohl um die Mitte des 1.
Jahrhunderts n. Chr. um wenige hundert Meter.
Die Grundmauern einfacher römischer Gebäude
liegen heute unter den Häusern von Breiniger-
berg (Fig. 6)22. Ein weiterer vicus, dessen ökonomische Grundlagen ebenfalls Bergbau,
Metallproduktion und -verarbeitung waren, lag
ca. 5 km östlich bei Gressenich;23 dem bislang
bekannten Fundspektrum zufolge dürfte dieser
vicus etwas jünger sein und wohl ab flavischer
Zeit, dass heisst möglicherweise ab frühestens
70 n. Chr. existiert haben.
Wiederholt ließen sich einige der umfangreichen Schlackenhalden in dieser Region durch
Beifunde eindeutig in römische Zeit datieren, so
etwa im Raum Gressenich und bei Breinigerberg. Zwischen dem Schlangenberg und dem
vicus bei Breinigerberg wurde zudem ein
Kolluvium aus Dolomitsand, wie er bei der
Fig. 5:
Der Schlangenberg bei
Stolberg-Breinigerberg markiert eines der ältesten
Produktionsgebiete von Blei
im Bereich der römischen
Nordwestprovinzen. Spuren
alten Bergbaus in Form von
Pingen sind sowohl an dessen Hang als auch in der
näheren Umgebung anzutreffen. Münz- und
Keramikfunde deuten
darauf hin, dass der Abbau
von Bleierzen hier wohl
gegen Ende des 1.
Jahrhunderts v. Chr. einsetzte.
Fig. 6:
Am Fuße des
Schlangenbergs entstand
am Verbindungsweg
Varnenum – Gressenich ein
römischer Vicus, dessen
wirtschaftliche Grundlage
wohl ebenfalls auf dem
Metallerzabbau basierte.
20
21
22
23
Schettler et al. 1998, 795.
Rothenhöfer 2005, 90-91. Dort finden sich auch die jeweiligen Einzelnachweise.
Schmidt-Burgk 1923; Zedelius 1986; Löhr et al. 1980.
Jürgens et al. 1981; Gerlach et al. 1992.
– 63 –
Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:55 Pagina 64
Erzwäsche anfällt, beobachtet. Dieser Sand enthielt unter anderem Bleischlacken, zudem römische Keramik- und Ziegelfragmente. Römische
Bleischlackenhalden avancierten aufgrund ihres
hohen Metallgehaltes ihrerseits im 19.
Jahrhundert zu begehrtem Abbaugut und wurden industriell verwertet. Dies trifft zum
Beispiel für die bis zu 5 m mächtigen
Bleischlackenhalden zu, die einst im Gelände
zwischen den Bleierzgruben Diepenlinchen und
Römerfeld lagen24. Ausgedehnte römische
Bleischlackenhalden sollen sich zudem zwischen Werth und Gressenich sowie zwischen
Gressenich und der Mausbacher Heide befunden haben25.
Der Mechernicher Distrikt
In dem Bleierzdistrikt am östlichen Rand des
Mechernicher Trias-Dreiecks lagen die
Schwerpunkte bergmännischer Aktivitäten in
römischer Zeit am Tanzberg bei Keldenich und
am Bleiberg bei Kommern/Mechernich26. Hier
erfasste der Abbau leicht zugängliche Bereiche
der Lagerstätte. Am Tanzberg bei Keldenich
lässt sich ein alter Pingen- und Haldenzug mit
einer Ausdehnung von 750 x 300 m verfolgen;
der Tagebau erreichte hier eine Teufe von 73 m.
Immer wieder wurden in diesem Bereich Funde
aus römischer Zeit geborgen wie Münzen,
Ziegel- und Keramikfragmente27. Am Nordhang
des Tanzberges (Flur Schließenmaar) befinden
sich zudem Rückstandshalden ausgewaschener
Sande, wie sie bei der Bleierzaufbereitung anfallen. Sie werden von der römischen
Eifelwasserleitung, die nach Köln führt, durchschnitten und müssen deshalb bereits in der
Zeit vor dem Bau der Leitung angehäuft worden
sein28. Mitteilungen von Funden alter bergbaulicher Relikte liegen auch vom Bleiberg bei
Kommern/Mechernich vor. Zahlreiche alte
24
25
26
27
28
29
30
31
32
Abbaue liegen ferner am Südrand des
Kallmuther Berges ebenso wie bei Roggendorf29.
Wie im Aachen-Stolberger Distrikt wirkte auch
hier der Bergbau siedlungsfördernd. Ein vicus,
der wohl auch das ökonomische Zentrum dieses
Abbaureviers darstellte, entstand bei KallKeldenich in unmittelbarer Nachbarschaft zum
Tanzberg30. Von großer Bedeutung dürfte gewesen sein, dass die Fernstraße Köln-Trier durch
diesen hindurch führte und dadurch eine gute
Verkehrsanbindung gegeben war. Ein weiterer,
östlicher Abzweig dieser Fernstraße erschloss
Abbaugebiete am Mechernicher Bleiberg und
bei Kommern und dürfte sich positiv auf die
ökonomische Entwicklung der Region ausgewirkt haben31.
Erwähnenswert ist ferner ein kleines
Bleigewicht, das im Raum Mechernich gefunden wurde und die Eigentumsmarkierung einer
militärischen Einheit, der 16. Legion, trägt32.
Bislang ist es der einzige konkrete Hinweis auf
eine - wenigstens - zeitweilige militärische
Präsenz in diesem Bleierzabbaugebiet. Dabei ist
noch völlig offen, ob das Bergbaugebiet militärisch extra gesichert war oder ob es sich lediglich um das Zeugnis einer vexillatio dieser
Legion handelt, die zur Baustoffgewinnung
abkommandiert war. Für letzteres spricht die
Tatsache, dass die 16. Legion, die von 41 n. Chr.
bis 70 n. Chr. in Neuss stationiert war, dort
umfangreiche Baumaßnahmen durchführte.
Wirtschaftliche Strukturen des
Abbaubetriebs
Die bislang bekannten Funde und Befunde aus
den Abbauregionen belegen Abbauaktivitäten
in der römischen Epoche über mehrere
Jahrhunderte. Nähere, wirtschaftshistorisch
relevante Informationen wie beispielsweise zum
Umfang des Abbaus, zu Produktionsmengen
Werner 1881, 147; Bonner Jahrbuch 159, (1959), 415-416. Vergleiche Jürgens et al. 1981.
Alpen 1821; Voigt 1955/56; Rothenhöfer 2005, 90.
Rothenhöfer 2005, 88-90.
Rothenhöfer 2005, 89 Anm. 84.
Ibid.
Ibid.
Eick 1867, 39-40; Hagen 1931, 131; Rothenhöfer 2005, 89.
Bonner Jahrbuch 31, (1861), 43, 206; Eick 1867, 36 ff.; Veith 1885, 12; Hagen 1931, 131-132, 168; Grewe 1995, 80;
Rothenhöfer 2005, 89.
Petrikovits 1960, 68 mit Anm. 118; Horn 1987, 156 Abb. 91, wo das 6,3 cm lange und 268 g schwere Objekt irrtümlich
als Bleibarren benannt wird.
– 64 –
Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:55 Pagina 65
und Absatzregionen geben sie aber nicht her.
Ebenso wenig ermöglichen sie Einblicke in die
Struktur und Organisation des Abbaus. Hier
kommen nun andere Fundgattungen und
Disziplinen zum Tragen.
Dass hierzu dennoch Aussagen möglich sind,
verdanken wir vor allem einer Fundgruppe: den
Bleibarren. Wie bereits kurz angedeutet, hat
sich in den letzten Jahren die Zahl von
Bleibarren, die im römischen Germanien produziert worden sind, durch Wrackfunde im westlichen Mittelmeer ganz erheblich vermehrt. Wie
im Fall des Barren aus Tongeren sind es vor
allem die auf den Barren angebrachten
Inschriften, die wesentliche Informationen
bereithalten: Die Nennung des Kaisers Tiberius
ist nicht nur ein wichtiger Datierungsanhalt die Verwendung des praenomen Imperatoris, den
anzunehmen Tiberius bekanntlich abgelehnt
hat - könnte möglicherweise darauf hindeuten,
dass die Produktion des Barrens in die
Anfangszeit der Regierung des Tiberius zu
datieren ist. Auf jeden Fall verfügte dieser Kaiser
über Bergwerksbesitz in Germanien, und wie
wir durch die Isotopenuntersuchung wissen,
speziell in der Nordeifel. Die Abkürzung TEC am
Ende der Kartuscheninschrift könnte eventuell sofern es sich um eine tria nomina-Abkürzung
handelt - auf einen Pächter kaiserlicher Gruben
hindeuten. Ganz sicher ist diese Interpretation
allerdings nicht. Dass eine derartige Bewirtschaftungsstruktur jedoch nicht unwahrscheinlich ist, belegen wiederum Barren aus
Germanien, die noch in die Zeit des Augustus
gehören. Die Ladung des Wracks St.-Maries-dela-Mer 1 bezeugt unzweifelhaft die Verpachtung
kaiserlicher Bleigruben an einen privaten
Unternehmer, Lucius Flavius Verucla33. Denn
sämtliche Barren aus der Produktion dieses
33
34
35
Unternehmers, die sich auf dem Schiff befanden, waren mit Imp(eratoris) Caes(aris)-Stempeln
als kaiserliches Eigentum gekennzeichnet. Da
ein Ankauf durch den Kaiser sehr unwahrscheinlich ist, dürfte es sich um den Teil der
Produktion handeln, den der Pächter der
Gruben an den Verpächter - sprich den Kaiser laut Vertrag abzugeben hatte. In einem anderen
Fall
kennen
wir
eine
anonyme
Pachtgesellschaft, socii, die Bleigruben in
Germanien gepachtet hatten (Fig. 7)34. Andere
“germanische” Barren des Augustus stammen
aus Bergwerken, die der Prinzeps wohl direkt
bewirtschaften ließ. Neben dieser direkten
Metallproduktion unter Aufsicht von
Angehörigen der familia des Prinzeps - Werner
Eck hat in diesem Zusammenhang wiederholt
auf einen in Köln bezeugten kaiserlichen
Kassenverwalter (dispensator) aufmerksam
gemacht, der wohl unter Augustus und Tiberius
am Rhein tätig war35 - ist die Verpachtung an einzelne Unternehmer bzw. Gesellschaften mittlerweile gut belegt. Damit erhellt sich zumindest in
Grundzügen die Bewirtschaftungsstruktur.
Die Wracks mit Blei aus Germanien sind noch in
anderer Hinsicht höchst aufschlussreich. Das
Wrack St.-Maries-de-la-Mer 1 hatte 99 Barren
geladen, was ein Gesamtgewicht der Bleiladung
von rund 5,5 t ergibt. Und auch das Wrack bei
Rena Maiore (Aglientu, Sardinien) beinhaltete
mehrere Tonnen germanischen Bleis. Setzt man
voraus, dass wir mit den Wracks nur einen sehr
geringen Teil des antiken Transport- bzw.
Warenverkehrs erfassen, dann sollte von ganz
erheblichen Produktionsmengen ausgegangen
werden. Diese Schlussfolgerung findet
Bestätigung durch Berechnungen der Geologen
G. Schettler und R.L. Romer: Sie bestimmten auf
der Grundlage der erhöhten, anthropogen verFig. 7:
Umzeichnung der
Produzenteninschrift auf
einem Barren, der als
Einzelfund in der
Rhônebucht geborgen
wurde. Genannt sind (im
Genitiv) socii, d.h.
Geschäftspartner einer
Pachtgesellschaft, die im
römischen Germanien Blei
produzierten.
Rothenhöfer 2003.
Laubenheimer-Leenhardt 1973, 124-125; Rothenhöfer 2005, 92.
Eck et al. 2003; Eck 2004, 93-94. Eck 2007.
– 65 –
Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:55 Pagina 66
Fig. 8:
Massiver Bleibarren aus dem
Moselort St. Aldegund (Kr.
Cochem-Zell, RheinlandPfalz), den ein dreifach aufgedrückter Stempel als kaiserliches Eigentum ausweist. Wohl zwischen 425455 n. Chr.
ursachten Bleiablagerungen römischer Zeit im
Schalkenmehrener und Meerfelder Maar
(Vulkaneifel) die durchschnittliche Jahresproduktion an Blei in den nördlich benachbarten Bergwerksbezirken. Unter der Annahme,
dass die zugrunde liegenden Bleiemissionen von
der metallurgischen Aufbereitung bzw. Verarbeitung von Bleierzen herrühren, kommen sie zu
folgendem Ergebnis: die durchschnittliche jährliche Produktionsmenge an Blei habe - über
einen Zeitraum von 230 Jahren - bei rund 450 t
gelegen36. Auch wenn dieser Wert sicherlich
etwas nach unten zu korrigieren ist, da ein Teil
der Emissionen nicht vom Verarbeitungsprozess der Bleierze, sondern durch den Versuch
der Silbergewinnung in Kupellationsöfen herrühren könnte, so bleiben die produzierten
Quantitäten doch gewaltig. Setzt man beispielsweise eine Produktionsmenge von 1 t pro Tag
voraus, dann hätte alle 5-6 Tage eine Großladung
- vergleichbar der des Wracks St.-Maries-de-laMer 1 - die Region verlassen können.
Die Wracks in der Rhônebucht und vor
Sardinien deuten bereits an, dass Blei aus
Germanien überregional von Bedeutung war.
Untersuchungen an römischem Blei aus der
Westschweiz bestätigten dies. Blei aus den
Eifellagerstätten fand auch in dortigen
Siedlungen reichlich Verwendung37.
Schluss
Die Forschungen der letzten Jahre haben dazu
beigetragen, das Wissen um die Nutzung des
Rohstoffes Bleierz in der Nordeifel in der römischen Epoche ganz erheblich zu erweitern.
Dennoch bleibt eine Vielzahl an Fragen zu klären. Dazu gehört, den weiteren Verlauf der
Abbauaktivitäten zu erhellen. Die massiv erhöhten Bleiwerte in den Sedimenten der Eifelmaare
erstrecken sich nur über einen Zeitraum von
rund 230 Jahren, dann sinken die Werte deutlich
ab. Kam es etwa in der ersten Hälfte des 3.
36
37
38
39
Schettler et al. 1998, 795.
Guénette-Beck et al. 2002.
Gottschalk et al. 2001.
Rothenhöfer 2007.
– 66 –
Jahrhunderts n. Chr. zu einem Produktionseinbruch, und was könnten die Ursachen gewesen sein? Gleichzeitig aber ist in Betracht zu ziehen, dass durchaus noch Bleiproduktion - wenn
auch indirekt - belegt ist: Bleisärge aus dem
Kölner Raum des 3. und 4. Jahrhunderts sind aus
Blei gefertigt, das regionalen Eifellagerstätten
entstammt38. Selbst für die erste Hälfte des 5.
Jahrhunderts deutet ein Barren, der bei St.
Aldegund (Kreis Cochem-Zell) an der Mosel
gefunden wurde, auf römischen Abbau in kaiserlichen Gruben wohl der Nordosteifel hin
(Abb. 8)39. Damit sind es in eindrucksvoller
Weise die Bleibarren als unmittelbare Bergbauprodukte, die Zeugnis geben von einer
Jahrhunderte währenden Nutzung dieser
Lagerstätten, die sich im Besitz der römischen
Kaiser befanden.
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Abbildungsnachweis
Fig. 1, 5-8: P. Rothenhöfer. Fig. 2. Gallo-Romeins
Museum Tongeren. Fig. 3: M. Bode. Fig. 4: W. Eck.
– 67 –
Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:55 Pagina 68
Auf den Spuren des Bleis
der Römer:
Das Forschungsprojekt
Corpus der römischen
Bleibarren
Peter Rothenhöfer, Norbert Hanel & M. Bode 1
Einleitung
Blei stand – was die Aufmerksamkeit in den
Altertumswissenschaften wie auch in der antiken literarischen Überlieferung betrifft –
immer im Schatten der kostbaren Edelmetalle
und des unter anderem als Münzmetall
gebrauchten Kupfers. Dabei war Blei in römischer Zeit durchaus kein unwichtiges Metall.
Unter dem Aspekt des Gebrauchswertes
betrachtet nahm es sogar einen bedeutenden
Rang ein.
1
2
In den vorgeschichtlichen Epochen wurde Blei
aufgrund seiner Materialeigenschaften nicht
bzw. nur in geringem Umfang genutzt, denn
es eignete sich aufgrund seiner leichten
Verformbarkeit nicht zur Herstellung von
Waffen2, zudem schied eine Nutzung als
Material für Schmuckgegenstände aufgrund
der raschen Bildung einer unansehnlichen
Oxidationsschicht weitgehend aus. Es waren
eben die Werkstoffeigenschaften wie hohe
Dichte, niedriger Schmelzpunkt (327˚ C),
Dr. Peter Rothenhöfer, Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik des Deutschen Archäologischen Instituts,
Amalienstrasse 73b, D-80799 München. E-mail:
rothenhoefer@aek.dainst.de – Dr. Norbert Hanel, Universität zu Köln, Archäologisches Institut - Archäologie der
römischen Provinzen, Albertus-Magnus-Platz, D-50923 Köln. E-mail: norbert.hanel@uni-koeln.de – Dr. Michael
Bode, Deutsches Bergbau-Museum Bochum, Forschungsstelle für Archäologie und Materialwissenschaften,
Archäometallurgie, Hernerstr. 45, D-44787 Bochum. E-mail: michael.bode@bergbaumuseum.de
Schleuderbleie kamen wohl erst im Verlauf des 5. Jahrhunderts v. Chr. in Griechenland auf. Siehe Weiss et al. 2010.
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leichte Verformbarkeit und die Eigenschaft,
Edelmetalle zu binden, die in römischer Zeit
zum Tragen kamen.
Die Einsatzmöglichkeiten waren vielfältig
(Fig. 1): Bedeutsam war die Verwendung im
Bausektor, vor allem beim Vergießen von
Eisenklammern und -dübeln, die Steinquader
zusammenhielten. Hierbei wurden große
Quantitäten verbraucht. Exemplarisch sei auf
die Porta Nigra in Trier verwiesen: Modernen
Schätzungen zufolge waren 7 Tonnen Blei zur
Verfüllung der Eisenverdübelungen der
Quadersteine dieses Stadttores vonnöten3.
Weiterhin konnten zum Beispiel Dächer mit
Bleiplatten gedeckt werden. Entsprechende
Zeugnisse mehren sich in der Spätantike.
Bedeutsam war Blei als Rohstoff zur
Anfertigung von Bleirohren; allein in der
Region Lyon wurden für Druckwasser-SiphonLeitungen römischer Aquaeduktsysteme nach
modernen Schätzungen zwischen 10.00015.000 Tonnen Blei verwendet4. Ferner diente
das Weichmetall zur Produktion von
Bleigefäßen und Bleisarkophagen, zur
Herstellung von Bleiplomben, Warenetiketten, Fluchtäfelchen, Schleuderbleien oder
auch zur Edelmetallurgie (Kupellation). Auch
im Bereich der antiken Schifffahrt spielten
Geräte aus Blei eine wichtige Rolle, sei es als
Anker, Netzbeschwerer oder als Material für
Rohre, Pumpsysteme oder Behältnisse verschiedenster Art5. Von der Alltäglichkeit und
Vielfältigkeit der Nutzung von Blei im
Römischen Reich zeugt nicht zuletzt die erstmalige Entstehung eines spezialisierten bleiverarbeitenden Metallhandwerkerberufes, der
plumbarii6.
Fig. 1
Eine der zahlreichen
Verwendungsmöglichkeiten
von Blei im Alltag demonstriert diese römische
Handmühle (mola manuaria). Um die Festigkeit der
zentralen Achse zu gewährleisten, hatte man sie mit
Blei vergossen. Museo
Arqueologico de Portman,
Prov. Murcia, Spanien.
Fig. 2
Bedeutende
Bleierzabbauregionen lagen
vor allem im Westteil des
Römischen Reiches.
3
4
5
6
Schwinden 2001, 143 ff.
Trevor Hodge 1983, 220-221.
Rosen et al. 2007.
Rothenhöfer & Hanel (in Vorbereitung).
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Fig. 3
Der römische
Bleibergbaubetrieb zeichnet
sich dadurch aus, dass die
Barren in grosser Zahl und
standardisierter Form produziert wurden. Typisch für
die hispanischen Provinzen
sind längliche Barren mit
rundem Rücken, auf dem
sich zentral angeordnet ein
oder mehrere Kartuschen
mit Inschrift oder Marken
befinden. Hier in
Schrägansicht ein Exemplar
aus Cartagena (Spanien).
Die Inschrift bezeichnet den
Barren als Produkt des im
2./1. Jahrhundert vor
Christus tätigen
Unternehmers C(aius)
Aquinius, Sohn des Marcus.
Die wichtigsten Bergbaureviere
Es ist demnach ein enormer Verbrauch im
Imperium Romanum vorauszusetzen, der
durch die Produktion in den verschiedenen
Abbaugebieten des Reiches gedeckt werden
musste. Die wichtigsten Reviere lagen dabei
im Westteil des Imperiums (Fig. 2)7: Zu nennen
sind vor allem die beiden bedeutenden
Abbauregionen der Iberischen Halbinsel, die
Region um Cartagena-Mazarrón mit ihren jungen subvulkanischen Hydrothermalvererzungen8 und die Sierra Morena mit ihren
herzynischen Sulfid-Vererzungen9. Beide wurden schon in republikanischer Zeit ausgebeutet, wobei die Gewinnung von Silber im
Vordergrund stand. Wohl ab augusteischer
Zeit lieferten auch Bergwerke auf dem Balkan,
vor allem aus der späteren Provinz Moesia
Superior, Blei10. Mit der Eroberung Britanniens
ab claudischer Zeit setzte auch dort eine
umfangreiche Bleigewinnung in verschiedenen Revieren ein11 Kleinere, aber nicht weniger
bedeutende Abbaugebiete bestanden z. B. auf
Sardinien12 und – wie sich durch Forschungen
der letzten Jahre abzeichnet – auch in den germanischen Provinzen. Hier sind vor allem zu
nennen: Die Nordeifel mit Lagerstätten bei
Mechernich, Kr. Euskirchen, und bei Stolberg,
7
8
9
10
11
12
13
Kr. Aachen. Kurzzeitig wurde mit großer
Wahrscheinlichkeit Blei auch im nördlichen
Sauerland auf der Briloner Hochfläche unmittelbar nach der Eroberung des rechtsrheinischen Germanien unter Augustus gewonnen;
kleinere Erzreviere bestanden zudem an der
Unteren Lahn und bei Wiesloch nahe Heidelberg. Abbaustellen sind ferner vom Lüderich
bei Bergisch-Gladbach und von der Grube
Altglück bei Königswinter-Oberpleis im
Siebengebirge bekannt13.
Bleibarren als historische Quellen
Unser Wissen über römischen Bleibergbau
beruht u. a. auf der literarischen Überlieferung
– hier ist an erster Stelle auf Buch 34 der
Naturgeschichte des Plinius zu verweisen –,
doch sind die Informationen mehrheitlich nur
punktueller Natur. Zu manchen Regionen
schweigen die antiken Schriften diesbezüglich
gänzlich, wie zum Beispiel zu Germanien.
Auch montanarchäologische Funde und
Befunde tragen eher selten zu einem vertieften
Kenntnisstand über Größe, Dauer und
Intensität der Erzgewinnung in den einzelnen
Revieren bei, da jüngerer Abbau in der Regel
die Spuren älterer Nutzungsphasen zerstörte.
Viel stärker sind es die unmittelbaren Berg-
Römischer Bleierzabbau ist z. B. auch in Nordafrika (Marokko, Tunesien, Ägypten) und der Türkei nachgewiesen.
Die ökonomische Bedeutung ist allerdings vielfach noch unklar. Die attischen Silbergruben von Laurion
(Griechenland) spielten dagegen in römischer Zeit keine überregionale Rolle mehr. Siehe Meier 1995.
Zur Geologie zum Beispiel Urban 1968; Pavillon 1969; Graeser 1970. – Aus Cartagena stammen zum Beispiel die
Barren aus den antiken Wracks von Comacchio, Mahdia und Mal di Ventre. Siehe Domergue et al. 2005; Begemann et
al. 1994; Pinarelli et al. 1995, 79–86.
Zur Geologie z. B. Lecuyer et al. 1998; San José et al. 2004.
Genovesi 2005 mit weiterer Literatur.
Tylecote 1964.
Valera et al. 2005.
Vgl. Rothenhöfer 2005, 88–94.
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bauprodukte, d. h. Bleibarren, die zu einem
deutlichen Kenntnisgewinn beitragen können.
Römische Bleibarren stellen eine besondere
Fundgruppe dar. Sehr viele Barren tragen
Guss- und/oder Stempelinschriften und
Schlagmarken. Schon in republikanischer Zeit
entwickelte sich das Phänomen, dass die
Produzenten des Bleis bereits bei der Herstellung des Produkts ihren Namen, in einigen
Fällen erweitert um Herkunfts- oder Warenbezeichnung, in Form mitgegossener
Kartuscheninschriften dauerhaft anbringen
ließen (Fig. 3). Über 90 % aller Bleibarren tragen derartige Produzenteninschriften. Bedeutsam sind darüber hinaus weitere Arten von
Inschriften, die sich auf den Barren finden.
Dazu zählen in erster Linie mit Buchstabenstempeln eingeschlagene Markierungen, die
ebenfalls auf den Produzenten verweisen können, öfters aber Kontrollvorgänge und/oder
Besitzerwechsel anzeigen dürften und die sich
auf nahezu fast allen Barren finden. Weitere
Kategorien von Barrenmarkierungen sind zum
einen Gewichtsangaben, die in der Regel mit
einem Meißel eingeschlagen wurden, und zum
anderen Zahlenangaben, oft in der Form von
Graffiti.
Das Erkenntnispotenzial allein der Produzenteninschriften berührt unter anderem
Fragen der Herkunft und sozialen Stellung der
genannten Personen, etwa wenn wie im Falle
der plumbum Germanicum-Barren aus Soest
und aus dem Wrack Saintes-Maries-de-la-Mer
1 sich ein sehr wahrscheinlich in augusteischer
Zeit aus Hispanien in das neu eroberte
Germanien zugewanderter Bergwerksunternehmer namens Lucius Flavius Verucla fassen
lässt. Um in umfassenderem Sinne untersuchen zu können, welche Unternehmer welcher
Herkunft an welchen Orten und in welchem
Zeitraum im Bleigeschäft tätig waren, ist eine
reichsweite Zusammenstellung aller Objekte
notwendig. Dies ist das Ziel eines interdisziplinären Forschungsprojekts zwischen der Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik
des Deutschen Archäologischen Instituts und
dem Deutschen Bergbau Museum Bochum14.
Auch die Namen von mindestens 14 verschiedenen Kaisern vornehmlich des 1. und 2.
Jahrhunderts sind auf Bleibarren zu lesen,
wodurch diese als Besitzer entsprechender
Minen in verschiedenen Provinzen ausgewiesen sind (Fig. 4). Jenseits der Frage der
Lokalisierung dieser Bergwerke und ihrer
Betrachtung als bedeutende Einnahmequellen
des Kaisers sind gerade diese Barren von
Interesse für eine der zentralen Fragen der
Struktur dieses Wirtschaftszweiges. Dabei gilt
es zum Beispiel, die vor allem in Teilen der
Forschung unter dem Eindruck einiger weniger Historikerstellen15 vertretene Hypothese
einer mit Tiberius einsetzenden kaiserlichen
Politik einer Monopolisierung der Bodenschätze kritisch zu überprüfen. Bleibarren lie-
Fig. 4
Länglich pyramidenstumpfförmige Barren, bei den sich
die Kartusche über den
gesamten Rücken erstreckt,
scheinen in der frühen
Kaiserzeit aufzukommen.
Dieses Exemplar aus
Sardinien entstammt kaiserlichen Metallgruben, wie die
Inschrift Caesaris Aug(usti)
anzeigt. Altes Museum
Berlin, Deutschland.
14
15
Die Arbeiten konnten im Herbst 2009 dank der großzügigen finanziellen Unterstützung der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG) aufgenommen werden.
Strabo 3,2 zu Besitzverhältnissen spanischer Minen; Tac. ann. 6,19,1 zur Verurteilung des Sex. Marius; Dio 52,28,5
über Bodenschätze als bedeutendste feste Einnahmequelle des Staates. Vgl. zuletzt Hirt 2010, 84-106.
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fern auch in dieser Frage Anhaltspunkte, etwa
wenn eine Gebietskörperschaft in der Gussinschrift als Produzent erscheint wie zum
Beispiel im Fall der gallischen Segusiaver16. Ein
Pachtverhältnis ist in diesem Fall auszuschlieFig. 5
Die Entnahme weniger
Milligramm metallischen
Bleis erfolgt in der Regel auf
der Unterseite der Barren
mittels eines AkkuDrehbohrers. Aufbereitung
und Messung der Probe liegen in den Händen eines
Spezialisten der
Forschungsstelle für
Archäologie und
Materialwissenschaften des
Deutschen BergbauMuseums Bochum.
ßen. Vielmehr dürfte die Civitas der Segusiaver zu der Zeit, als der Barren produziert
wurde, das ius metallorum besessen haben. Der
Zugriff auf das Material unter dem Aspekt der
Besitzverhältnisse führt zu einer weiteren zentralen Frage: Wem flossen die Einnahmen aus
dem Bergbaubetrieb zu?
Darüber hinaus erlauben die Barreninschriften konkrete Einblicke in die Organisation des
Abbaubetriebes. Beispielsweise lassen sich
einige private Produzenten mit großer
Sicherheit als Pächter von Minen auf kaiserlichem Bergwerksbesitz nachweisen, da ihre
Barren später mit Stempeln als kaiserlicher
Besitz markiert wurden. Ein Aufkauf dieses
Materials durch den Kaiser ist eher unwahrscheinlich; viel eher dürfte es sich um den Teil
der Produktion handeln, der an den Verpächter, in diesem Falle den Kaiser, abzuführen
war17. Eine umfassende Zusammenstellung
und Untersuchung aller Barreninschriften ist
die Voraussetzung, um auch in der Frage der
Organisationsformen des Produktionsbetriebes zu vertieften Einsichten zu gelangen.
16
17
18
19
Von großer Bedeutung ist ferner, dass das
Material selbst für die Altertumsforschung
relevante Informationen bereithält (Fig. 5).
Naturwissenschaftliche spektrometrische
Analysemethoden ermöglichen die Bestimmung der Bleiisotopenanteile im Metall und
geben dadurch Anhaltspunkte für eine
Herkunftsbestimmung, die auf dem Vergleich
mit den entsprechenden Werten von Erzen
potentieller Liefergebiete beruht. Wichtig
sind diese naturwissenschaftlichen Provenienzstudien in den Fällen, wo die Barren keinen Herkunftsvermerk wie zum Beispiel
(plumbum) Britannicum oder Germanicum tragen. Dies ist aber bei der überwiegenden
Mehrzahl der Barren der Fall. Und selbst bei
den Fällen, bei denen bereits inschriftlich eine
Herkunftsregion genannt ist, besteht die
Möglichkeit, die Provenienz enger – wenn
nicht sogar genau – einzugrenzen, wie etwa im
Falle der Germanicum-Barren des Wracks
Saintes-Maries-de-la-Mer 1, die innerhalb des
römischen Germanien nur aus der Nordeifel
oder dem nördlichen Sauerland stammen können.
Eine selten untersuchte Frage ist diejenige
nach der Art und Weise, wie römische
Bleibarren hergestellt wurden, da man bislang
keine entsprechenden Gussformen entdeckt
hat18. Als Material der Gussformen werden
gebrannter Lehm, Metall oder Holz in
Erwägung gezogen. Von größter Wichtigkeit
dürfte in diesem Zusammenhang eine
Bleimatrize aus der Gegend von Mazarrón
(Prov. Murcia, Spanien) sein. Sie zeigt spiegelverkehrte, eingetiefte Buchstaben. Das
Formular stimmt mit Kartuscheninschriften
auf Bleibarren überein19. Im Mittelpunkt der
Untersuchungen muss die Frage stehen, wie
diese Bleimatrize mit den eigentlichen
Corpus Inscriptionum Latinarum XII 5700.
Regelungen der hadrianischen lex metalla dicta aus dem portugiesischen Aljustrel/Vipasca zeigen, dass dort dem
Kaiser als Verpächter ex more ein vertraglich festgelegter Anteil der Produktion zustand. Dort heißt es in Abs. 5: ... ita
ut, cum venae ex eo proferentur, ex more pars dimidia fisco salva sit. - ... so dass, wenn aus ihr (der Grube) erzhaltiges
Gestein gefördert wird, nach alter Gewohnheit die Hälfte dem Fiskus vorbehalten ist. Den Text mit deutscher Übersetzung gibt Flach 1979.
Whittick 1961.
Domergue 2005b, 188 Kat.-Nr. 66-67.
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Gussformen verbunden war. Ferner ist zu
überprüfen, wie viele Bleibarren ungefähr aus
einer Gussform gewonnen werden konnten.
Archäometallurgische Experimente versprechen
neue
Erkenntnisse
zu
den
Herstellungsprozessen der Bleibarren und
Einblicke in die Organisation des antiken
Bleibergbaus.
Von fundamentaler Bedeutung ist, dass bislang kein anderes Metall – sei es Eisen, Kupfer,
Zinn etc. – ähnlich umfassende Möglichkeiten
einer epigraphischen und zugleich naturwissenschaftlichen Auswertung bietet; zudem
existiert von keinem anderen Metall eine auch
nur annähernd vergleichbar hohe Anzahl massiver Barren. Die Gesamtzahl aller bekannten
römischen Bleibarren dürfte bei knapp unter
2.500 Exemplaren liegen, wobei in den letzten
Jahrzehnten Wrackfunde mit zum Teil großen
Landungen an Bleibarren die Zahl hat in die
Höhe schnellen lassen. Gegenüber einer ersten
Übersicht durch Maurice Besnier aus den
Jahren 1920/21 mit rund 150 bekannten Barren,
die etwa 70 verschiedene Inschriften tragen,
hat sich das Material demnach in außerordentlicher Weise vervielfacht20. Allerdings ist zu
konstatieren, dass ein aktueller Überblick über
diese Materialgruppe ein Desiderat darstellt.
Allenfalls sind vereinzelte, jeweils sehr zerstreut publizierte Fundberichte erschienen.
Eine Zusammenstellung und umfassende
Auswertung unter epigraphischen, archäologischen
und
archäometallurgischen
Gesichtspunkten – wie sie im Rahmen des
Projekts Corpus der römischen Bleibarren
(Corpus massarum plumbearum Romanarum –
CMPR) seit September 2009 betrieben wird –
stellt eine vorzügliche Basis dar, um die oben
skizzierten Fragestellungen zu beantworten.
20
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Abbildungsnachweis
Fig. 1-5: P. Rothenhöfer
Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:55 Pagina 75
Schlussbetrachtung
Der Barren des Tiberius aus TongernVermeulenstraat liefert interessante Erkenntnisse über die Frage der Ausbeutung von
Bleierzen im römischen Germanien. Zunächst
wird dadurch das kaiserliche Engagement in
der Produktion gut belegt, und zwar nicht nur
in den Militärbezirken der Eroberungsphase,
sondern auch in der Provinz Niedergermanien.
Nach einer langen Periode, in der das Blei aus
Germanien von Forschern gänzlich ignoriert
wurde, erscheint durch die jüngsten Arbeiten
eine Produktion im Sauerland unter Augustus
sehr wahrscheinlich. Sie dauerte wohl nur sehr
kurz, dürfte aber umfangreich gewesen sein.
Der Export germanischen Bleis in den
Mittelmeerraum ist gut belegt. Der Barren von
Tongeren belegt zum ersten Mal kaiserliches
Eigentum im frühen 1. Jahrhundert n. Chr. an
den Minen der Nordeifel; bislang war lediglich
eine spätere Produktion bekannt (z.B. durch
die Marke der 16. Legion auf einem Bleigewicht
aus Mechernich oder durch einen Barren aus
St. Aldegund). Auch das unseres Erachtens
toponymische Element reiht sich besonders
gut in das Bündel von naturwissenschaftlichen und historischen Argumenten ein, die
für eine Bleiproduktion in der Eifel in der
römischen Epoche sprechen.
Zeitenwende. Die Inschrift auf dem Bleibarren
aus Tongeren belegt eindrucksvoll, dass die
Abbaubezirke in der Nordeifel zur Zeit des
Tiberius (14-37 n. Chr.) Teil des patrimonium
principis waren. Als kaiserliche Minenbezirke
dürften sie bereits mit der Aufnahme der
Produktion unter Augustus eingerichtet worden sein. Über einen Zeitraum von wenigstens
230 Jahren wurde dort Blei in großen Mengen
produziert, doch ist römische Produktion
noch in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts
nachgewiesen.
In der Nordeifel existierten in römischer Zeit
zwei bedeutende Abbaubezirke für Bleierze.
Der eine umfasste den zentralen Bereich der
Mechernicher Blei-Zink-Lagerstätte mit
Schwerpunkt am Tanzberg bei Kall-Keldenich,
der andere befand sich wenige Kilometer südlich von Stolberg (Kr. Aachen) im Raum
Breinigerberg-Diepenlinchen-Gressenich.
Hinweise für einen vorrömischen (“keltischen”) Bergbau fehlen. Vielmehr belegen ubische Münzen und ein sprunghaft erhöhter
Bleigehalt in Sedimentablagerungen von EifelMaaren einen Beginn der Bleiproduktion in
den letzten beiden Jahrzehnten vor der
Um ein besseres Bild von der Bleiproduktion
und –versorgung im gesamten römischen
Reich und den Veränderungen in diesem
Produktionssektor im Laufe der Zeit zu erhalten, werden seit 2009 sämtliche römische
Bleibarren wissenschaftlich erfasst. Um das
Informationspotential dieser Quellengattung
ausschöpfen zu können, werden in interdisziplinärer Zusammenarbeit epigraphische,
archäologische und naturwissenschaftliche
Daten wie Bleiisotopenwerte und Spurenelementgehalte dokumentiert. Sie sollen in
einem Corpus der römischen Bleibarren der
Wissenschaft zugänglich gemacht werden.
Der Artikel stellt weiter ein Provenienzstudie
für eine besondere Gruppe frühkaiserzeitlicher römischer Bleibarren vor. Laut Inschirft
stammen sie aus Germanien, wobei ein
Bleibarrenfund aus Tongeren und drei aus
dem französischen Mittelmeerraum im
Vordergrund stehen. Mit Hilfe von Bleiisotopenvergleichen zwischen diesen plumbum Germanicum-Barren und weiteren römischen Bleibarren sowie römerzeitlichen Bleierzlagerstätten kann deutlich herausgestellt
werden, dass die plumbum Germanicum-Barren
nicht nur laut Inschrift, sondern auch aufgrund
der geochemischen Signatur aus dem römisch
besetzten Germanien stammen können.
– 75 –