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Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 1 ATVATVCA | 4 Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 2 Colofon De deputatie: Herman Reynders, gouverneur Marc Vandeput, Walter Cremers, Gilbert Van Baelen, Frank Smeets, Jean-Paul Peuskens, Mieke Ramaekers, gedeputeerden Renata Camps, provinciegriffier Cover Image Guido Schalenbourg, Gallo-Roman Museum 19th Century bronze statue of Ambiorix, central Market Place, Tongeren Print …. Edition limited to 500 copies Paper …. ISBN 9789074605618 D/2012/5857/60 Atuatuca / Publications of the Gallo-Roman Museum Tongeren, Under the supervision of Guido Creemers Kielenstraat 15 B-3700 Tongeren Tel 0032 12 670330 e-mail: grm@limburg.be http://www.galloromeinsmuseum.be All rights, including translation, reserved in all countries. No part of the text or illustrations may be reproduced without written permission of the publisher Any reproduction by any means including photocopy, photographing microfilming, taping, recording or otherwise is an offence liable to be punished by law Tongeren, 2013 Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 3 Archaeological Contributions to Materials and Immateriality Edited by G. Creemers ATVATVCA | 4 Publications of the Gallo-Roman Museum Tongeren, 2013 Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 22 Ein Bleibarren mit Stempel des Tiberius aus Tongern (Belgien) Bode M., Borgers K., Hanel N., Raepsaet G., Raepsaet-Charlier M.-Th., Rothenhöfer P. & Vanderhoeven A. – 22 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 24/10/12 15:28 Pagina 23 – 23 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 24 Die Fundumstände des tiberischen Bleibarrens aus Tongern K. Borgers & A. Vanderhoeven Einleitung Die Fundumstände des tiberischen Bleibarrens aus Tongern lassen sich unter drei Gesichtspunkten zu untersuchen. Zunächst stellt sich die Frage nach dem Aussehen der römischen Stadt Tongern zur Regierungszeit des Tiberius. Inwiefern wies die einige Jahrzehnte zuvor gegründete Hauptstadt der Civitas Tungrorum bereits ein römisches Erscheinungsbild auf ? In welchem Umfang war das Stadtgebiet schon mit öffentlichen Gebäuden und städtischen Wohnhäusern in römischer Tradition ausgestattet? Ab wann führte man die Steinbauweise ein? Als nächstes müssen wir uns vor Augen führen, wie das Stadtviertel aussah, in dem der Bleibarren in den Boden gelangte. Gehörte die unmittelbare Umgebung des Fundplatzes zu einem öffentlichen oder privaten Bereich und wurde dieser Teil der Stadt tatsächlich schon 1 benützt? Zum Dritten sind Fundplatz und Fundkontext genau zu betrachten. Hierbei wird deutlich, dass sich der Bleibarren zwar einem genau nachweisbaren Fundplatz zuordnen lässt, doch ist es zweifelhaft, ob es sich hierbei um den ursprünglichen Deponierungsort handelt. Zu diesen drei Fragestellungen folgen nun einige Überlegungen. Die Stadt Wir wissen nicht, wie das römische Tongern aussah, als der Bleibarren in die Stadt gelangte. Fest steht, dass das städtische Straßennetz schon angelegt gewesen ist. Dies muss während der Stadtgründung um 10 v. Chr. geschehen sein1. Wir wissen bereits, dass die ersten städtischen Wohnhäuser in einheimischer Weise gebaut waren. In den vergangenen Jahren sind an vier Stellen In der betreffenden Zeit sind die Straßen Tongerns noch nicht befestigt gewesen. Man nimmt an, dass dies erst in claudischer Zeit geschah (Vanderhoeven 1955; Vanvinckenroye 1985,35-36). – 24 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 25 Wohnstallhäuser des sogenannten Typs Alphen- Ekeren entdeckt worden2. Sie datieren in spätaugusteische und tiberische Zeit. An der Kielenstraat, dem Bereich einer zentral gelegenen Insula, konnte eine Gruppe von vier Gebäuden nachgewiesen werden, wovon eines in mehreren Merkmalen von der traditionellen Bauform abweicht. Der Stallteil scheint zu fehlen und außerdem sind zwei hölzerne Kellereinbauten entlang der Außenwände abgetieft worden. In Zusammenhang mit einem auffälligen Fundensemble (einem Bauopfer und einem Münzschatz) deutet dies auf einen höheren Status der Bewohner gegenüber denen der drei übrigen Wohnstallhäuser hin. An der Hondsstraat konnte ein tiberisches Wohnstallhaus vom Typ AlphenEkeren ermittelt werden, das sich ebenfalls in einer zentralen Insula befand. Am nördlichen Rand der Stadt, an der Sacramentenstraat, fanden sich Grundrisse zweier im zeitlichen Ablauf aufeinander folgender Wohnstallhäuser. Das ältere datiert in die tiberischclaudische, das jüngere in die claudischneronische Periode. Schließlich nehmen wir auch für die östliche Randzone des Civitashauptortes, am heutigen Veemarkt, ein weiteres Wohnstallhaus an, das einheimischen Bauweisen folgt. Angesichts des jeweiligen Abstandes der Gebäude zueinander, muss sich das Areal des damals besiedelten Stadtgebietes schon über viele Hektar erstreckt haben. Möglicherweise haben in tiberischer Zeit neben diesen einheimischen Wohnstallhäusern bereits Wohnhäuser mit römischmediterran beeinflussten Grundrissen und ebensolcher Ausstattung bestanden. Vergleichbare Wohnhäuser kennen wir aus 2 3 4 5 6 7 8 9 anderen zentralen Orten Nordgalliens und Niedergermaniens. Für Köln wird dies auch schon aus den historischen Quellen ersichtlich, die von einer Domus berichten, in dem sich Germanicus und seine Familie in den Jahren 14 n. Chr. und vermutlich auch 16 n. Chr. aufhielten3. Außerdem sind archäologische Reste zum Vorschein gekommen, die mit mehr oder weniger großer Sicherheit einer römischen Domus zuzuschreiben sind4. Spuren früher, in römisch-mediterranerer Technik und römisch-mediterranem Stil ausgestatteter Stadtwohnhäuser sind außerdem aus Trier bekannt5. Gut erhaltene Reste einer städtischen Wohnbebauung augusteischtiberischer Zeitstellung sind in Reims ausgegraben worden6. Im Oppidum Batavorum zeigt das schon bekannte Siedlungsmuster dann wieder längliche „Streifenhäuser“ auf langgestreckten Parzellen, die sich nicht klar in die römische Tradition einfügen lassen7. Obwohl die Situation in Xanten noch nicht geklärt ist, ist auch hier anzunehmen, dass in der „vorcoloniazeitlichen Siedlung“ streifenhausartige Gebäude auf langgestreckten Parzellen standen8. Bis jetzt sind im augusteisch- tiberischen Tongeren weder städtische Wohnhäuser in römischmediterraner Bauweise noch Streifenhäuser bekannt geworden, obwohl denkbar ist, dass sich diese Wohnbauten bereits an exponierten Stellen der Stadt befunden haben. Wahrscheinlichste Fundstellen dieser Häuser sind z. B. die Parzellen, die an die Hauptachsen des Straßennetzes grenzen. Wir dürfen auch annehmen, dass in der tiberischen Zeit bereits öffentliche Gebäude Vanderhoeven 1996, 2001 und 2007; Vanderhoeven u. a. 1992a, 1992b und 1993. Tac., Ann. 1, 39, 3 und 12, 29, 1. Siehe auch Eck 2004, 112- 126, insbes. 117 und 123. Gelegen vor dem Dom (Eck 2004, Fußnote 27, S. 752), unter dem späteren Praetorium (Haensch 1997,67). Es ist auch für die Breite Straße gesichert (Thomas & Liesen 2004, 574- 586, 620-621, 665 und Abb. 10). So an der Konstantinstrasse (Thomas 1995, 189 und Abb. 118, und Gothert 2003, 248 und 256, Fußnote 54 für die genaue Fundstelle) und St. Irminen (Cüppers 1984a und 1984b). „Quartier gallo-romain de la Rue de Venise“ (Rollet u. a. 2001, 48- 58), das “Maison de Maranus” Balmelle & Neiss 2003, 45, 48- 55, 58 und 78-79) und das “Maison au Mercure” (Balmelle & Neiss 2003, 70- 71). Siehe auch Balmelle & Neiss 2003, 63. Van Enckevort & Heirbaut 2010, 55-98. Ein Gegenstand der Diskussion ist die Deutung von Siedlungsspuren, die jenen der Colonia Ulpia Traiana vorangingen. Entweder handelt es sich um eine Militäranlage mit militärischem vicus oder um einen zentralen Ort der Cugerner (Lenz 2003; Precht 2008; Schalles 2008, 258- 263). Eck 2004, 77-102. – 25 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 26 bestanden haben und diese zum Teil bereits in Stein aufgeführt waren. Spuren solcher frühen Gebäude und Monumente sind aus vielen zentralen Orten im nordgallischen und niedergermanischen Gebiet bekannt. In Köln handelt es sich bei einem Turm aus massiven Steinblöcken, einem Triumphbogen und die berühmte Ara Ubiorum um Beispiele aus dem öffentlichen Lebensbereich. Außerdem gibt es Hinweise auf eine monumentale Grabarchitektur9. Aus Nimwegen ist die Göttersäule bekannt, die eventuell anlässlich des Triumphes des Germanicus im Jahr 17 n. Chr. für Kaiser Tiberius errichtet worden ist10. Aus noch älterer Zeit erfahren wir von einem Kenotaph für G. und L. Caesar und einem Altar für Augustus und Roma aus Trier11, von einem weiteren Kenotaph für G. und L. Caesar in Reims12 und einem Denkmal aus Bavay, das zu Ehren des Tiberius zwischen 4 und 14 n. Chr., also noch in der Regierungszeit des Augustus, errichtet worden ist13. Im Fall Tongeren fehlen hierfür bislang eindeutige Beweise, obwohl 1995 am Elisabethwal indirekte Hinweise auf frühen Steinbau zutage getreten sind. Hierbei handelt es sich um ein Säulenelement, das als Podest für einen Pfosten in einem Pfostenloch wiederverwendet worden war. Dieses Pfostenloch war Bestandteil einer Holzkonstruktion, die beim Brand von 69/70 zerstört worden ist. Die Erstverwendung der Säule muss daher in das frühe erste Jahrhundert datiert werden. Da es sich um ein Säulenelement handelt, ist anzunehmen, dass es ursprünglich Bestandteil 10 11 12 13 14 15 16 17 eines öffentlichen Gebäudes oder einer reichen in römisch- mediterraner Bauweise errichteten Stadtwohnung gewesen ist14. Das Stadtviertel In der Insula, wo man den Bleibarren fand (fig. 1), sind bis vor kurzem noch keine archäologischen Untersuchungen durchgeführt worden. Dies änderte sich rasch, als an der Vermeulenstraat drei Flächen ergraben wurden. Anlass war die Anlage dreier Tiefgaragen. Zwei Flächen, Vermeulestraat 115 und Vermeulenstraat 216 wurden durch das Vlaams Institut voor het Onroerend Erfgoed (Flämisches Amt für Denkmalpflege) untersucht, die Vermeulenstraat 317 durch eine archäologische Projektgruppe im Auftrag der Stadt Tongeren (fig. 2). Die letztgenannte Grabung brachte den Bleibarren zum Vorschein. Diese Ausgrabungen sind zurzeit noch nicht ausgewertet, so dass nur eine allgemeine Deutung der Grabungsergebnisse möglich ist. Die vorflavische Besiedlungsgeschichte des Gebietes kann nur in begrenztem Umfang rekonstruiert werden. Spuren dieser Epoche wurden in späteren Zeitabschnitten größtenteils zerstört. Einzelne Gräben und kleine Gräbchen lassen sich mit Sicherheit vorflavisch datieren. Stratigrafisch gesehen sind es auf jeden Fall die ältesten Befunde. An der Vermeulenstraat 1 handelt es sich hierbei um einen nord- süd verlaufenden Graben mit einer Tiefe von 0,50 m und einer Breite von 0,80 m und einen in Ost- West Richtung verlaufenden Deren Reste sind in sekundärer Niederlegung vorgefunden worden, so dass wir nicht sicher wissen, wo sie ursprünglich im Gebiet von Nimwegen gestanden hat (Panhuysen 2002; Driessen 2007, 85-87). Der Raum Nimwegen war als Standort verschiedener augusteischer Militärlager schon seit 12 v. Chr. durch Zeugnisse repräsentativer Bautätigkeit und die dahinter stehenden Ideologie gekennzeichnet (Driessen 2007, 25-89). Schwinden 2000; Breitner & Goethert 2008. Neiss 1982; Vassileiou 1982. Heurgon 1948. Zu den Gründen für die Errichtung dieses Denkmals gibt es unterschiedliche Auffassungen. Leman (2001, 90) denkt an die Vollendung eines bedeutenden Teils des nordgallischen Straßennetzes, Carmelez (2001, 101) stellt einen Zusammenhang mit dem Bau des Forums her und datiert die Errichtung des öffentlichen Teils des Stadtzentrums ebenfalls in diese Zeit. Vanderhoeven (im Druck). Vanderhoeven & Vynckier 2008a, 2009 und 2010a. Vanderhoeven & Vynckier 2008b, 2010a und 2010b. Borgers u. a. 2008 und 2010; Borgers 2009. – 26 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 27 Fig. 1: Tongeren: Einrichtung der Grabungsfläche an der Vermeulenstraat 1 - 3. 2 1 3 0 40 m gemeentelijke jongens teekenschool ( 1867 ) 0 1 2 3 4 7 8 9 10 5 6 10 m – 27 – Fig. 2: Tongeren: Grabungsflächen an der Vermeulenstraat 1 - 3. 1. Frührömische Graben; 2. Gruben; 3. Pfostenlöcher; 4. Frührömische Mauern; 5. Frührömischer Estrich; 6. Spätrömische Mauern; 7. Spätrömischer Estrich; 8. Herden und Öfen; 9. Kalk Grube; 10. Fundstelle des Bleibarrens. Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 28 Graben mit einer Tiefe von 1 m und einer Breite von 1,5 m der sich über eine Länge von 16 m verfolgen lässt. An der Vermeulenstraat 2 finden sich drei Nord- Süd orientierte flache Gräben mit leicht unregelmäßigem Verlauf. An der Vermeulenstraat 3 sind keine Spuren von alten Gräbchen und Gräben nachgewiesen worden. Sowohl an der Vermeulenstraat 1 als auch an der Vermeulenstraat 2 gefundene Pfostenlöcher müssen zur vorflavischen Holzbebauung gehört haben. Sie zeigen allerdings zu wenig Strukturen, um hieraus Grundrisse rekonstruieren zu können. Vieles ist durch spätere Erdarbeiten verlorengegangen. Merkwürdigerweise sind an der Vermeulenstraat 3 keine Pfostenlöcher gefunden worden. Das könnte darauf hindeuten, dass dort in der vorflavischen Periode keine oder nur wenige Gebäude standen. Schließlich datieren zumindest einige Gruben auf den drei Flächen vorflavisch. Auf welche dieser Gruben dies zutrifft und aus welcher Phase der vorflavischen Periode sie genau stammen, wird erst aus einer genaueren Bestimmung des Fundinventars deutlich werden. Auf Höhe der Fundstelle des Bleibarrens haben wir jedenfalls eine tiberische Grube und eine einzige vorflavische Aufschüttungslage nachweisen können18. Auf den drei Flächen an der Vermeulenstraat wird nahezu die gesamte Oberfläche von Befunden der flavischen Zeit, des 2., 3. und 4. Jahrhunderts eingenommen. Von einem Teil, der an der Vermeulenstraat 1 und 2 gefundenen Pfostenlöcher nehmen wir an, dass sie der Holzbebauung aus dem letzten Viertel des ersten Jahrhunderts, eventuell auch noch der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts angehören. Danach kommen Steinbauten auf. Eigentlich handelt es sich um Sockelmauern mit in Holz- Lehm Bauweise ausgeführten Aufbauten. An der Vermeulenstraat 2 fanden sich ausgebrochene Mauerfundamente und Böden eines großen städtischen Wohnhauses aus dem 2. und 3. Jahrhundert. Das Gebäude wies verschiedene Bauphasen auf. An der Vermeulenstraat 1 und 3 kamen Reste eines 18 Siehe ‘Die Fundumstände’. – 28 – rechteckigen Gebäudes ohne weitere Innengliederung gleicher Zeitstellung zum Vorschein, von dem wir annehmen, dass es sich um einen Wirtschaftsbetrieb handelt. An der Westwand hatte sich eine ovale Ziegelkonstruktion erhalten, die möglicherweise als Ofen gedient hat. Aus benachbarten Gruben konnten Spuren handwerklicher Betätigung dokumentiert werden: verschiedene kleine Öfen, Konzentrationen zersplitterter Rinderknochen, Abfall aus der Gewinnung von Knochenmark und -öl, sowie von Knochenfett und –leim und außerdem Metallschlacken und Schmelztiegel. Sowohl das Wohngebäude an der Vermeulenstraat 2 als auch der Handwerkerbereich an der Vermeulenstraat 1 und 3 wurden im 3. Jahrhundert aufgegeben und sind nahezu planmäßig abgebrochen worden. Im 4. Jahrhundert standen zumindest zwei unterschiedliche städtische Wohnhäuser an dieser Stelle. An der östlichen Begrenzung der Vermeulenstraat 2 kam gerade noch der westliche Rand eines Gebäudeflügels zum Vorschein, der mit einem Hypocaustum beheizt worden ist. An der Vermeulenstraat 3 sind gut erhaltene Reste eines zweiten städtischen Wohnhauses kartiert worden. Das bemerkenswerteste Element stellt ein viereckiger saalartiger Raum dar, der mit einem Kanalhypocaustum geheizt wurde. Aus der Schuttlage über dem Boden des Raumes ist eine große Menge der Wandmalereien geborgen worden. Zu erkennen war unter anderem eine Erntedarstellung mit einer Villa im Hintergrund. Die Buchstaben AVG(ustus) verdeutlichen, dass es sich um die Darstellung des gleichnamigen Monats handelt. Da sich auch Fragmente mit der Buchstabenfolge NOV(ember) erhalten haben, nehmen wir an, dass verschiedene Monate des Jahres auf der Innenwand des Saales abgebildet waren, der einen bedeutenden, repräsentativen Trakt des Wohngebäudes darstellte. Es ist nicht bekannt, wann das römische Viertel an der Vermeulenstraat letztendlich aufgegeben worden ist. Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 29 Fig. 3: Tongeren: Detail der Grabungsfläche an der Vermeulenstraat 3. Da die Flächen an der Vermeulenstraat während des Mittelalters im Bereich der Gärten der Kanonikerhäuser an der Maastrichterstraat lagen und unmittelbar an die Stadtmauer des 13. Jahrhunderts grenzten, sind beinahe keine Befunde oder Funde aus dieser Periode zutage getreten. Nach dem Abbruch der Stadtmauer aus dem 13. Jahrhundert in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wurde 1866 die „Gemeentelijke Jongens Teekenschool“ (Öffentliche Zeichenschule für Jungen) errichtet, in deren Umgebung nun die drei Grabungsflächen der Vermeulenstraat liegen. Die Fundumstände Wie bereits erwähnt wurde der Bleibarren auf der Fläche an der Vermeulenstraat 3 gefunden. Er lag in einem Schichtenpaket, dass eine Grube bedeckte. Wir nehmen an, dass sich der Barren nicht mehr in ursprünglicher Fundlage befand (Fig. 3, 4 und 5). Die Grube, Befund 845, hat einen ovalen Grundriss, mit einer Größe von ca. 130 x 180 cm und einer erhaltenen Tiefe von ca. 30 cm im Westen und ca. 20 cm im Osten ( Fig.3 und 4). Die Füllung besteht aus drei Schichten: eine ca. 10 cm starke Schicht grauen Sandes mit Holzkohlefragmenten, ein 10 bis 20 cm dickes Paket gelbgrauen sandigen Lehms mit Holzkohle und einer 10 bis 20 cm starken Lage weißen Sandes mit Holzkohlefragmenten. In der Füllung sind folgende Funde beobachtet worden19. 845 1 2 3 4 5 6 0 1. 5 Randfragmente, 1 Wand- und 1 Bodenfragment einer Terra sigillata Tasse Typ Dragendorff 25. Ware: südgallisch. Stempel: ALBVS (das L steht auf dem Kopf ): Albus aus La Graufesenque (Hartley & Dickinson 2008, Albus i/Albus v). Vergleiche konnten wir nicht finden. Datierung: Albus i wird in die Periode 45 75 datiert, Albus v in die Periode 30 - 50. Eventuell handelt es sich jedoch um einen Töpfer, wodurch eine tiberische Datierung des Stempels gut möglich ist (Hartley & 19 7 552 549 550 551 845 In den folgenden Fundkatalogen wurde für jedes Individuum eine Katalognummer vergeben. – 29 – 1m Fig. 4: Tongeren: Detail der Grabungsfläche an der Vermeulenstraat 3: 1: Grube 845; 2: Schicht 551; 3: Schicht 549; 4:Schicht 552; 5: Schicht 550; 6: spätere römische Gruben und Baubefunde; 7: Bleibarren. Fig. 5: Tongeren, Vermeulenstraat 3: Stratigrafische Situation van Grube 845 und der Schichten 549, 550, 551und 552. Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 30 Fig. 6: Tongeren, Vermeulenstraat 3: Funde aus Grube 845. Maßstab 1/3. 1 8 2 9 10 3 11 15 6 15 Dickinson 2008, 144 - 149 und 153). Dragendorff 25 wird etwa nach 40 nicht mehr produziert (Polack 2000, 117). Fig. 6: 1. 2. 3 Randfragmente einer Terra sigillata Tasse Typ Dragendorff 27. Ware: südgallisch. Stempel: SCOT F (das F steht auf dem Kopf ): Scotius aus La Graufesenque (Polak 1995, S45). Datierung: ca. 25 - 50. Fig. 6:2. 3. 6 Rand- und 4 Wandfragmente eines Terra rubra Bechers Typ Deru 1996, P17. Ware: nördlich. Verziert mit Kerbbanddekor. Datierung: -25/20 - 40/45. Fig. 6:3. – 30 – 4. Wandfragment aus Terra rubra. Ware: nördlich. 5. Wandfragment aus Terra rubra. Machart: nördlich. 6. 3 Wandfragmente und Bodenfragment aus Terra nigra. Ware: nördlich. Anpassung an Katalognr. 4 aus Schicht 552. Fig. 6:6. 7. Wandfragment aus Terra nigra. Ware: nördlich. 8. 10 Wand-, 2 Randfragmente und 1 Boden- Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 31 Fig. 7: Tongeren, Vermeulenstraat 3: Funde aus Schicht 551. Maßstab 1/3. 1: Maßstab 1/6; 2 & 4 (Verzierung): Maßstab 1/2. 1 2 fragment eines rauhwandigen Topfes Typ Stuart 1962, 201A/Höpken 2005, R18. Ware: granular grey. Datierung: ca. 20 - 120 (Anderson 1981; Höpken 2005, 123 - 124; Brulet u.a. 2010, 305- 306). Anpassung an Katalognr. 5 aus Schicht 552. Fig. 6: 8. 9. Rand- und Wandfragment eines rauhwandigen Topfes Typ Stuart 1962, 201A/Höpken 2005, R18. Ware: granular grey. Datierung: ca. 20 – 120 (Anderson 1981; Höpken 2005, 123 124; Brulet u. a. 2010, 305 306). Fig. 6: 9. 10. Rand- und Wandfragment rauwandiger Ware eines Topfes Typ Stuart 1962 201A/Höpken 2005, R18. Machart: blaugrauer Ton, rauhwandig. Datierung: ca. 20 – 120 (Anderson 1981; Höpken 2005, 123- 124; Brulet u. a. 2010, 305 306). Fig. 6: 9. 4 17. Feuersteinabschlag. Datierung: vorgeschichtlich. Befund 845 wird von einem Paket von vier Schichten mit einer Gesamtstärke von einigen Dutzenden Zentimetern abgedeckt. Diese Schichten (Nr. 549, 550, 551 und 552) dehnen sich unregelmäßig über eine Oberfläche von etwa Dutzend Quadratmetern übereinander aus und werden an allen Seiten durch jüngere Gruben und Baubefunde geschnitten (Fig. 4 und 5). Schicht 551 setzt sich aus gelbbraunem sandigem Lehm mit weißen Einschlüssen zusammen und enthält Holzkohle, Stücke verbrannten Lehms und Dachziegelgrus. Aus der Schicht wurden folgende Funde geborgen: 1. Der Bleibarren mit Aufschrift. Fig. 7: 1. 11. 9 Wand- und 8 Bodenfragmente eines Doliums. Fig. 6: 11. 12. Wandfragment eines Doliums. 13. Wandfragment eines Doliums. 14. Wandfragment eines Doliums. 15. Randfragment und 2 Wandfragmente eines Halterner Kochtopfes Typ Vanvinckenroye 1991, Nr. 34 - 39. Datierung: ca. 1 - 120 (Vanvinckenroye 1991, 18 - 20). Fig. 6: 15. 16. Fragment eines sekundär verbrannten Imbrex. 2. Randfragment einer Terra sigillata Schüssel Typ Dragendorff 29. Ware: südgallisch. Obere Zone mit durchlaufendem Rankenfries wie Hermet (1934, pl. 40,24), mit viergliedrigen Rankenknoten und abwechselnd nach oben und nach unten orientierten Paren von Efeublättchen. Vergl. Dannel u. a. 2003, S- T, Taf. G1 und G2 (Senicio) und Dannel u. a. 2003, M. 1, Taf. G4 und G8 (Melainus). Datierung: ca. 30 - 80. Fig. 7: 2. 3. Wandfragment einer Terra sigillata Tasse Typ Ha. 8. Ware: italisch. Datierung: ca. -15 - 25 (Hanut 2004, 172, 183 und 188). – 31 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 32 Fig. 8: Tongeren, Vermeulenstraat 3: Funde aus Schicht 549. Maßstab 1/3. 1. Fragment eines bleiernen Gegenstandes. 2. Wandfragment aus Terra nigra. 5 3. 2 Wandfragmente glattwandiger Keramik. Ware: Köln. 4. Wandfragment glattwandiger Keramik. 6 5. Bodenfragment eines Mortariums. Ware: Grob gemagert. Datierung: ca. 20 - 120 (Vanvinckenroye 1991, 72; Willems 2005, 46-49). Fig. 8: 5. 11 6. Randfragment eines Doliums. Fig. 8: 6. 4. Wandfragment eines Terra rubra Bechers. Ware: nördlich. Fig. 7: 4. 7. Wandfragment eines Doliums. 8. Wandfragment eines Doliums. 5. Wandfragment einer Terra nigra Scherbe. Ware: nördlich. 6. Wandfragment eines engobierten Bechers Typ Stuart 1961, 1/Höpken 2005, E15. Ware: Köln. Technik a. Verziert mit Körnchendekor. Datierung ca. 60 - 120 (Höpken 2005, 74). 7. 2 Wandfragmente glattwandiger Keramik. Ware: Maasländisch weiß. 8. Bodenfragment glattwandiger Keramik. Ware: Maasländisch weiß. 9. Wandfragment eines Deckels aus rauhwandiger Keramik. Ware: Maasländisch weiß. 10. Wandfragment einer Amphore, möglicherweise Typ Ha. 70. Datierung: ca. 50 – 50. (Peacock & Williams 1986, 115-116, class 15; Martin-Kilcher 1994a, 388). Schicht 549 ist ein Paket graubraunen sandigen Lehms mit grünen Einschlüssen. Sie enthält Holzkohle, Stücke verbrannten Lehms und etwas Mörtel und Kalk. Außerdem wurden folgende Funde aufgesammelt: – 32 – 9. Wandfragment einer Amphore Typ D 7/11. Datierung: ca. 1 - 100 (Peackock & Williams 1986, 117-119, class 16 ; Martin-Kilcher 1994a, 399). 10. Wandfragment einer Amphore Typ D 2/4. Ware: Tarragona, Datierung: ca. -25 - 100 (Raynaud 1993; Martin-Kilcher 1994a, 340341 und 1994b, 670 Farbtafel C, 28a und b; Tomber & Dore 1998, 91 und Pl.67). 11. Randfragment eines Halterner Kochtopfes Typ Vanvinckenroye 1991, Nr. 31-33. Datierung: ca. 1 - 100 (Vanvinckenroye 1991, 18). Fig. 8: 11. Schicht 552 besteht aus grauem Sand mit gelben Einschlüssen. Sie enthält Holzkohle und folgende Funde: 1. Fragment geschmolzenes Blei. 2. Bodenfragment eines Terra rubra Tellers. Ware: Champagne. 3. Wandfragment aus Terra rubra. Ware: nördlich. Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 33 4 4. Bodenfragment aus Terra nigra. Ware: nördlich. Gehört zu Katalognr. 6 von Befund 845. Fig. 9: 4. 5. Wandfragment rauhwandiger Keramik. Ware: granular grey. Datierung: ca. 20 - 120. Gehört zu Katalognr. 8 von Befund 845. 6. Wandfragment einer Amphore Typ G4. Schicht 550 ist ein in seiner Ausdehnung stark eingeschränktes Paket grüngrauen Sandes mit etwas Holzkohle und zwei Funden: 1. Randfragment einer Schüssel aus rauhwandiger Keramik Typ Stuart 1962, 210. Ware: nicht näher zu bestimmen, reduzierend gebrannt mit zahlreichen graubraunen, kantigen Quarzkörnchen (> 1 mm). 2. Randfragment eines Halterner Kochtopfes Typ Vanvinckenroye 1991, Nr. 31- 33. Datierung: ca. 1 - 100 (Vanvinckenroye 1991, 18). Fig. 10: 2. 2 Einige Merkmale von Grube 845 sprechen dafür, diesen Befund in die tiberischclaudische Periode zu datieren. Zum einen tieft die ovale Grube in den gewachsenen Boden ein. Sie schneidet weder eine römische Aufschüttung noch einen anderen Befund. Zum anderen besteht die Füllung ausschließlich aus tertiärem Sand, dem Material, das sich zur Zeit der Stadtgründung von Natur aus an der Oberfläche befunden hat. Schließlich beinhaltete die Grube einen 20 Feuersteinabschlag. Artefakte aus Feuerstein und Fragmente handgeformter vorgeschichtlicher Keramik kommen in einer mehr oder minder großen Häufung im nördlichen Teil des römerzeitlichen Stadtgebiets von Tongeren vor, wo der natürliche Untergrund nicht aus Löss sondern tertiärem Sand zusammengesetzt ist. Die ersten Bewohner des antiken Tongeren haben dann diese vorrömischen Reste beinahe vollständig überbaut, so dass die ältesten Befunde aus der römischen Stadt regelmäßig vorgeschichtliches Material aufweisen20. Die weiteren Funde verdeutlichen zusätzlich, dass der Befund nicht zur frühesten Phase der römischen Siedlung gezählt werden kann, sondern in eine etwas jüngere Periode zu datieren ist, nämlich der tiberischclaudischen Zeit. Wie bereits festgestellt, wurde die Grube durch ein Aufschüttungspaket abgedeckt, in dem sich vier Schichten unterscheiden ließen (Fig. 4 und 5). Diese lassen sich anhand der in ihnen enthaltenen Funde in die claudischneronische Periode stellen. Sie belegen die Planierung und/oder Aufhöhung des Geländes, die nach der Abtiefung und Wiederverfüllung von Grube 825 stattgefunden haben muss. Eventuell geschah dies, um diesen Bereich zur Überbauung vorzubereiten. Diese Besiedlung, von der weiter nichts bekannt ist, scheint durch den Brand von 69/70 beendet worden zu sein. Die charakteristische Brandschicht, die traditionell mit dem Bataveraufstand in Verbindung gebracht wird, ist allerdings nirgendwo nachgewiesen worden, vermutlich weil wir uns weder innerhalb noch in der Umgebung eines vorflavischen Gebäudes bewegen. Wo das in Tongeren der Fall ist, finden wir beinahe immer eine charakteristische rot gefärbte Brandschicht, die sich aus Bruchstücken Bisher liegen Meldungen über vorgeschichtliches Fundmaterial von der Grabung am Elfde Novemberwal (Vynckier u. a. 1994 und 1995; Machiels & Wyns 2010, 39; Borgers u. a 2009, 1), von der Ecke Pliniuswal und Bilzersteenweg (De Winter 2009, 10 - 11 und Beilage 9; De Winter & Driessen 2010, 132 - 133) und nun auch von der Vermeulenstraat (Borgers u. a. 2008, 20 und 22; Vanderhoeven & Vynckier 2009, 375 und 2010a, 148) vor. – 33 – Fig. 9: Tongeren, Vermeulenstraat 3: Funde aus Schicht 552. Maßstab 1/3. Fig. 10: Tongeren, Vermeulenstraat 3: Funde aus Schicht 550. Maßstab 1/3. Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 34 verbrannter Lehmwand zusammensetzt. In der untersten der vier Aufhöhungs- und Planierungsschichten, Befund 551, wurde der Bleibarren zuerst beobachtet (fig. 4 und 5). Er lag mit seiner beschrifteten Seite nach unten. Einige Scherben aus der auf der Schicht 551 (und 549) liegenden Schicht 552 gehören zu Gefäßen, von denen bereits Teile in der zuunterst liegenden Grube 845 beobachtet wurden. Es handelt sich dabei um einen Terra nigra Boden (Katalognr. 6 von Grube 845 und Katalognr. 4 von Schicht 552) und einen Topf vom Typ Stuart 201A in rauhwandige Ware (Katalognr. 8 aus Grube 845 und Katalognr. 5 von Schicht 552). Während der Aufhöhungsund Planierungsarbeiten, in deren Folge nacheinander die Schichten 551, 549, 552 und 550 entstanden sind, muss infolge der Arbeiten Grube 845 angeschnitten worden sein. Obwohl der Bleibarren aus Schicht 551 nicht unmittelbar über der Grube 845 gefunden wurde, müssen wir doch in Erwägung ziehen, dass dieser, ebenso wie dies für die oben erwähnten Scherben aus Schicht 552 zutrifft, aus der älteren Grube stammt. Es fällt auf, dass sich der Gegenstand aus Blei unbeschädigt erhalten hat und in diesem Zustand in den Boden gekommen ist. Das könnte auf eine intentionelle Deponierung hindeuten. An den weiteren Funden aus Grube 845 fällt auf, dass die zwei Terra sigillata Tassen ebenfalls fast vollständig erhalten geblieben sind. Diese Beobachtungen sprechen dafür, einen Teil der Funde aus Grube 845, einschließlich des Bleibarrens, als eine rituelle Deponierung zu klassifizieren. Darüber hinaus scheint sich hinter dem übrigen Fundinventar auch zum Teil normaler Haushaltsabfall zu verbergen. Schluss Angesichts der Fundumstände des Bleibarrens ist anzunehmen, dass der Gegenstand in die Civitashauptstadt der Tungrer gelangt ist, als 21 diese sich bereits voll ausgedehnt hatte. Die Stadt ist ein knappes halbes Jahrhundert vorher, ungefähr 10 v. Chr. durch die römische Verwaltung gegründet worden, wobei das Militär eventuell für das hierfür notwendige technische Knowhow und die Arbeitskräfte gesorgt hat. Wir wissen mittlerweile, dass die einheimische Bevölkerung die Siedlungsparzellen in Besitz nahm und dort Wohnstallhäuser errichtete, die die eisenzeitlichen Bautraditionen fortführten. Möglicherweise entstand, wie in den benachbarten Civitashauptstädten, in den frühen Phasen an herausgehobenen Stellen der Stadt eine stärker romanisierte städtische Wohnbebauung, von der jedoch zurzeit noch jede Spur fehlt. Mit großer Sicherheit befanden sich dort aber schon öffentliche Gebäude, die zumindest in Teilen schon in Stein aufgeführt waren. Die auf der Fläche am Elisabethwal gefundene Säulentrommel gibt möglicherweise hiervon Zeugnis. Ebenso wie in anderen nordgallischen und niedergermanischen Städten müssen sich auch in Tongern zu Anfang der Gründung bereits umfangreiche Bauaktivitäten entwickelt haben. Diese erstreckten sich über mehrere Jahrzehnte21. Wir nehmen an, dass hierbei auch Blei verarbeitet worden ist, und der tiberische Rohstoffbarren zu diesem Zweck nach Tongern gelangte. Aus dem ein oder anderen Grund ist der an der Vermeulenstraat gefundene Barren jedoch nicht verarbeitet, sondern in der rundovalen Grube 845 vergraben worden. Später entfernte man ihn während der claudischen oder neronischen Terrassierungsmaßnahmen aus seinem ursprünglichen Zusammenhang und er gelangte in die vorflavische Aufhöhungslage 551. Hierbei ist unklar, ob der Barren unbemerkt umgelagert wurde, oder erneut niedergelegt worden ist. Es scheint unwahrscheinlich zu sein, dass die Erbauer der Terrasse, beim Anschneiden des Bleibarrens Der Eindruck einer Stagnation in der tiberischen Periode ist eventuell auf das Fehlen einer guten archäologischen Dokumentation für die frühen Phasen zurückzuführen (Coquelet 2011, 216 - 217). – 34 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 35 dieses Objekt unbemerkt umgelagert haben. So ein schwerer Gegenstand kann unmöglich übersehen werden. Die Terrassierung hatte vielleicht den Zweck, den Baugrund für die Besiedelung vorzubereiten. Möglicherweise geschah dies zum ersten Mal und der Bereich hatte zur Zeit der ersten Deponierung des Barren noch brach gelegen. Die Erinnerung an die halbrunde Grube mit dem darin verborgenen Gegenstand scheint zu diesem Zeitpunkt bereits verloren gegangen zu sein. Weil der Barren intakt gelassen wurde und zusammen mit einer unbekannten Anzahl wenn auch nicht unbeschädigter, so doch vollständiger Gegenstände in der rundovalen Grube vergraben wurde, gehen wir von einer rituellen Deponierung aus. So ist schwer vorstellbar, dass ein dermaßen schwerer Gegenstand, der immerhin eine große Menge wertvollen Baumaterials darstellt, unbewusst verloren gegangen sein soll. Schwerer zu deuten ist die Tatsache, dass auch die Hersteller der Aufschüttungslage den Gegenstand nicht beeinträchtigten. Hatte man sich bei der (Wieder)entdeckung der ursprünglichen Bedeutung des Objektes erinnert und es erneut niedergelegt? Es ist jedenfalls auffällig, dass der Barren während der Grabung haargenau mit dem Text nach unten vorgefunden wurde, was den Eindruck einer sorgfältigen (Neu)deponierung erweckt. Literatur ANDERSON A.S. 1981: Some unusual coarse ware vessels from London and their continental background. In: Anderson A.C. & Anderson A.S. (eds), Roman pottery research in Britain and North-West Europe. Papers presented too Graham Webster, British Archaeological Reports. International Series 123, Oxford, 93-106. BALMELLE A. & NEISS R. 2003: Les maisons de l’élite à Durocortorum, Archéologie Urbaine à Reims 5, Bulletin de la Société Archéologique Champenoise 96, 4. BORGERS K. 2009: Derde noodopgraving aan de Vermeulenstraat, Tongerse Annalen 22, 1, 11-16. BORGERS K., STEENHOUDT M. & VAN DE VELDE E. 2008: Een derde noodopgraving aan de Vermeulenstraat te Tongeren, Leuven. 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Fig. 1 Zeichnung und Photo des Barrens aus Tongern – 38 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 39 Interpretation Die Eigentumsmarke trägt den Namen des Kaisers, was auf eine offizielle Produktion des römischen Staates hinweist. Es bestehen sicher Varianten bei den Organisationsmodalitäten dieser Herstellung, aber der Umstand, dass der Name des Kaisers in der Gussform eingebracht ist und nicht durch Ritzung nachträglich auftragen wurde oder durch spätere Prägung, zeigt den kaiserlichen Besitz schon ab dem Guss des Barrens und somit ab der Gruben-Gewinnung2. Das Wort GERM() darf nicht als Beinamen des Kaisers interpretiert werden, der diesen cognomen ex virtute niemals getragen hat, sondern, den Barren aus Großbritannien gleich, als ein Hinweis auf den geographischen Ursprung des Metalls. Tatsächlich charakterisieren die in der Provinz Britannia hergestellten und dort aufgefundenen Barren das Metall oft als Brit(annicum plumbum): So kann man zum Beispiel Vespasian - Besitzstempel anführen (RIB 2404.4 -2404.13); bei Letzteren ist die Abkürzung BRIT in die Kartusche eingegossen wie bei dem Bleibarren aus Tongern. GERM muss also auf eine germanische Produktion verweisen, wie dies auch ein anderer, den Namen des Kaisers Augustus tragender Barren belegt, der in einem Wrack entdeckt wurde (siehe unten). Das Wort TEC() ist schwerer zu interpretieren. Man könnte an T() E() C() denken, drei getrennte Buchstaben, die den Namen des im Dienste des Kaisers stehenden Grubenverwalters oder Pächters in Form einer Abkürzung wiedergeben. Die römischen Namen enthalten in der Tat drei Bestandteile, die tria nomina, mit dem praenomen (hier also Titus), dem nomen gentile (der mit E beginnen könnte, zum Beispiel Eggius oder Ennius oder Egrilius; man beachte, dass die mit E beginnenden Familiennamen selten sind) sowie dem Beinamen, dem cognomen (das hier mit C beginnt, daher eröffnen sich unzählige Benennungsmöglichkeiten). 1 2 Barren aus germanischem Blei geben manchmal den Namen des Herstellers an, wie man noch sehen wird, allerdings in unterschiedlicher Form. Weiterhin wird man vielleicht einwenden, dass die drei Buchstaben TEC nicht durch Punkte getrennt sind, was die Vermutung nahe legt, dass diese Buchstaben eher zu einem einzigen Wort gehören. Eine andere Interpretation ergibt sich durch bestimmte Barren aus Großbritannien, die inner- oder außerhalb der Kartusche eine Angabe zum Herstellungsort tragen. Diese Standorte können identifizierbar sein oder auch nicht. Besonders interessant sind die aus der vespasianischen Herstellung stammenden Beispiele: So weist ein Barrentypus in der Kartusche, also bei dem in der Grube eingegossenen Stempel, die Inschrift Brit(annicum) ex arg(entariis) (RIB 2404.13) auf. An einigen Barren findet sich die Inschrift ex arg(entariis) VEB(-) an einer seitlichen Markierung, die ebenfalls in der Gussform eingebracht war (RIB 2404. 4-10). Der Betrieb lag in den Händen einer societas, die auf einigen Barren an anderer Stelle durch einen Prägestempel ausgewiesen wird: soc(iorum) Novaec(-). VEB(-) verweist also nicht auf einen Personennamen, sondern ist eher als geografisches Indiz zu verstehen; denkbar ist ein Herstellungsort im Bergwerksbezirk der Mendips (Somerset). TEC(-) könnte daher als Abkürzung für den Herstellungsbezirk verstanden werden. Das Blei dieses Barrens wurde von Dr. Michael Bode im Labor der Universität Münster Isotopenanalysen unterzogen. Die Ergebnisse geben Hinweise auf die jeweiligen Zonen, in denen dieses Blei eventuell hergestellt werden konnte oder auch nicht. (Verweis auf das technische Kapitel) Das Ergebnis für den Barren lässt zwei Interpretationsmöglichkeiten zu: Entweder handelt es sich um die Standorte in der Nordeifel oder um die Gegend um Brilon im Für die Illustrationen danken wir Guido Schalenbourg (Gallo-Römisches Museum) und André Dettloff (OE). Sehe auch: Raepsaet-Charlier 2011. – 39 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 40 Sauerland. Die Gegend um Brilon3 zeigt Spuren römischen Bergbaus zur Zeit des Kaisers Augustus, aber sie liegt rechtsrheinisch, in einem Gebiet, das von den Römern ausschließlich zwischen 12 vor Christus, dem ersten Jahr der Eroberung durch Drusus, und 9 nach Christus, als Varus die Schlacht im Teutoburger Wald (bei Kalkriese) verlor, unterworfen, verwaltet und erschlossen wurde, also zur Zeit der Provinz Germanien4. Ab dem Jahr 9 wird die Provinz jenseits des Rheines aufgegeben und es ist undenkbar, dass Kaiser Tiberius Gruben in dieser rechtsrheinischen Zone besessen und dort Abbau betrieben haben könnte. Spuren römischer Anwesenheit haben die Zeiten überdauert, Händler waren in der Germania libera unterwegs, aber der offizielle Bergwerksbetrieb ist zu dieser Zeit beendet: An diesem historischen Sachverhalt besteht kein Zweifel. Zum Zeitpunkt des Todes von Augustus haben sich die Römer bereits seit mehreren Jahren völlig hinter die Rheinlinie zurückgezogen5. In der Eifel sind mehrere Bergwerke lokalisiert worden; sie geben Zeugnis von der Erzförderung zu römischer Zeit6. So ist in Mechernich ein Bleigewicht der von Fig. 2 Buchstaben mit TEC 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 43 bis 70 n. Chr. am Rhein stationierten XVI. Legion (AE 2006, 867) aufgefunden worden7. Weiterhin stammen im Moseltal zwischen Trier und Koblenz, genauer in St. Aldegund (Lkr. Cochem-Zell), aufgefundene Bleibarren8, von denen einer Prägestempel des Kaisers Valentinian III. (425-455) trägt, ebenfalls aus den Bergwerken der Nordeifel, entweder aus Mechernich oder aus Stolberg, was auf eine über die ganze römische Zeit hin bestehende Ausbeutung dieser Vorkommen hindeutet. Bei genauer Betrachtung der archäologischen Karte der Herstellungsregion um Mechernich stellt man fest, dass sich in unmittelbarer Nähe von Mechernich die Standorte Floisdorf, Soller und Boich befinden: An diesen drei Orten wurden sog. „topischen“ Gottheiten geweihte Altäre entdeckt, wobei diese Bezeichnung darauf verweist, dass diese Gottheiten den Namen der Gegend oder des Ortes tragen, an denen sie verehrt wurden9; diese Göttinnen heißen Matronae Textumehae (CIL XIII 7849, 7899 und Schillinger-Häfele 146) und sind ausnahmslos in diesem Gebiet10 rund um den antiken Siedlungsbereich Zülpich belegt. Die sprachwissenschaftliche Untersuchung dieser als germanisch11 identifizierten Bezeichnung Tech + tum + Suffix ehae verweist auf die indoeuropäische Wurzel deks/texs, wie sie auch einerseits im keltischen12 Tecto- so z.B. im Namen der Tectosagen13, in der curia der Textoverdi (RIB 1695) und im germanischen techs „rechts, südlich“14 andererseits erscheint. Daher kann man die Hypothese aufstellen, dass die Buchstaben TEC (fig. 2) am Ende des Bleibarrenstempels aus Tongern auf den Rothenhöfer 2003; Hanel & Rothenhöfer 2005. In Bezug auf die Gründung, Hauptstadt und Organisation der Provinz Germanien siehe: Eck & von Hesberg 2003; Eck 2004 a; 2004b 63-126; 2007 9-32. Siehe dazu z.B.: Tacitus, Annalen, I, 31; vgl. Cassius Dio LVI, 23-25 bezüglich der Jahre 9-11. Zur einheimischen Produktion siehe: Melzer & Capelle 2007. Rothenhöfer 2005, 88-90. von Petrikovits 1960, 68; Horn 1987, 154-156; Rothenhöfer 2005, 88-90. Rothenhöfer 2007. Vgl. Spickermann 2002, 145-146; Spickermann 2009, 356-357. Spickermann 2008, 295. Gutenbrunner 1936, 169; Neumann 1987, 109 ; Reichert 1987, 659. Delamarre 2003, 294. Evans 1967, 265-266. Pokorny 1959, 190. – 40 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 41 Herstellungsbereich Mechernich hinweisen, was aufgrund der Isotopenanalysen möglich wäre, und dessen Name nach den ihn schützenden Matronen, den Matronae Textumehae, rekonstruiert werden könnte15. Plumbum Germanicum – Barren aus augusteisch-tiberischer Zeit Die im Mittelmeer geborgenen Schiffswracks haben uns eine beträchtliche Zahl epigrafischer Informationen über das germanische Blei geliefert; aus ihnen geht hervor, dass das Blei nicht nur in der Herstellungsregion verwendet, sondern auch in das Imperium exportiert wurde. Diese Informationen können mit lokalen Funden verglichen werden. Die Interpretation dieser schriftlichen Zeugnisse kann sich dabei auf Isotopenanalysen aus den letzten Jahren stützen, bei denen sich zwei große, auch in archäologischer Hinsicht anerkannte Produktionsgebiete herausgestellt haben. So zum einen die Eifel, aus der das Blei des in Tongern aufgefundenen Barrens stammt. Zum anderen die Gegend um das sauerländische Brilon16, die Spuren römischen Bergbaus zur Zeit von Augustus aufweist: Diese Gegend befindet sich auf der rechten Rheinseite, in einem Gebiet, das die Römer nach der clades Variana aufgaben; die Produktion wurde anschließend linksrheinisch weitergeführt. 1° Das Wrack von Rena Maiore vor Sardinien17 liefert zwei interessante Inschriften auf unterschiedlichen Barren: a) Augusti Caesaris (plumbum) Germanicum (AE 2000, 653)18 „germanisches Blei, Eigentum des Kaisers Augustus Caesar“ Auf einigen Barren befinden sich außerdem 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 Gegenstempel: - L. Val(erius) Ruf(us)19 (AE 2002, 636a) auf der Langseite, teilweise zwei- oder dreimal aufgedruckt; - CHI könnte die auf den Schmalseiten aufgeprägte Abkürzung des Namens Chilon20 (AE 2002, 636b) sein; - IMP(eratoris)21 (AE 2002, 636c). b) Pudentis (plumbum) Germ(anicum) (AE 2002, 636d)22 „germanisches Blei, (Herstellung?) durch Pudens, ebenfalls versehen mit dem Gegenstempel CHI (AE 2002, 636e)23. Anzumerken ist, dass die Zeichen des Kaisers Augustus in eine Kartusche gegossen, die von Pudens hingegen mit einem Stempel geprägt sind. Die vollständig ausgeschriebene Angabe Germanicum belegt deutlich, dass alle anderen früher angeführten Lesarten für die auf Barren vorhandenen Abkürzungen Ger oder Germ falsch sind. Die Gegenstempel bedeuten, dass andere Personen, deren Rolle aber schwer einzuschätzen ist, beteiligt waren: An der Herstellung? Oder am Transport oder am Vertrieb? 2° Dieses Zeichen lässt sich vergleichen mit der unvollständigen Prägung, die in Brilon24, einem Bergbaugebiet des Sauerlandes, entdeckt wurde: ]Pudent[is (AE 2005, 1099) Die Analysen zeigen, dass dieses Blei auf keinen Fall aus Spanien oder Britannien stammen kann, eine Herstellung im Sauerland hingegen möglich ist. Zu lesen ist der Name des Kaisers Augustus sowie der eines Herstellers, Pudens. Dieser einzige Name könnte auf einen kaiserlichen Beamten, einen Sklaven oder einen Freigelassenen hindeuten; es kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um Eine neue Interpretation (Belgien) gibt Raepsaet-Charlier 2011. Rothenhöfer 2003; Hanel & Rothenhöfer 2005. Ruggeri 2000, Riccardi & Genovesi 2002. Ruggeri 2000, 877 und 897-904 (Vorschlag einer iberischen Bleiherkunft); Riccardi & Genovesi 2002, 1319-1324. Riccardi & Genovesi 2002, 1323. Riccardi & Genovesi 2002, 1323. ein griechischer Name, der auf den Leibeigenenstand verweist: Solin 1996, 390. Riccardi & Genovesi 2002, 1324. Riccardi & Genovesi 2002, 1327-1329. Riccardi & Genovesi 2002, 1327. Hanel & Rothenhöfer 2005, 56-57. – 41 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 42 das Cognomen eines römischen Bürgers handelt, der das Blei durch Pacht erworben hat, da es sich hier um einen Genitiv und nicht um einen Nominativ handelt (Subjekt zu fecit). Denkbar ist ebenfalls ein Peregrinus, ein freier Einwohner des Kaiserreiches. Pudens ist jedoch ein häufig anzutreffender Name für Sklaven25. Man beachte, dass die PudensZeichen nicht in die kaiserliche Kartusche eingegossen sind, sondern eingeprägt wurden. 3° Das Wrack vor Saintes-Maries-de-la-Mer26 hat andere eingegossene, derselben Zeit zuzuordnende Stempel ergeben: a) Flavi Veruclae plumb(um) Germ(anicum) (AE 1992, 1183 b1) „germanisches Blei, hergestellt von Flavius Verucla“ mit Stempeln, deren Prägung nur die unter B verzeichnete Eigentumsmarke trägt: Imp(eratoris) Caes(aris) (AE 1992, 1183a) „Eigentum des Kaisers Caesar“. Veruclas Name steht in der Kartusche eingegossen, während der Name des Kaisers auf einem Seitenstempel steht, der nach dem Herausnehmen aus der Form eingeprägt wurde. b) Andere Barren, die aus demselben Wrack geborgen wurden, weisen zwei oder drei Stempel27 auf: L(uci) Fl(avi) Veru(clae) (AE 1992, 1183b2) oder L(uci) Fl(avi) Ve(ruclae); Erotis (AE 1997, 1042), dieser Aufdruck erfolgte mit zwei unterschiedlichen Stempelmodellen (A und B); Imp(eratoris) Caes(aris), dieser Aufdruck erfolgte mit zwei unterschiedlichen Siegelmodellen (A und B), was auf die Beteiligung einer dritten Person an 25 26 27 28 29 30 31 dem Herstellungsprozess oder an der Kontrolle oder auch am Vertrieb hinweist, nämlich auf einen gewissen Eros (es handelt sich hierbei um einen weiteren, ausdrücklich auf die Zugehörigkeit zur Sklavenschicht verweisenden Namen28), der ein kaiserlicher Sklave oder ein als institor oder actor handelnder Sklave (oder Freigelassener) von Verucla sein könnte; eventuell auch ein staatlich bestellter, im Verladungshafen tätiger Prüfer. Der auf Besitz hinzuweisen scheinende Genitiv ist jedoch problematisch. 4° Der unvollständige Stempel an dem Barren aus Bad Sassendorf/ Heppen (Museum Soest)29, Sauerland, ist in seiner Machart durchaus ganz und gar vergleichbar, da er Kartusche und Stempel für ein- und denselben Namen miteinander verbindet: L. Fla[vi Veruclae plumb. Germ.] (Kartusche) L. F. Ve (Stempelung) „germanisches Blei, hergestellt von L. Flavius Verucla » (AE 2003, 1222 ab, s. AE 1920, 7)30 Die Isotopenanalyse hat dieselben Ergebnisse gezeigt und in Anbetracht des Fundortes kann man sehr wahrscheinlich auf eine Herstellung auf rechtsrheinischer Seite schließen; man kann daher davon ausgehen, dass die Zeichen L. Flavius Verucla ebenfalls auf die Zeit der Provinz Germania Magna unter dem Kaiser Augustus (-12 / +9) zurückgehen. Verucla könnte der Pächter der Grube Brilon sein oder auch nur ein Pächter. 5° Ein anderer Stempel, der aus einem Schiffswrack aus Fos-sur-Mer31 (Museum Istres) stammt, ist ebenfalls sehr interessant, was die Erkenntnisse über die Bleiverhüttung in Germanien betrifft: Kajanto 1965, 264. Pomey 1992; Long & Domergue 1995. Die Verfasser, in der offensichtlichen Überzeugung, dass es kein plumbum Germanicum gibt, da sie diese Auslegung nicht einmal erwähnen, haben als Lesart „germ(anum)“ vorgeschlagen. Das von Verucla hergestellte Blei soll „rein“ oder „echt“ sein sowie hispanischer Provenienz, nur aufgrund der Typologie der Barren. Zeichnungen: Long & Domergue 1995, 813, Abb. 10, zusammenfassende Tabelle, 856-859. Solin 1996, 284-290. Rothenhöfer, 2003. Sie wurde so gelesen: L(uci) Fla(vi) // L(uci) F(lavi) Ve[teris]. Laubenheimer-Leenhardt 1973, 124-125 Nr. 16 und 193-199: da die Autorin von dem Nichtvorhandensein des germanischen Bleis überzeugt war, lautete ihr Vorschlag für Ger(-) ein in Britannien liegender Herstellungsstandort. Siehe im vorliegenden Band den Artikel von M. Bode zur Isotopenanalyse. – 42 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 43 Sociorum plumb(um) Ger(manicum) oder Sociorum plumb(i) Ger(manici) (AE 1959, 124), eingegossen in eine Kartusche „Germanisches Blei, Eigentum der Gesellschafter“ (der Mitglieder der Genossenschaft, die germanische Bergwerke und den Abbau in Pacht übernahm) oder auch „Eigentum der Gesellschafter der Genossenschaft des germanischen Bleis“. Diese Markierung bezeugt das Vorhandensein einer societas zum Zwecke der Pacht, welche wie „Staatspächter“ auftraten. Bei der Überprüfung des archäologischen Kontextes32 ergibt sich zeitlich gesehen der Verlauf des 1. Jahrhunderts, eher noch die zweite Hälfte des 1. Jahrhunderts33. Das Blei dieses Barrens wurde untersucht: Es entspricht genau dem Profil der anderen Barren aus germanischem Blei und verweist also aufgrund seiner Datierung auch auf die Eifel. 6° Andere in Bleibarren gegossene Stempel aus dem Mittelmeer können als weitere Gegebenheit hinzugenommen werden: Zum einen ein unveröffentlichter Barren aus Fos-sur-Mer, der den Namen Tiberius trägt und zum anderen ein 1986 vor der korsischen Insel Île Rousse geborgener Barren34. Beide werden derzeit an der Université Libre de Bruxelles untersucht und in der nächsten Veröffentlichung (M. Bode) behandelt. Die Bergbauverwaltung In den letzten Jahren waren der Besitz sowie die Betriebsweisen und der Abbau in den römischen Bergwerken Gegenstand wichtiger Untersuchungen und Abklärungen, darunter zeichnen sich insbesondere Claude Domergues35 Forschungsarbeiten aus. Bedeutende Entwicklungen lassen sich beim Übergang von der Republik bis zur Kaiserzeit feststellen, allerdings ist deren zeitliche Zuordnung nicht immer ganz einfach; dies betrifft insbesondere 32 33 34 35 36 37 den Zeitraum um die Herrschaft des Kaisers Augustus, in dem die Macht der großen Staatspächtergenossenschaften merklich schwindet und man zu einem staatlichen Finanzwesen übergeht, das unmittelbarer mit der zentralen Obrigkeit des Kaisers verbunden ist. Allerdings muss man dabei einräumen, dass selbst zur Zeit der Republik nicht alle Bergwerke der res publica in den Händen der publicani waren. Aber bei Hinzuziehung der sich mit dem Betrieb der Bergwerke befassenden Quellen vor allem aus späterer Zeit muss man in Bezug auf den untersuchten Zeitraum Vorsicht walten lassen. Die epistemologische Gefahr einer Gleichstellung der damals ergriffenen Maßnahmen mit Dirigismus oder Liberalismus stellt ebenfalls ein Risiko dar, vor dem Jean Andreau warnt36. Für die Zeit der Republik schlägt man das Vorhandensein zweier Betriebsweisen der Gruben vor, das sind die großen Genossenschaften der publicani einerseits, welche Domergue zufolge keinen Abbau betreiben, sondern die Abgaben für die Verhüttung einheimsen, und andererseits Privatgenossenschaften, die nicht über die umfassenden Privilegien der großen societates verfügen. Aber die Bedeutung des Begriffes publicani ist selbst nicht eindeutig geklärt; ob es sich um eigens gebildete Gesellschaften handelt oder ob es jeder Ersteigerer als Auftragnehmer des Staates ist, der Bergwerke gepachtet hat37. Domergue folgert bei der Prüfung der Situation in Spanien, dass die Gesellschaften der Publikanen Steuern auf Bergwerke erheben oder eintreiben; diese Gruben werden von Privatunternehmern oder Familien von Bergleuten, ja sogar von kleinen, privatrechtlichen Genossenschaften betrieben, die wiederum den großen Pachtgenossenschaften Steuern entrichten. In der Hohen Kaiserzeit gehören die Bergwerke hauptsächlich dem fiscus; dies bedeutet aber Benoît 1958, 34-37. Marty 2009. Pomey et al. 1988, 54 –55; AE 1992, 913; siehe auch den Artikel von M. Bode. Domergue 1983; 1990; 2008. Andreau 1989; 1990. Lange Diskussion bei Andreau 1989, 91-95 und Domergue 2008, 192-193. – 43 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 44 nicht, dass jedes Bergwerk zwangsläufig Eigentum des Staates ist. Was die bedeutenden Bergbaubezirke und Vorkommen an sich angeht, verweisen alle uns zugänglichen Quellen auf eine direkte oder indirekte Verwaltung durch den Staat. Aus rein juristischer Sicht wird über die Zugehörigkeit des solum provinciale, das heißt des eroberten Gebietes, zum Patrimonialbesitz des Princeps debattiert, aber faktisch impliziert sie eine privilegierte Stellung des Staates, „redoublé par la conquête“38, insbesondere wohl in solch heiklen und lebenswichtigen Bereichen wie den Bergwerken. Die Bergwerke wären dann ein Teil des von dem fiscus verwalteten Patrimoniums. Aber die Zäsur wäre nicht einschneidend, da der Staat nicht unbedingt die zuvor geltenden Vorschriften ändert. Das Römische Reich ab Augustus verwaltet eine erheblich gestiegene Menge von Vermögenswerten, für die der fiscus offensichtlich zentral verantwortlich zeichnet und gleichzeitig Beschaffer von Einkünften ist. Die Gesamtheit der Bergwerke sowie des kaiserlichen Vermögens in einer Provinz steht unter der Verantwortung eines ritterlichen Prokurators; ihm zur Seite steht ein freigelassener Prokurator. Auf der iberischen Halbinsel gibt es vier hauptamtliche Prokuratoren, dazu in den Bergbauregionen einen freigelassenen Prokurator, so etwa den procurator metallorum der Tafeln von Aljustrel. Die Bergwerksordnung des lusitanischen Vipasca zeigt im 2. Jahrhundert die äußerst aktive Rolle des mit der Leitung des Bergwerkes betrauten Prokurators auf, der mit Unterstützung von Sklaven und kaiserlichen Freigelassenen voll verantwortlicher Verwalter des Bezirkes für den fiscus war39. Die Verpachtung scheint dort gegeben zu sein. Domergue zufolge ist sie in der Kaiserzeit vorherrschend. Der Bergbau ist an Unternehmer verpachtet, unter Kontrolle durch den 38 39 40 41 Prokurator oder freigelassenen Prokurator oder dessen Stellvertreter. Eine Bergwerksordnung wie die aus Vipasca scheint genau zwischen der Aufsicht durch und den Interessen des fiscus einerseits und denen des PächterBetreibers andererseits zu unterscheiden. Verschiedene Pachtarten bestehen nebeneinander. So gibt es die Verpachtung an Publikanen-Genossenschaften, die aber anscheinend in der Kaiserzeit an Bedeutung verliert, belegt ist auch nach Zuschlag an einen einzigen und einzelnen conductor die Verpachtung einer Bergbaukonzession, oder sogar eines Bezirkes oder einer Region40. Umstritten ist allerdings, wie der Titel conductor inhaltlich definiert werden kann, wie zum Beispiel bei dem conductor ferrariarum Noricarum. Eine Quantifizierung hinsichtlich der Anzahl der „großen“ Pächter und der der kleinen Betreiber-Pächter wie in Vipasca erscheint sehr schwierig, zumal nichts der Unterverpachtung oder Übertragung mittels eines Vertrages der Art conductio-locatio entgegensteht. Die direkte Verwaltung durch den Staat gibt es auch. In diesem Fall gibt es zwangsläufig mehr staatliche Beamte und diese sind unmittelbarer involviert, mit umfangreicheren Aufgabenbereichen. Unter Augustus erfolgt die Goldgewinnung im Nordosten Spaniens durch den Staat, wobei einheimische Peregrini die Arbeit ausführen, auch wenn die Betriebsstruktur im Einzelnen “ganz ungeklärt“ bleibt41. Zum direkten Betrieb durch den Staat kann man noch das Heer hinzufügen, dessen Anwesenheit an mehreren Bergwerksstandorten belegt ist. Andreau bezeichnet sie als „gelegentlich“; er erkennt eher eine Kontrollfunktion als eine Arbeit vor Ort in den in Barren der legio II Augusta eingegossenen Kürzeln (RIB 2404.24-25), die an Bleivorkommen mit Silberanteilen in Wales angetroffen werden. Das kann sein, darüber muss aber Andreau 1989, 111. Mateo 2003. Domergue 2008, 200-201; vgl. Andreau 1989, 100-102. Der einzige für die Provinz Niedergermanien belegte conductor betrifft die Quadragesima und den „portus Lirensis“ (Nesselhauf 161). Zur Interpretation dieses Portus siehe France 2001, 337-345; man befindet sich hier allerdings in einem anderen Bereich, dem der Steuern und Abgaben. Andreau 1989, 106. – 44 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 45 Fig. 3 Buchstaben mit TI(berii) noch gesprochen werden, insofern als das Heer über die nötige Infrastruktur und die technische Ausrüstung für den Erzabbau verfügte und wahrscheinlich seit dem Beginn der Kaiserzeit in Germanien wirkte. Domergue42 hat Recht, wenn er die beiden Fälle miteinander verbindet. Und wenn man, wie in Spanien, berücksichtigt, dass der Name des Herstellers in die Form auf der Rückseite des Barrens eingegossen ist und die Seitenstempel nur die an der Distribution nacheinander beteiligten Händler bezeichnen, dann muss man als erwiesen annehmen, dass der Kaiser der Produzent ist, wenn sein Name in die Form eingegossen ist: Es handelt sich dann um Direktverwaltung. Auf welche Art und Weise kann man sich die Bleiherstellung in Germanien folglich vorstellen? Die in der Form eingebrachten Prägestempel mit den Namen Augustus oder Tiberius, wie auch die der Kaiser, die auf Barren aus Aquitanien, Britannien, Sardinien oder Noricum43 belegt sind, verweisen auf das Patrimonium und auf eine Direktverwaltung. Die Herstellung des germanischen Bleis ist in einen ganz besonderen historischen Kontext einzuordnen, zumindest in Bezug auf die rechtsrheinische, sehr kurzzeitige Gewinnung, frühestens in das Jahr -12, als Drusus die Eroberung bis zur Weser und an die Elbe ausdehnt, spätestens in das Jahr 9 nach Christus, bei der Varusniederlage. Eine ganze Reihe von Indizien lassen darauf schließen, dass das eroberte Gebiet als Provinz44 eingerichtet wurde, und dies schon ab dem Triumph des Tiberius im Jahre -8. Hiermit wird durch die unmittelbar anschließende Urbanisierung, wie zum Beispiel in Waldgirmes, oder die Einsetzung des Kaiserkultes im Oppidum Ubiorum, der bisher vernachlässigte Text von 42 43 44 45 Cassius Dio (56,18,2) bestätigt. Augustus wollte wohl ähnlich wie in Gallien die gleiche Integrationsdynamik nach der ersten Reise Agrippas einführen und eine rasche Zustimmung und Einbindung der neuen einheimischen Eliten erreichen, ein wenig wie bei den Tres Galliae, als er im Jahre 12 nach Christus die einheimischen Vertreter der neu gebildeten gallischen civitates in Lyon zum Kaiserkult um den Altar versammelte. Werner Eck vertritt die Vorstellung einer direkten und starken Einbeziehung der höchsten Ebene der Staatsmacht, das heißt des Kaisers und seiner Familie, seiner familia, in die Organisation der neuen Provinz. Drusus und, nach seinem Tod, Tiberius (fig. 3), übt die höchste Macht aus; er befehligt das Heer und trägt die zivile Verantwortung eines Statthalters für die Provinz. Lange vor der Neugründung der Stadt durch Claudius als Colonia Claudia Ara Agrippinensis erscheint das Oppidum Ubiorum wie ein umfassender städtischer Wirtschaftsund Verwaltungsschwerpunkt inmitten einer voll nutzbaren Fluss- und Straßeninfrastruktur. Es gibt mehrere Hinweise auf den direkten Einfluss der augusteischen Staatsmacht am Rhein, so zum Beispiel in dem oppidum, das monumentale Mausoleum eines dispensator, welcher im Finanzbereich verantwortlich tätig war, oder die Präsenz des Vedianus, eines weiteren kaiserlichen Freigelassenen, den Werner Eck45 durchaus mit dem Patrimonium, das ab der ersten Eroberungsphase zur Verwaltung des von der Staatsmacht erworbenen Patrimonialvermögens gebildet wurde, verbunden sähe. Diese beiden Zeugnisse sollen die Indizien für das Vorhandensein eines mit diversen, direkt mit den Belangen des Princeps verknüpften Aufgabenbereichen betrauten Personals sein. Domergue 1994. Domergue 2008, 191. Vgl. o.a. Eck & von Hesberg 2003, 191-198 (AE 2004, 969 abc). – 45 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 46 Während der relativ kurzen Zeit der Einrichtung der neuen Provinz Germanien auf der rechten Rheinseite musste das Heer besonders aktiv gewesen sein. Wie auch in den anderen eroberten Provinzen werden die Infrastruktur und die Verwaltungsgrundlagen der neuen Staatsmacht von den Legionen und ihren spezialisierten Diensten (dazu gehören Topografen, Techniker und Logistiker) sowie eigene oder dienstverpflichtete Arbeitskräfte gelegt und gebildet. Die rheinischen Bezirke behalten ihre strategische Bedeutung auch nach der Niederlage des Varus und dem Rückzug auf die linke Rheinseite. Mehrere Legionen und Auxiliartruppen sichern die Nordwestgrenze des Imperium Romanum. In der linksrheinisch gelegenen Eifel sind die Voraussetzungen für den Bergwerkbetrieb in einer befriedeten Gegend anders geartet, in der das Heer wohl eher eine deutlich unbedeutendere Rolle gespielt hat und der Betrieb durch Privatunternehmer stärker verbreitet war. Die über einen langen Zeitraum (bis in die späte Kaiserzeit und sogar noch weiter bis ins 20. Jahrhundert hinein) währende Bleiherstellung hat zwangsläufig zur Entwicklung anderer Abbauarten geführt; diese Entwicklungen wurden bisher wenig dokumentiert46. Man kann alles in allem meinen, dass es sich um eine Direktverwaltung durch den Staat handelt, wenn der Name des Kaisers im Hauptstempel auf der Rückseite des Bleibarrens aus plumbum Germanicum erscheint; diese Verwaltung stützt sich bei bestimmten Umständen auf die technischen Hilfsmittel des Heeres wie wohl auch auf die Fachkompetenz und Erfahrung der örtlichen Bevölkerung. Wenn hingegen der Name eines Privatmannes erscheint, wie z.B. L. Flavius Verucla, oder auch der einer Genossenschaft, hier z.B. die für Fos-sur-Mer belegten socii, könnte es sich um eine indirekte Verwaltung handeln, also um eine Pacht. Allerdings spricht nichts gegen das gleichzeitige Nebeneinander von Privatunternehmern und unmittelbar dem Princeps unterstehendem Militär- oder Zivilpersonal in demselben 46 47 48 Siehe den Artikel von Peter Rothenhöfer in diesem Band. Riccardi & Genovesi 2002, 1323. Riccardi & Genovesi 2002, 1323-1324. – 46 – Bergwerksbezirk. Die auf ein und demselben Barren nebeneinander stehenden Namen des Privatunternehmers und des Kaisers können dem dem Staat vorbehaltenen Produktionsanteil und eventuell gleichzeitig dem Pachtzins entsprechen; dieses Vorgehen bei der Eintreibung ähnelte dann der pars dimidia ad fiscus pertinens auf der Tafel von Aljustrel. In jedem Fall ist bei den beobachteten Vorgehensweisen der Gewinnung des plumbum Germanicum jegliches Zufallsgebaren fremd. Sie erfolgen im Rahmen bekannter und bewährter Amtsstrukturen, was auf rechtsrheinischer Seite für den offiziellen Status der neuen Provinz Germanien spricht, auch wenn dies nur vorübergehend war, und auf linksrheinischer Seite für ein Verwaltungswesen, in das die civitates und die Prokuratoren eingebunden sind. Bei dem Versuch, die Gebrauchsschemata der Stempel und Gegenstempel näher zu erklären, stößt man auf folgende Befunde, die innerhalb der großen Optionen (Direktverwaltung, Verpachtung) eine Reihe von Varianten aufweisen. A. Bei den eingegossenen Stempeln aus Rena Maiore (AE 2000, 653) handelt es sich um eine Direktherstellung des Kaisers Augustus. Die Gegenstempel verweisen wahrscheinlich auf verschiedene Stadien des Transportes vom Herstellungsbergwerk bis zum Schiff, denn zum gegenwärtigen Zeitpunkt fehlen für das plumbum Germanicum (fig. 4) konkrete Belege für die Ankunft in Ostia. L. Valerius Rufus (AE 2002, 636a) könnte entweder der Name eines kaiserlichen Beamten sein (aber es erscheint verwunderlich, dass ein ingenuus ein solches Amt bekleiden könnte) oder auch der eines Transportunternehmers oder Händlers47. Chi(lo ?) (AE 2002, 636b) könnte ein im Hafen beschäftigter Sklave sein, der mit der Kontrolle des jeweiligen Gewichtes betraut war oder auch mit der Aufsicht über die Gebührenzahlung (oder die Befreiung davon)48. IMP(eratoris) (AE 2002, 636c) könnte Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 47 ein redundanter Stempel sein oder der Hinweis auf eine Beschäftigungskategorie: In diesem Falle bedeutet die Abwesenheit dieses Stempels vielleicht zum Beispiel, dass der nicht nochmals gestempelte Barren nicht dem öffentlichen Gebrauch zugeführt wird, sondern dem Handel. Oder auch, dass diese mehrfach mit Imp. abgestempelten Barren den Preis für eine Transaktion darstellen (Transport?). B. Im Falle der eingegossenen Stempel aus Saintes-Maries-de-la-Mer mit dem Namen Verucla (AE 1992, 1183b1) erscheint L. Flavius Verucla als „Prinzipal“, als Pächter und Produzent. In diesem Falle würde der nachträglich durch einen Stempel aufgebrachte Gegenstempel Imp. Caes. (AE 1992, 1183a) einer Zahlung an den Kaiser entsprechen, und zwar als Pachtzins oder als Kaufpreis bei einem Nutzungsvertrag49, oder auch als Gebühr. C. Wo Verucla als Gegenstempel erscheint (AE 1992, 1183b2)50, gibt es keinen eingegossenen Stempel, daher besteht Unsicherheit bezüglich des Eigentümers oder Hauptersteigerers, es sei denn, man akzeptiert den Gegenstempel als offiziellen Produktionsstempel. Eine andere Alternative wäre: Eine kaiserliche Direktproduktion, bei der Verucla als Händler oder Spediteur auftritt. Wenn man von dieser Hypothese ausgeht, wäre Eros (AE 1997, 1042) gleichbedeutend mit Chilon, einem staatlichen Zoll- oder Hafenaufseher. Und der Stempel IMP CAES könnte als Quittung für geleistete Abgabenzahlungen dienen. D. Das Fragment aus Bad Sassendorf (AE 2003, 1222 ab) kombiniert B und C: Verucla in der Kartusche und als Gegenstempel auf demselben Barren. Man könnte in Betracht ziehen, dass Verucla gleichzeitig als Ersteigerer-Produzent und als selbstständiger Händler auftritt. E. Der Fall Pudens ist unklar (AE 2002, 636d ; AE 2005, 1099)51. Der Einzelname mit Bezug auf 49 50 51 52 53 Fig. 4 Buchstaben mit GERM(anicum) eine Leibeigenschaft deutet auf einen Sklaven hin, aber ist es ein kaiserlicher Sklave (in diesem Falle hat man es mit einer Direktverwaltung zu tun) oder handelt dieser als actor eines Ersteigerers (in diesem Falle ginge es dann um eine Verpachtung)? Der Genitiv könnte einfach ein Indiz für eine von Pudens aufgrund seiner Dienstpflichten getätigte Handlung sein. Die Hypothese eines selbstständigen Peregrinus klingt aufgrund der Datierung wenig glaubhaft -es geht um den Beginn einer Provinz- Produktion in einer frisch eroberten Region-; ein Beleg könnte auch die sprachliche Beschaffenheit des in Germanien seltenen Namens sein, der wahrscheinlich auf deine Herkunft aus Italien hindeutet. Im Falle des Pudens-Barrens aus dem Wrack vor Rena Maiore kann der mit dem der anderen Barren unterschiedlicher Machart identische Gegenstempel CHI(lo ?)(AE 2002, 636e) der Beleg für ein späteres Aufbringen dieses Stempels sein, der in Zusammenhang mit dem Transport oder eher noch Umschlag im Hafen stehen könnte52. F. Der eingegossene Stempel der Socii (AE 1959, 124) impliziert eine dritte Betriebsart in der Form einer Verpachtung, nicht an eine Einzelperson, sondern an eine societas. Aufgrund der Datierung53 muss im vorliegenden Falle die Gründung der Genossenschaft die Vergabe an Einzelpersonen abgelöst haben; Gründe hierfür liegen zum Beispiel in der Ausweitung des Bleiabbaus und der Herstellung und des damit einhergehenden Anstieges der Kosten und Investitionen. Rothenhöfer 2005, 92. Mehrere Abläufe werden von Long & Domergue 1995, 830-834 in Betracht gezogen; alle betreffen mehrere Stadien bei der Distribution. Hanel & Rothenhöfer 2005, 57-58. Riccardi & Genovesi 2002, 1327. Die von Ruggeri (2000, 903) vertretene Vorstellung, dass die societas der Vergabe an Einzelne vorausgegangen ist, scheint durch das Datum der Ladung widerlegt. – 47 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 48 Abschließend kann man sagen, dass der nicht mit einem Gegenstempel versehene Bleibarren des Tiberius in Tongern sich in die vor Rena Maiore geborgenen augusteischen Barren einreiht; er entspricht der kaiserlichen Direktverwaltung, die in vorliegendem Fall in der Eifel vielleicht fortgesetzt wurde, und den man in Britannien nur mit dem Namen des Kaisers und dem topografischen Hinweis auf das Vorkommen versehen auffindet (zum Beispiel RIB 2404.31). In Tongern wie in Britannien wird der Barren in der Nähe des Herstellungsortes aufgefunden, was erklärt, warum er nicht mit den mit dem Transport und den Hafenverrichtungen zusammenhängenden Gegenstempeln versehen worden ist, die man auf den Barren aus den Wracks findet. Schlussbetrachtungen Der Barren des Tiberius liefert also einen ergänzenden und interessanten Aspekt der Thematik hinsichtlich der Gewinnung des plumbum Germanicum. Zunächst einmal ist die Einbindung des Kaisers in die Herstellung in diesem Falle klar belegt, und zwar nicht nur in den militärisch besetzten Gebieten in der Zeit der Eroberung, sondern auch in der Provinz Niedergermanien. Nach einer langen Zeitdauer, in der das plumbum Germanicum von der Forschung völlig ignoriert wurde, hatten die kürzlich vorgelegten Untersuchungen vor allem die augusteische Produktion im Sauerland herausgestellt, die zwar nur sehr kurz, aber dafür umfangreich war und in den Mittelmeerraum exportiert wurde. Der in Tongern aufgefundene Barren veranschaulicht zum ersten Mal ein kaiserliches Besitztum zu Beginn des 1. Jahrhunderts n. Chr. in den Bergwerken der Nordeifel; diese waren bisher für Produktionen in späterer Zeit bekannt (wie zum Beispiel der Stempel der XVI. Legion oder der des Valentinianus in St. Aldegund zeigen). Nach unserer Meinung fügt sich das in dieser Studie von uns hervorgehobene Toponymie- 54 Element besonders gut in die von technischen und historischen Indizien ausgehende Argumentationskette ein, die für eine Herstellung von Blei in der Eifel zu römischer Zeit spricht54. Bibliographie ANDREAU J. 1989: Recherches récentes sur les mines romaines, Revue de Numismatique, 31, 1989, 86112 ; 32, 1990, 85-108. BENOÎT F. 1958: Nouvelles épaves de Provence, Gallia 16, 1958, 5-39. DELAMARRE X. 2003 : Dictionnaire de la langue gauloise, Paris. DOMERGUE Cl. 1983: La mine antique d’Aljustrel (Portugal) et les tables de bronze de Vipasca, Paris. DOMERGUE Cl. 1990: Les mines de la Péninsule ibérique dans l’Antiquité romaine, Roma. DOMERGUE Cl. 1994: L’État romain et le commerce des métaux à la fin de la République et sous le HautEmpire, in Economie antique : Les échanges dans l’antiquité. Le rôle de l’Etat, Saint-Bertrand-deComminges, 99-113. 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Ein Bleibarren wurde in Tongeren (Tab. 1, B-0001) gefunden, zwei weitere in der Rhônebucht bei Fos-sur-Mer (Tab. 1, F-0001, F-0007) und ein Barren bei Île Rousse auf Korsika (Tab. 1, F0006)2. Während drei Bleibarren in ihren Gußinschriften römische Kaiser nennen, ist auf einem nur eine anonyme Pachtgesellschaft (socii) erwähnt. In allen Gussinschriften findet sich das Kürzel GERM bzw. GER. Aus historisch-epigraphischer Sicht stellt sich die Frage, ob dieses Kürzel jeweils zu der Herkunftsangabe (plumbum) Germanicum aufzulösen ist. Zumindest im Falle des Barrens von Île Rousse wäre auch eine Auflösung als kaiserlicher Beiname Germanicus denkbar. 1 2 3 4 Die Provenienzbestimmung mittels Bleiisotopenanalyse soll hier zu mehr Klarheit führen. Zur Zeit sind 54 Barren von fünf (sollte sich der Barren von Île Rousse auch als germanisches Blei zu erkennen geben, dann sechs) Fundorten bekannt, die über ihre Inschriften deutlich als plumbum Germanicum-Barren gekennzeichnet sind [Fos-sur-Mer (F), Île Rousse (F), Rena Maiore (I), Saintes-Maries-dela-Mer (F), Soest (D), Tongeren (B)].3 Mehr als 100 weitere Bleibarren sind aufgrund ihrer Stempel und Fundumstände ebenfalls römischer Bleiproduktion in Germanien zuzuordnen.4 Im folgenden werden Bleiisotopendaten der römerzeitlichen Bleierzbergbaue der Nordeifel, des Bergischen Landes und des Briloner Bergbaureviers im Sauerland innerhalb des Deutsches Bergbau-Museum Bochum, Forschungslabor für Archäologie und Materialwissenschaften, Herner Straße 45, D-44787 Bochum. E-mail: michael.bode@bergbaumuseum.de Eingehende archäologisch-epigraphische Untersuchung der Barren F-0006 und F-0007: Raepsaet-Charlier, 2011, s. a. Beitrag Raepsaet-Charlier & Charlier, in diese Publikation. Laubenheimer-Leenhardt 1973; Long & Domergue 1995; Riccardi & Genovesi 2002; Rothenhöfer 2003. Rothenhöfer 2003; Vergl. Hanel & Rothenhöfer 2005; Bode 2008; Bode et al. 2009. – 50 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 51 nördlichen Rheinischen Schiefergebirges als Vergleichsdaten zugrunde gelegt.5 Anzumerken ist, dass das Briloner Bergbaurevier aus historisch-archäologischen Überlegungen heraus nur in augusteischer Zeit, also zur Zeit der Germanienfeldzüge bis zur Varus-Schlacht 9 n. Chr., den Römern als Bleilieferquelle gedient haben kann.6 Eine Unterscheidung von Bleierzen der Nordeifel und des Briloner Bergbaureviers ist allerdings weder geochemisch noch bleiisotopisch möglich.7 Grundlagen der Bleiisotopie In der Archäologie kann die Entschlüsselung der Herkunft von Metallobjekten wichtige Informationen über Handelsbeziehungen, Handelswege und die Ausbreitung vergangener Kulturen bereitstellen. Für die Herkunftsuntersuchung bedarf es einer Vergleichsmöglichkeit, die bei der Metallherstellung unverändert bleibt, sich also eindeutig vom Metall zum Erz zurückverfolgen lässt. Der Vergleich der chemischen Zusammensetzung von Erz und Metall, das heißt von Spurenelementen im Erz, die mit dem Metall legieren, ist nur bedingt geeignet, da Erzlagerstätten heterogen aufgebaut sein können und sich die Spurenelemente bei der Verhüttung verschieden verhalten. Zudem ist grundsätzlich fraglich, ob die heute anstehenden Erze mit den damals abgebauten wirklich vergleichbar sind. Weitaus besser geeignet ist der Blick auf die Isotopenzusammensetzung ausgewählter chemischer Elemente. Viele Elemente kommen als Isotopengemische vor, deren Atome eine konstante Anzahl an Protonen, aber unterschiedlich viele Neutronen besitzen, also auch unterschiedliche Massen. Bei leichten Elementen wie Sauerstoff ist der relative Massenunterschied zwischen den Isotopen verhältnismäßig groß, sodass bei physikalischen Prozessen wie Verdampfung messbare Fraktionierungs- 5 6 7 8 effekte, also Veränderungen der Isotopenzusammensetzung, auftreten. Dies liegt darin begründet, dass die leichteren Isotope gegenüber den schwereren bevorzugt in die Dampfphase übergehen. Schwere Elemente, deren relative Massenunterschiede zwischen den Isotopen entsprechend gering sind, fraktionieren nur unwesentlich, sodass kleinste daraus resultierende Veränderungen im Isotopenverhältnis vernachlässigt werden können.8 Für die Herkunftsuntersuchung von Metallen, aber auch Gläsern, Pigmenten oder Glasuren, eignet sich besonders das schwere Element Blei (Pb). Blei besteht unter anderem aus den stabilen Bleiisotopen 204Pb, 206Pb, 207Pb und 208Pb. Entgegen dem seit der Erdentstehung ursprünglichen 204Pb wächst der Anteil der drei anderen radiogenen Bleiisotope im Muttergestein von Erzlagerstätten durch den Zerfall der radioaktiven Elemente Uran und Thorium kontinuierlich an. Eisen-, Kupferoder Bleierzlagerstätten enthalten nur in seltenen Fällen Uran und Thorium. Bleiglanz, das häufigste Bleierz, ist praktisch frei davon. Je jünger eine Erzlagerstätte ist, desto radiogener ist ihre Bleizusammensetzung. Die Bleiisotopenverhältnisse dienen somit als „geolo- Informationen zum römischen Bleibergbau im Bergischen Land bietet Körlin 2006. Hanel & Rothenhöfer 2005. Bode 2008. Diskussion z. B. in Gale & Stos-Gale 1982, 2000; Stos-Gale & Gale 2009. – 51 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 52 gische Uhr“, wodurch mit Hilfe der Bleiisotopenmethode also nicht nur eine direkte Vergleichsmöglichkeit zwischen Erz und Metall, sondern auch ein Unterscheidungskriterium für Lagerstätten verschiedenen Alters besteht. Im Falle der römischen massiven Bleibarren kommt zum Tragen, dass sie als unmittelbare Bergbauprodukte erfahrungsgemäß die bleiisotopische Zusammensetzung des Bleierzes einer einzelnen Lagerstätte widerspiegeln, es sich also nicht um zusammengegossenes Altmetall handelt. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die Bleiisotopenmethode ein Ausschlussverfahren ist. Das heißt die absolut sichere Bestimmung eines Metallliefergebietes mittels bleiisotopischen „Fingerabdrucks“ ist hiermit nicht möglich. Dies liegt daran, dass gleich alte Lagerstätten sehr ähnliche Bleizusammensetzungen aufweisen können. Offenkundig ist dagegen, welche Lagerstätten als Liefergebiet von Metallen nicht in Frage kommen können. Messmethodik Die Proben der römischen Bleibarren von Tongeren (B-0001) und Fos-sur-Mer (F-0001) (Tab. 1), sowie zusätzlich die eines Bleistücks von Tongeren (Tab. 2) gefunden in der Gegend des Barrens während die Ausgrabungen, wurden im Institut für Mineralogie in Münster mit einem ThermalIonisations-MassenSpectrometer (TIMS, VG Sector 54) analysiert.9 Die Bleiisotopenzusammensetzung der Proben der römischen Bleibarren F-0006 und F-0007 wurde im Institut für Geowissenschaften der Universität Frankfurt a. M. mit einem Multikollektor-ICP-MS (Neptune, Thermo Scientific) bestimmt. Diese Proben wurden in 2 N HNO3 gelöst, abgeraucht und mit 2 % HNO3 verdünnt (0,25 mg/l). Als interner Standard wurde den Proben 0,1 mg/l Thallium 9 10 11 12 13 zugesetzt. Zur Kontrolle wurde der Standard NIST SRM-981 mitgemessen. Die Präzision lag unterhalb 0,005 %, die Genauigkeit unterhalb 0,05 % (2 SD). Bleiisotopenvergleich der vier römischen Bleibarren mit weiteren Barrenanalysen und wichtigen Bleierzlagerstätten des Römischen Reiches Obwohl die Inschriften der untersuchten Bleibarren auf eine Herkunft aus Germanien deuten, sollten neben diesen potentiellen Liefergebieten (Nordeifel, Bergisches Land, eventuell auch das Briloner Bergbaurevier) weitere für jene Zeit in Frage kommende Bleierzlagerstätten mit in die Untersuchung einbezogen werden. Hierzu gehören die großen Bergbaureviere im Süden der Iberischen Halbinsel (Cartagena-Mazarrón, Sierra Morena), die während der Zeit der römischen Republik und auch darüber hinaus die antike Welt mit Blei belieferten.10 Bleiisotopenuntersuchungen an Bleibarren der römischen Republik und der frühen römischen Kaiserzeit bestätigten dies.11 Auch in Südfrankreich (Cévennen, Montagne Noir) könnte Blei in den Jahrhunderten römischer Herrschaft in größeren Mengen, also auch für den Export von Blei in Form von Bleibarren, erwirtschaftet worden sein. Dies kann jedoch bis heute nicht durch entsprechende Bergbauspuren untermauert werden.12 Auf Sardinien gibt es immerhin einen Bleibarren mit der Nennung des Augustus und mindestens weitere 10 Bleibarren mit Hadrian-zeitlicher Gußinschrift, wovon fünf bis dato analysierte Bleibarren aufgrund des Bleiisotopenvergleiches auch dort produziert worden sein dürften.13 Was die Epoche des Augustus betrifft, zeigen auch Bleiisotopenanalysen an insgesamt 150 Bleifunden aus augusteischen Militärlagern des rechtsrheinischen Germaniens, dass eine Versorgung Germaniens mit Zur Methodik z. B. Bode et al. 2009. Domergue 1987 und 1990; Meier 1995; Trincherini et al. 2001. Grögler et al. 1966; Begemann & Schmitt-Strecker 1994; Pinarelli et al. 1995; Trincherini et al. 2001 und 2009; Picottini et al. 2003; Róda 2004; Domergue et al. 2006; Tisseyre et al. 2008. Davies 1935; Nriagu 1983; Meier 1995; Trincherini et al. 2001. Eine Analyse stammt von Pinarelli et al. 1995. – 52 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 53 Blei aus Südfrankreich oder Sardinien unwahrscheinlich ist. Das untersuchte Bleikontingent scheint fast gänzlich aus den lokalen Bergbauen am Rhein und ein geringer Teil aus Spanien zu stammen.14 Der Vollständigkeit halber werden in Abbildung 1, ungeachtet der Zeitstellung, alle zur Verfügung stehenden Isotopenanalysen von römischen Bleibarren und deren mutmaßliche Herkunftsgebiete präsentiert. Ein Großteil der Daten stammt aus dem laufenden Projekt Corpus der römischen Bleibarren des Deutschen Archäologischen Instituts und des Deutschen Bergbau-Museums Bochum, mit dem eine möglichst vollständige Aufnahme aller bekannter Bleibarren des Römischen Reiches und die Bestimmung der Bleiisotope wichtiger Bleibarren(-gruppen) angestrebt wird.15 Dadurch sollen unter Anderem neue Erkenntnisse zur Bleiversorgung gewonnen werden. In den Bleiisotopen-Diagrammen der Abbildung 1 wird die Bleizusammensetzung der Bleierze Britanniens, Deutschlands, Sardiniens, Spaniens, der römischen Bleibarren und eines Bleistücks aus Tongeren als Häufigkeitsverhältnisse aufgetragen. Rechts oben in den Graphiken befinden sich die geologisch älteren, links unten die jüngeren Bleierze und die aus ihnen hergestellte Bleibarren. Fallen die Bleiisotopenverhältnisse von einer Lagerstätte mit denen von Bleiobjekten zusammen, so ist eine Herkunft des Metalls von dort möglich. Ist dies nicht der Fall, kann eine Herkunft ausgeschlossen werden, es sei denn, dass die Analysendaten auf einer Mischungs- bzw. Verbindungslinie zwischen zwei Lagerstätten liegen. Je nach Position auf solch einer Linie könnte man die Mischungsverhältnisse ablesen. Für Bleibarren als direkte Bergbauprodukte sind keine Mischungseffekte bekannt. 14 15 16 17 Die Bleizusammensetzung der hier vorgestellten vier römischen Barren (gelbe Karos, Daten in Tab. 1) liegen in beiden Diagrammen der Abbildung 1 im Variationsbereich der Bleierzlagerstätten der Nordeifel und des Briloner Bergbaureviers (blaue Quadrate, 207Pb/206PbVerhältnisse zwischen 0,845 und 0,855). Das Bergische Land kommt in diesem Fall nicht in Frage (blaue Quadrate, 207Pb/206Pb-Verhältnisse zwischen 0,855 (ein Datenpunkt) und 0,862). Von hier kann aber z. B. der Halterner Barren der 19. Legion kommen.16 Britannien kann aus historischen Gründen nicht als Bleiquelle fungiert haben. Die Barren fügen sich also in die Gruppe der anderen frühkaiserzeitlichen plumbum Germanicum-Barren (hellblaue Karos).17 Damit dürfte im Falle des Barrens von Île Rousse das in der Kartuscheninschrift nach dem Kaisernamen erscheinende GERM wohl weniger als Siegerbeiname Germ(anicus) denn als Herkunftsangabe Germ(anicum) aufzulösen sein. Des Weiteren distanziert sich diese Gruppe von Bleibarren in beiden Schaubildern deutlich von denen aus der Zeit der Römischen Republik und der frühen Römischen Kaiserzeit (violette Karos), die mit Sicherheit von der Iberischen Halbinsel stammen. Das gleiche gilt für die vermutlich auf Sardinien produzierten Hadrian-zeitlichen Bleibarren (orange Karos). Dass die plumbum Germanicum-Barren das Resultat einer Mischung von Bleierzen aus Spanien sind, ist theoretisch möglich, kann aber, wie oben angedeutet, ausgeschlossen werden. Nicht nur die Herkunftsbezeichnungen auf den Barren sprechen dagegen, sondern auch, dass die Datenpunkte der einzelnen Bleibarren in solch einem Fall, da sie von mindestens fünf verschiedenen Produzenten kommen, auf einer gedachten Mischungslinie zwischen den spanischen Lagerstätten links und in der Mitte der Diagramme (violette Quadrate) in einem größeren Bereich streuen sollten. Es bleibt also festzuhalten, dass durch Bode 2008; Bode et al. 2009. 50% der Messdaten stammen von Durali-Müller 2005. Siehe Artikel Rothenhöfer, Hanel & Bode in diese Publikation. von Schnurbein 1971;Bode 2008. Trincherini et al. 2001. Bode 2008. Bode et al. 2009. Unter Verwendung aktueller Daten des CMPR-Projekts. – 53 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 54 das Zusammenspiel von Naturwissenschaft, Lateinischer Epigraphik und Archäologie herausgearbeitet bzw. bestätigt werden konnte, dass mit großer Wahrscheinlichkeit nicht nur Spanien und ab Mitte des 1. Jh. n. Chr. Britannien, sondern auch Germanien, wenigstens für einige Jahrzehnte der frühen römischen Kaiserzeit, eine wichtige Rolle in der Bleiversorgung des Imperium Romanum spielte. Die Bleiisotopenverhältnisse eines Bleistückes von Tongeren (gelbes Quadrat, Daten in Tab. 2) sind vergleichbar mit denen der plumbum Germanicum-Barren, womit davon ausgegangen werden kann, dass sein Blei aus demselben Liefergebiet kommt. Tabelle 1: Bleiisotopenverhältnisse ± 2 -analytische Genauigkeit (entspricht dem Schwankungsbereich, in dem sich der wahre Wert zu 95% aufhält) der plumbum Germanicum-Barren (B-0001, F-0001 (s. Bode et al. 2009 „F1/1“), F-0006, F-0007) Objekt B-0001, IMP TI CAESARIS AVG GERM TEC, Tongeren F-0001, SOCIORVM PLVMB GER, Fos-Sur-Mer Pb/206Pb ±1.E-03 2,086 208 2,090 Pb/206Pb ±2.E-04 2,085 208 F-0006, [.] CAES AVG IMP GERM TFCF, Île Rousse F-0007, IMP TI CAESARIS AVG GERM TEC, Fos-Sur-Mer 2,085 Pb/206Pb ±3.E-04 0,8501 207 Pb/204Pb ±4.E-02 18,339 206 0,8510 Pb/206Pb ±2.E-04 0,8509 207 0,8497 18,374 Pb/204Pb ±4.E-03 18,357 206 Pb/204Pb ±2.E-02 15,591 207 15,637 Pb/204Pb ±1.E-03 15,620 207 18,376 15,614 Pb/204Pb ±7.E-02 38,253 208 38,397 Pb/204Pb ±1.E-02 38,278 208 38,323 Pb/206Pb ±3.E-05 0,05453 204 0,05442 Pb/206Pb ±1.E-05 0,05447 204 0,05442 Tabelle 2: Bleiisotopenverhältnisse ± 2 -analytische Genauigkeit (entspricht dem Schwankungsbereich, in dem sich der wahre Wert zu 95% aufhält) eines Bleistücks aus Tongeren Objekt Bleistück von Tongeren Pb/206Pb ±1.E-03 2,090 208 Pb/206Pb ±3.E-04 0,8505 207 – 54 – Pb/204Pb ±4.E-02 18,376 206 Pb/204Pb ±2.E-02 15,629 207 Pb/204Pb ±7.E-02 38,397 208 Pb/206Pb ±3.E-05 0,05442 204 Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 55 Abbildung 1: 204Pb/206Pb und 208Pb/206Pb vs. 207Pb/206Pb-Diagramm mit Bleiisotopenverhältnissen von römischen Bleibarren (verschiedenfarbige Karos), von den hier vorgestellten Bleibarren aus Tongeren (B), Fos-sur-Mer und Île Rousse (F) (gelbe Karos) und von einem Bleistück aus Tongeren (B) (gelbes Quadrat) im Vergleich mit den für die Bleibarrenproduktion in Frage kommenden Bleierzlagerstätten (verschiedenfarbige Quadrate) (Quellen der Lagerstätten-Bleiisotopendaten s. z. B. Bode et al. 2009) – 55 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 56 Bibliographie BEGEMANN, F. & SCHMITT-STRECKER S. 1994: Das Blei von Schiff und Ladung: Seine Isotopie und mögliche Herkunft. In: HELLENKEMPER-SALIES G. (ed.), Das Wrack. Der antike Schiffsfund von Mahdia, Köln, 1073-1076. BODE M. 2008: Archäometallurgische Untersuchungen zur Blei-/Silbergewinnung im Germanien der frühen Römischen Kaiserzeit. Dissertation, Universität Münster. Online: http://nbnresolving.de/urn:nbn:de:hbz:6-22579580819 BODE M. ET AL. 2009: Tracing Roman lead sources using lead isotope analyses in conjunction with archaeological and epigraphic evidence – a case study from Augustan/Tiberian Germania. Archaeological and Anthropological Sciences 1, (2009), 177-194. DAVIES O. 1935: Roman mines in Europe. Oxford. DOMERGUE C. 1987: Catalogue des mines et des fonderies antiques de la Péninsule Ibérique. Madrid. 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Es sind vor allem ein Schiffswrack aus der Rhônebucht (Saintes-Maries-de-la-Mer 1) und ein Wrack vor der Nordwestküste von Sardinien (bei Rena Maiore, Aglientu), die mit zusammen weit über 150 massiven Bleibarren den Kenntnisstand zum römischen Germanien in der frühen Kaiserzeit, speziell zum augusteischen Germanien, wesentlich bereichern 1 2 3 (Fig. 1)2. Bei dem Fundstück aus Tongeren handelt es sich zwar nur um einen einzelnen Barren, dennoch ist seine Bedeutung als historische Quelle nicht weniger gering. Die Gussinschrift auf dem Rücken des Barrens nennt neben dem herrschenden Kaiser, Tiberius (14-37 n. Chr.), in dessen Regierungszeit das Stück produziert worden ist, auch die Herkunft des Metalls: (plumbum) Germ(anicum) - Blei aus Germanien3. Allein diese Angabe ist bereits von großem Wert. Doch auch hier ist von hohem Interesse, welche Bleierzlagerstätte im Bereich Dr. Peter Rothenhöfer, Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik des Deutschen Archäologischen Instituts, Amalienstrasse 73b, D-80799 München. E-mail: rothenhoefer@aek.dainst.de Long et al. 1995; Hanel et al. 2005; Rothenhöfer 2005, 92-93. siehe Beitrag Raepsaet-Charlier & Raepsaet in diese Publikation. – 58 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 59 der beiden späteren germanischen Provinzen konkret als Produktionsgebiet in Frage kommt. Eine der wichtigsten Gewinnungsregionen für Blei in den römischen Nordwestprovinzen war neben Britannien, dessen Eroberung aber erst unter Kaiser Claudius ab 43 n. Chr. einsetzte, die Nordeifel. Es überrascht deshalb wenig, dass die naturwissenschaftlichen Analyseergebnisse in Verbindung mit der Inschrift recht klar auf dieses Produktionsgebiet hindeuten4. Seit langem ist bekannt, dass in der Nordeifel bereits in römischer Zeit Bleierze abgebaut wurden5. Während jedoch über den mittelalterlichen und neuzeitlichen Abbau schriftliche Quellen wie zum Beispiel Konzessionsurkunden oder Betriebsakten reichlich Informationen bereithalten, fehlen sie für die Römerzeit völlig. Deshalb hing der Forschungsstand lange Zeit gänzlich von den materiellen Hinterlassenschaften und archäologischen Beobachtungen ab. Doch gerade hier wirkte erschwerend, dass durch bergbauliche Aktivitäten in jüngeren Abbauphasen ältere Spuren überprägt und vielfach zerstört wurden. Andererseits sind aber gerade dadurch erste Nachrichten und Beobachtungen überliefert6. Sie bezeugen unzweifelhaft römischen Bergbau, doch lagen Beginn, Dauer, Intensität und Strukturen des Abbaus weitgehend im Dunkeln7. Erst Forschungen in jüngster Zeit vermochten hier erstmals nähere Einblicke zu geben. Es sind Resultate ganz unterschiedlicher Disziplinen, die sich aber gut miteinander verbinden lassen und die diesem nicht 4 5 6 7 8 9 unbedeutenden Wirtschaftszweig wieder Konturen geben. Die Bleierzlagerstätten der Nordeifel In der Nordeifel liegen verschiedene Vererzungszonen von Blei, die bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts ausgebeutet wurden8. Wirtschaftlich bedeutend waren im 19. und 20. Jahrhundert die Erzlagerstätte Rescheid auf dem Gebiet der Gemeinde Hellenthal, der Maubacher Bleiberg, vor allem aber die Vorkommen bei Mechernich und bei AachenStolberg. Hinweise auf römischen Abbau liegen aber nur aus dem Raum Mechernich/Kall-Keldenich und AachenStolberg/Breinigerberg vor (Fig. 2)9. Zwischen Mechernich und Kall-Keldenich liegt am östlichen Rand der Mechernicher Trias-Senke, einer Buntsandsteinformation, eine sich über 12 km in südwest-nordöstlicher Richtung erstreckende Vererzungszone. Der Buntsandstein ist hier infolge des hydrothermalen Aufstiegs von Erzlösungen aus dem Erdinnern unter anderem mit Galenit (Bleiglanz) imprägniert worden: Quarzkörner sind mit dem Sandstein verkittet und bilden dichte Konkretionen von 0,5-6 cm großen Knottenerzen (Fig. 3). Charakteristisch für diese Lagerstätte ist der eher geringe durchschnittliche Bleigehalt von lediglich 1,0 bis 1,5 % und zugleich ein extrem niedriger Silbergehalt. Es ist demnach zu vermuten, dass die Gewinnung von Silber durch Kupellation ökonomisch nur von untergeordneter Bedeutung war. Ergiebige Bleierzlagerstätten lagen auch südlich von Stolberg, Kreis Aachen, an der Wie Michael Bode bereits darlegte, kämen aus rein naturwissenschaftlicher Sicht auch Lagestätten im Raum Brilon (Hochsauerlandkreis, Nordrhein-Westfalen) als Herkunftsgebiet in Frage. In den letzten Jahren haben sich Hinweise gemehrt, dass dort in der kurzen Zeitspanne der augusteischen Eroberung zwischen 8 v. Chr. und 9. n. Chr. wohl römischer Bleierzabbau einsetzte. Siehe Rothenhöfer 2003 und Hanel et al. 2005. Diese Region scheidet jedoch aufgrund historischer Sachverhalte aus. Denn nach der Niederlage des P. Quinctilius Varus im rechtsrheinischen Germanien 9 n. Chr. ist eine umfangreiche römische Bleiproduktion rund 100 km östlich des Rheins nicht mehr vorstellbar. Unabdingbare Grundvoraussetzungen wie dauerhafte Sicherheit sowohl des Produktionsortes wie auch der Verbindungswege waren nicht mehr gegeben, so dass Investitionen römischer Unternehmer in die Wiederaufnahme der Erzgewinnung unterblieben sein dürften. Zum Beispiel Davies 1935; Petrikovits 1958; Gechter 1993; Wegener 1993. Zum Beispiel Eick 1867, 40 ff. zu Kall-Keldenich oder Alpen 1821 zu Gressenich. Siehe zum Beispiel Bechert 2001, 7-8 (sehr summarisch). Zu den Lagerstätten wie generell zur Geologie der Eifel siehe Meyer 1994. Zur Nutzung der Eifellagerstätten in römischer Zeit Rothenhöfer 2005, 77-100, besonders 88-94 (Blei). – 59 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 60 Fig. 2: Im südlichen Teil der Provinz Germania Inferior lagen bedeutende Zonen mit Bleierzen vor allem im Raum KallKeldenich/Mechernich (Rechts unten) und wenig südlich von AachenStolberg (Links oben). Jüngste Forschungen halfen zu klären, dass der Abbau entsprechender Erze erstmals in römischer Zeit wohl kurz vor der Zeitenwende einsetzte. Fig. 3: In den Sandsteinflözen bei Kall-Keldenich und Mechernich ist die Hauptmenge des Bleierzes in Form so genannter Erzknotten verteilt. Dies sind Kügelchen aus Quarzsand, die mit Bleiglanz-, aber auch mit Cerussit-Partikeln verkittet sind. Sie kommen auch in Wolken oder in Schnüren vor. Im Bereich von Störungen ist die Vererzung am intensivsten. Als „Blankgut“ (Bildmitte) werden mit Bleierz gefüllte Hohlräume und Klüfte bezeichnet. – 60 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 61 Nordwestflanke des Hohen Venns. Sie bildeten dort zusammen mit der Gewinnung weiterer Erze, unter anderem des Zinkerzes Galmei, über lange Zeit einen wichtigen Wirtschaftszweig10. Die Bleiglanz- und Zinkerzvorkommen stehen dort an, wo Verwerfungen den Kohlenkalk kreuzen. Vor allem in Hohlräumen meist grobbankiger Kalke und Dolomite konnten sich Bleiglanz und andere primäre Sulfidvererzungen ablagern11. Die römische Bleiproduktion fand hier - wie auch die Eisengewinnung - bislang relativ wenig Beachtung, ganz im Gegensatz zum Galmeiabbau, der die Basis schuf für das Aufblühen der örtlichen und regionalen Messingproduktion. Die Anfänge des Abbaus Vielfach findet sich der Hinweis, dass es in der Nordeifel bereits in vorrömischer Zeit Bergbau auf Bleierze durch Kelten gegeben habe und dass demnach der Anfang des Bleierzbergbaus in die vorrömische Epoche falle12. Eine exakte Analyse der Überlieferungslage führt jedoch zu dem Ergebnis, dass diese Angabe nicht zutreffend ist. Vielmehr zeichnet sich aufgrund jüngster Forschungen ein Bild ab, dem zufolge die Anfänge des Bergbaus zwar noch in das 1. vorchristliche Jahrhundert gehören, allerdings erst im Verlauf der letzten beiden Jahrzehnte vor der Zeitenwende - und damit zu Beginn der römischen Epoche des Rheinlandes - einsetzen. Bereits aus der archäologischen Fundlage zur ausgehenden Latènezeit ergeben sich Zweifel an einem vorrömisch-einheimischen Bergbau auf Bleierze in der Region. Setzt man diesen aber voraus, dann sollte doch mit einem gewissen Fundniederschlag an Bleiobjekten wenigstens in den regionalen Siedlungen zu rechnen sein. Dies ist allerdings nicht der Fall. Die Fundspektren gut untersuchter Siedlungen wie etwa der oppida von Hambach-Niederzier, Kreis Düren, und Eschweiler-Laurenzberg, Kreis Aachen, sind frei von jeglichen Bleifunden und liefern somit 10 11 12 13 14 15 keine Argumente für einen vorrömischen Abbau13. Und auch im südlichen Teil der Eifel im treverischen Heiligtum auf dem Martberg (Pommern, Kreis Cochem-Zell) konnte keines der zahlreich vorhandenen Fundstücke aus Blei der “keltischen Zeit” zugeordnet werden, so dass auch aus dieser Perspektive eine vorrömische Nutzung der Eifel-Bleiressourcen nicht belegt werden kann14. Das zentrale Argument für “keltischen” Abbau von Bleierzen in der Nordeifel sind “keltische Münzfunde” in den Abbauregionen. Auch hier erweist sich der Blick auf die Objekte als höchst aufschlussreich. Forschungsgeschichtlich die wichtigste Quelle ist hierbei folgende Notiz von C.A. Eick aus dem Jahre 1867 über Funde verschiedener Typen “keltischer” Münzen in alten Halden und Schächten bei Kall-Keldenich. Eick beschreibt zwei Typen von Münzen, wobei aus seinen Worten deutlich wird, dass es sich weder um römische noch mittelalterliche oder neuzeitliche Gepräge gehandelt haben dürfte. Obwohl er keine Angaben zum Material macht, scheint es sich einmal um nicht näher zuweisbare Potinmünzen zu handeln, im zweiten Falle gelingt aufgrund seiner Beschreibung ein Identifizierung mit einem bekannten Münztyp: “Keine der mit zu Gesichte gekommenen war mit einer Umschrift versehen, das Gepräge derselben im Allgemeinen sehr roh und die Figurenzeichnung nur durch kleinere oder größere Punkte angedeutet.” Die weitere Beschreibung dieses Typs, von dem Eick fünf Münzen vorlagen, ist aufschlussreich: “Auf der Hauptseite eine sitzende Figur, die in der Rechten eine Sichel, in der Linken einen nicht erkennbaren Gegenstand hält; auf der Rückseite befindet sich das Bild eines Hirsches”15. Diese frühe Beschreibung - entstanden lange vor der Etablierung einheitlicher Kriterien für die Beschreibung von Münzen durch die numismatische Forschung - passt nur auf einen Münztyp, der in der heutigen Forschung als Quinar des Rothenhöfer 2005, 90-91. Gussone 1964; Krahn et al. 1986. Zum Beispiel Imle 1909, 6. Hambach-Niederzier: Simons 1989. – Eschweiler-Laurenzberg: Joachim 1980. Zur möglichen Besiedlungsdauer siehe auch die Bemerkungen von Lenz 1999, 73 Anm. 297. Nickel et al. 2008, 55-56 besonders mit Anm. 232. Eick 1867, 42. – 61 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:55 Pagina 62 Fig. 4: Münzen (Silberquinare) einheimisch-ubischen Typs (Scheers Sch 57 II) wurden sowohl am Schlangenberg bei Stolberg-Breinigerberg als auch am Tanzberg bei Kall-Keldenich gefunden. Sie belegen Bleierzabbau um die Zeitenwende bzw. möglicherweise bereits in den beiden Jahrzehnten davor. Typs Scheers Sch 57 II (Quinar mit ‘tanzendem Männlein’)16 benannt wird (Fig. 4). Es handelt sich dabei um kleine Silbernominale, die den ab ca. 20/19 v. Chr. in der Region ansässigen Ubiern zugeschrieben werden können und die kaum über die Zeitenwende hinaus in Umlauf waren17. Es handelt sich demnach nicht um keltisch-vorrömische Münzen, sondern um einheimische Gepräge, die bereits unter römischer Herrschaft ausgebracht wurden und umliefen. In alten Stollen und Halden aufgefunden, sind sie ein sehr wichtiges Datierungselement: Bergbauliche Aktivitäten lassen sich so erstmals für die letzten beiden Jahrzehnte vor der Zeitenwende wahrscheinlich machen. Dies gilt nicht nur für Kall-Keldenich, sondern auch für den Raum Aachen-Stolberg, denn dort wurden Münzen dieses Typs auch am Schlangenberg bei Breinigerberg gefunden18. Historische Überlegungen stützen dieses 16 17 18 19 Scheers 1983, 117 – 118 & Taf. XIII. Heinrichs 2003, 281 ff. und 276 Karte 2b. Löhr et al. 1980, 93. Becker et al. 2001, 607. – 62 – Ergebnis: In die Anfänge des 2. Jahrzehnts v. Chr. fällt auch die Anlage der Fernstraße Lyon-TrierZülpich-Neuss (bzw. später Köln), die bei KallKeldenich durch die Mechernicher Vererzungzone führt. Spätestens bei deren Ausbau sollte die Lagerstätte den Römern, die generell ein großes Interesse an Bodenschätzen besaßen, aufgefallen sein. Dieses besondere Interesse der Römer manifestierte sich auch in der raschen Erschließung von Bleierzlagerstätten im rechtsrheinischen Germanien während der kurzen Phase der augusteischen Okkupation (12/8 v. Chr. bis 9 n. Chr.): sowohl rund 100 km östlich des Rheins im Raum Brilon (Hochsauerlandkreis) als auch in relativer Nähe Kölns auf dem Lüderich bei Bergisch-Gladbach (RheinischBergischer Kreis) ist mittlerweile römischer Bergbau mit guten Gründen anzunehmen beziehungsweise nachgewiesen. Wenn aber dort innerhalb kurzer Zeit die Ausbeutung von Bleierzlagerstätten aufgenommen wurde, sollte dies auch für die Nordeifel vorausgesetzt werden. Dass bereits vor 9 n. Chr. Blei von den Römern in Germanien produziert wurde, belegen ferner Wasserleitungsrohre, die in der augusteischen Siedlung von Lahnau-Waldgirmes (Lahn-Dill-Kreis) entdeckt worden sind19. Dieses Blei muss aufgrund seiner Isotopendaten entweder in der Nordeifel oder im Sauerland produziert worden sein. Von ganz anderer Seite wird diese frühe Datierung der Aufnahme bergbaulicher Aktivitäten in die letzten beiden Jahrzehnte vor der Zeitenwende bestätigt. Denn bei der Untersuchung von Sedimenten mehrerer Eifel-Maare fielen den Geologen in den Ablagerungen, die aus den ersten Jahrhunderten der römischen Epoche stammen, Anomalien im Schwermetallgehalt auf. Plötzlich, vor ca. 2000 Jahren, wurde über die Atmosphäre ein Vielfaches an Blei in die Gewässer eingetragen und dort einsedimentiert. Da die Isotopenwerte des abgelagerten Bleis denen der Lagerstätten im Norden der Eifel entsprechen, ist diese drastische Veränderung Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:55 Pagina 63 nur durch einen schnell einsetzenden, massiven Abbau regionaler Bleierze und durch deren Verhüttung, bei der Blei in die Atmosphäre freigesetzt wird, zu erklären. Ausdrücklich weisen die Geowissenschaftler G. Schettler und R. Romer darauf hin: “There is no pre-Roman anthropogenic Pb anomaly in the sediments. Therefore, Celtic Pb and Ag mining in the Northwestern Eifel before the Roman occupation seems to have been insignificant or absent”20. Der Aachen-Stolberger Bergbaudistrikt Ca. 12-15 km südöstlich von Aachen wurde in römischer Zeit vor allem zwischen Breinigerberg und Gressenich massiv Blei produziert21. Die ältesten Siedlungsspuren in Form von Keramik und Münzfunden – unter anderem ubische Quinare des Typs Scheers Sch 57 II - aus der Zeit kurz vor beziehungsweise um die Zeitenwende stammen vom Schlangenberg (Fig. 5) bei Breinigerberg. Diese früheste Siedlung verlagerte sich wohl um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. um wenige hundert Meter. Die Grundmauern einfacher römischer Gebäude liegen heute unter den Häusern von Breiniger- berg (Fig. 6)22. Ein weiterer vicus, dessen ökonomische Grundlagen ebenfalls Bergbau, Metallproduktion und -verarbeitung waren, lag ca. 5 km östlich bei Gressenich;23 dem bislang bekannten Fundspektrum zufolge dürfte dieser vicus etwas jünger sein und wohl ab flavischer Zeit, dass heisst möglicherweise ab frühestens 70 n. Chr. existiert haben. Wiederholt ließen sich einige der umfangreichen Schlackenhalden in dieser Region durch Beifunde eindeutig in römische Zeit datieren, so etwa im Raum Gressenich und bei Breinigerberg. Zwischen dem Schlangenberg und dem vicus bei Breinigerberg wurde zudem ein Kolluvium aus Dolomitsand, wie er bei der Fig. 5: Der Schlangenberg bei Stolberg-Breinigerberg markiert eines der ältesten Produktionsgebiete von Blei im Bereich der römischen Nordwestprovinzen. Spuren alten Bergbaus in Form von Pingen sind sowohl an dessen Hang als auch in der näheren Umgebung anzutreffen. Münz- und Keramikfunde deuten darauf hin, dass der Abbau von Bleierzen hier wohl gegen Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr. einsetzte. Fig. 6: Am Fuße des Schlangenbergs entstand am Verbindungsweg Varnenum – Gressenich ein römischer Vicus, dessen wirtschaftliche Grundlage wohl ebenfalls auf dem Metallerzabbau basierte. 20 21 22 23 Schettler et al. 1998, 795. Rothenhöfer 2005, 90-91. Dort finden sich auch die jeweiligen Einzelnachweise. Schmidt-Burgk 1923; Zedelius 1986; Löhr et al. 1980. Jürgens et al. 1981; Gerlach et al. 1992. – 63 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:55 Pagina 64 Erzwäsche anfällt, beobachtet. Dieser Sand enthielt unter anderem Bleischlacken, zudem römische Keramik- und Ziegelfragmente. Römische Bleischlackenhalden avancierten aufgrund ihres hohen Metallgehaltes ihrerseits im 19. Jahrhundert zu begehrtem Abbaugut und wurden industriell verwertet. Dies trifft zum Beispiel für die bis zu 5 m mächtigen Bleischlackenhalden zu, die einst im Gelände zwischen den Bleierzgruben Diepenlinchen und Römerfeld lagen24. Ausgedehnte römische Bleischlackenhalden sollen sich zudem zwischen Werth und Gressenich sowie zwischen Gressenich und der Mausbacher Heide befunden haben25. Der Mechernicher Distrikt In dem Bleierzdistrikt am östlichen Rand des Mechernicher Trias-Dreiecks lagen die Schwerpunkte bergmännischer Aktivitäten in römischer Zeit am Tanzberg bei Keldenich und am Bleiberg bei Kommern/Mechernich26. Hier erfasste der Abbau leicht zugängliche Bereiche der Lagerstätte. Am Tanzberg bei Keldenich lässt sich ein alter Pingen- und Haldenzug mit einer Ausdehnung von 750 x 300 m verfolgen; der Tagebau erreichte hier eine Teufe von 73 m. Immer wieder wurden in diesem Bereich Funde aus römischer Zeit geborgen wie Münzen, Ziegel- und Keramikfragmente27. Am Nordhang des Tanzberges (Flur Schließenmaar) befinden sich zudem Rückstandshalden ausgewaschener Sande, wie sie bei der Bleierzaufbereitung anfallen. Sie werden von der römischen Eifelwasserleitung, die nach Köln führt, durchschnitten und müssen deshalb bereits in der Zeit vor dem Bau der Leitung angehäuft worden sein28. Mitteilungen von Funden alter bergbaulicher Relikte liegen auch vom Bleiberg bei Kommern/Mechernich vor. Zahlreiche alte 24 25 26 27 28 29 30 31 32 Abbaue liegen ferner am Südrand des Kallmuther Berges ebenso wie bei Roggendorf29. Wie im Aachen-Stolberger Distrikt wirkte auch hier der Bergbau siedlungsfördernd. Ein vicus, der wohl auch das ökonomische Zentrum dieses Abbaureviers darstellte, entstand bei KallKeldenich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Tanzberg30. Von großer Bedeutung dürfte gewesen sein, dass die Fernstraße Köln-Trier durch diesen hindurch führte und dadurch eine gute Verkehrsanbindung gegeben war. Ein weiterer, östlicher Abzweig dieser Fernstraße erschloss Abbaugebiete am Mechernicher Bleiberg und bei Kommern und dürfte sich positiv auf die ökonomische Entwicklung der Region ausgewirkt haben31. Erwähnenswert ist ferner ein kleines Bleigewicht, das im Raum Mechernich gefunden wurde und die Eigentumsmarkierung einer militärischen Einheit, der 16. Legion, trägt32. Bislang ist es der einzige konkrete Hinweis auf eine - wenigstens - zeitweilige militärische Präsenz in diesem Bleierzabbaugebiet. Dabei ist noch völlig offen, ob das Bergbaugebiet militärisch extra gesichert war oder ob es sich lediglich um das Zeugnis einer vexillatio dieser Legion handelt, die zur Baustoffgewinnung abkommandiert war. Für letzteres spricht die Tatsache, dass die 16. Legion, die von 41 n. Chr. bis 70 n. Chr. in Neuss stationiert war, dort umfangreiche Baumaßnahmen durchführte. Wirtschaftliche Strukturen des Abbaubetriebs Die bislang bekannten Funde und Befunde aus den Abbauregionen belegen Abbauaktivitäten in der römischen Epoche über mehrere Jahrhunderte. Nähere, wirtschaftshistorisch relevante Informationen wie beispielsweise zum Umfang des Abbaus, zu Produktionsmengen Werner 1881, 147; Bonner Jahrbuch 159, (1959), 415-416. Vergleiche Jürgens et al. 1981. Alpen 1821; Voigt 1955/56; Rothenhöfer 2005, 90. Rothenhöfer 2005, 88-90. Rothenhöfer 2005, 89 Anm. 84. Ibid. Ibid. Eick 1867, 39-40; Hagen 1931, 131; Rothenhöfer 2005, 89. Bonner Jahrbuch 31, (1861), 43, 206; Eick 1867, 36 ff.; Veith 1885, 12; Hagen 1931, 131-132, 168; Grewe 1995, 80; Rothenhöfer 2005, 89. Petrikovits 1960, 68 mit Anm. 118; Horn 1987, 156 Abb. 91, wo das 6,3 cm lange und 268 g schwere Objekt irrtümlich als Bleibarren benannt wird. – 64 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:55 Pagina 65 und Absatzregionen geben sie aber nicht her. Ebenso wenig ermöglichen sie Einblicke in die Struktur und Organisation des Abbaus. Hier kommen nun andere Fundgattungen und Disziplinen zum Tragen. Dass hierzu dennoch Aussagen möglich sind, verdanken wir vor allem einer Fundgruppe: den Bleibarren. Wie bereits kurz angedeutet, hat sich in den letzten Jahren die Zahl von Bleibarren, die im römischen Germanien produziert worden sind, durch Wrackfunde im westlichen Mittelmeer ganz erheblich vermehrt. Wie im Fall des Barren aus Tongeren sind es vor allem die auf den Barren angebrachten Inschriften, die wesentliche Informationen bereithalten: Die Nennung des Kaisers Tiberius ist nicht nur ein wichtiger Datierungsanhalt die Verwendung des praenomen Imperatoris, den anzunehmen Tiberius bekanntlich abgelehnt hat - könnte möglicherweise darauf hindeuten, dass die Produktion des Barrens in die Anfangszeit der Regierung des Tiberius zu datieren ist. Auf jeden Fall verfügte dieser Kaiser über Bergwerksbesitz in Germanien, und wie wir durch die Isotopenuntersuchung wissen, speziell in der Nordeifel. Die Abkürzung TEC am Ende der Kartuscheninschrift könnte eventuell sofern es sich um eine tria nomina-Abkürzung handelt - auf einen Pächter kaiserlicher Gruben hindeuten. Ganz sicher ist diese Interpretation allerdings nicht. Dass eine derartige Bewirtschaftungsstruktur jedoch nicht unwahrscheinlich ist, belegen wiederum Barren aus Germanien, die noch in die Zeit des Augustus gehören. Die Ladung des Wracks St.-Maries-dela-Mer 1 bezeugt unzweifelhaft die Verpachtung kaiserlicher Bleigruben an einen privaten Unternehmer, Lucius Flavius Verucla33. Denn sämtliche Barren aus der Produktion dieses 33 34 35 Unternehmers, die sich auf dem Schiff befanden, waren mit Imp(eratoris) Caes(aris)-Stempeln als kaiserliches Eigentum gekennzeichnet. Da ein Ankauf durch den Kaiser sehr unwahrscheinlich ist, dürfte es sich um den Teil der Produktion handeln, den der Pächter der Gruben an den Verpächter - sprich den Kaiser laut Vertrag abzugeben hatte. In einem anderen Fall kennen wir eine anonyme Pachtgesellschaft, socii, die Bleigruben in Germanien gepachtet hatten (Fig. 7)34. Andere “germanische” Barren des Augustus stammen aus Bergwerken, die der Prinzeps wohl direkt bewirtschaften ließ. Neben dieser direkten Metallproduktion unter Aufsicht von Angehörigen der familia des Prinzeps - Werner Eck hat in diesem Zusammenhang wiederholt auf einen in Köln bezeugten kaiserlichen Kassenverwalter (dispensator) aufmerksam gemacht, der wohl unter Augustus und Tiberius am Rhein tätig war35 - ist die Verpachtung an einzelne Unternehmer bzw. Gesellschaften mittlerweile gut belegt. Damit erhellt sich zumindest in Grundzügen die Bewirtschaftungsstruktur. Die Wracks mit Blei aus Germanien sind noch in anderer Hinsicht höchst aufschlussreich. Das Wrack St.-Maries-de-la-Mer 1 hatte 99 Barren geladen, was ein Gesamtgewicht der Bleiladung von rund 5,5 t ergibt. Und auch das Wrack bei Rena Maiore (Aglientu, Sardinien) beinhaltete mehrere Tonnen germanischen Bleis. Setzt man voraus, dass wir mit den Wracks nur einen sehr geringen Teil des antiken Transport- bzw. Warenverkehrs erfassen, dann sollte von ganz erheblichen Produktionsmengen ausgegangen werden. Diese Schlussfolgerung findet Bestätigung durch Berechnungen der Geologen G. Schettler und R.L. Romer: Sie bestimmten auf der Grundlage der erhöhten, anthropogen verFig. 7: Umzeichnung der Produzenteninschrift auf einem Barren, der als Einzelfund in der Rhônebucht geborgen wurde. Genannt sind (im Genitiv) socii, d.h. Geschäftspartner einer Pachtgesellschaft, die im römischen Germanien Blei produzierten. Rothenhöfer 2003. Laubenheimer-Leenhardt 1973, 124-125; Rothenhöfer 2005, 92. Eck et al. 2003; Eck 2004, 93-94. Eck 2007. – 65 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:55 Pagina 66 Fig. 8: Massiver Bleibarren aus dem Moselort St. Aldegund (Kr. Cochem-Zell, RheinlandPfalz), den ein dreifach aufgedrückter Stempel als kaiserliches Eigentum ausweist. Wohl zwischen 425455 n. Chr. ursachten Bleiablagerungen römischer Zeit im Schalkenmehrener und Meerfelder Maar (Vulkaneifel) die durchschnittliche Jahresproduktion an Blei in den nördlich benachbarten Bergwerksbezirken. Unter der Annahme, dass die zugrunde liegenden Bleiemissionen von der metallurgischen Aufbereitung bzw. Verarbeitung von Bleierzen herrühren, kommen sie zu folgendem Ergebnis: die durchschnittliche jährliche Produktionsmenge an Blei habe - über einen Zeitraum von 230 Jahren - bei rund 450 t gelegen36. Auch wenn dieser Wert sicherlich etwas nach unten zu korrigieren ist, da ein Teil der Emissionen nicht vom Verarbeitungsprozess der Bleierze, sondern durch den Versuch der Silbergewinnung in Kupellationsöfen herrühren könnte, so bleiben die produzierten Quantitäten doch gewaltig. Setzt man beispielsweise eine Produktionsmenge von 1 t pro Tag voraus, dann hätte alle 5-6 Tage eine Großladung - vergleichbar der des Wracks St.-Maries-de-laMer 1 - die Region verlassen können. Die Wracks in der Rhônebucht und vor Sardinien deuten bereits an, dass Blei aus Germanien überregional von Bedeutung war. Untersuchungen an römischem Blei aus der Westschweiz bestätigten dies. Blei aus den Eifellagerstätten fand auch in dortigen Siedlungen reichlich Verwendung37. Schluss Die Forschungen der letzten Jahre haben dazu beigetragen, das Wissen um die Nutzung des Rohstoffes Bleierz in der Nordeifel in der römischen Epoche ganz erheblich zu erweitern. Dennoch bleibt eine Vielzahl an Fragen zu klären. Dazu gehört, den weiteren Verlauf der Abbauaktivitäten zu erhellen. Die massiv erhöhten Bleiwerte in den Sedimenten der Eifelmaare erstrecken sich nur über einen Zeitraum von rund 230 Jahren, dann sinken die Werte deutlich ab. Kam es etwa in der ersten Hälfte des 3. 36 37 38 39 Schettler et al. 1998, 795. Guénette-Beck et al. 2002. Gottschalk et al. 2001. Rothenhöfer 2007. – 66 – Jahrhunderts n. Chr. zu einem Produktionseinbruch, und was könnten die Ursachen gewesen sein? Gleichzeitig aber ist in Betracht zu ziehen, dass durchaus noch Bleiproduktion - wenn auch indirekt - belegt ist: Bleisärge aus dem Kölner Raum des 3. und 4. Jahrhunderts sind aus Blei gefertigt, das regionalen Eifellagerstätten entstammt38. Selbst für die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts deutet ein Barren, der bei St. Aldegund (Kreis Cochem-Zell) an der Mosel gefunden wurde, auf römischen Abbau in kaiserlichen Gruben wohl der Nordosteifel hin (Abb. 8)39. Damit sind es in eindrucksvoller Weise die Bleibarren als unmittelbare Bergbauprodukte, die Zeugnis geben von einer Jahrhunderte währenden Nutzung dieser Lagerstätten, die sich im Besitz der römischen Kaiser befanden. Bibliographie ALPEN S. VON 1821: art. Aduatuca. In: ERSCH J. S. & GRUBER J. G. (ed.), Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste 6, Leipzig, 264-265. BECHERT T. 2001: Wirtschaft und Gesellschaft in der Provinz Germania inferior: Zum Stand der Forschung. In: GRÜNEWALD TH. (ed.), Germania inferior. Besiedlung, Gesellschaft und Wirtschaft an der Grenze der römisch-germanischen Welt. 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Eck. – 67 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:55 Pagina 68 Auf den Spuren des Bleis der Römer: Das Forschungsprojekt Corpus der römischen Bleibarren Peter Rothenhöfer, Norbert Hanel & M. Bode 1 Einleitung Blei stand – was die Aufmerksamkeit in den Altertumswissenschaften wie auch in der antiken literarischen Überlieferung betrifft – immer im Schatten der kostbaren Edelmetalle und des unter anderem als Münzmetall gebrauchten Kupfers. Dabei war Blei in römischer Zeit durchaus kein unwichtiges Metall. Unter dem Aspekt des Gebrauchswertes betrachtet nahm es sogar einen bedeutenden Rang ein. 1 2 In den vorgeschichtlichen Epochen wurde Blei aufgrund seiner Materialeigenschaften nicht bzw. nur in geringem Umfang genutzt, denn es eignete sich aufgrund seiner leichten Verformbarkeit nicht zur Herstellung von Waffen2, zudem schied eine Nutzung als Material für Schmuckgegenstände aufgrund der raschen Bildung einer unansehnlichen Oxidationsschicht weitgehend aus. Es waren eben die Werkstoffeigenschaften wie hohe Dichte, niedriger Schmelzpunkt (327˚ C), Dr. Peter Rothenhöfer, Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik des Deutschen Archäologischen Instituts, Amalienstrasse 73b, D-80799 München. E-mail: rothenhoefer@aek.dainst.de – Dr. Norbert Hanel, Universität zu Köln, Archäologisches Institut - Archäologie der römischen Provinzen, Albertus-Magnus-Platz, D-50923 Köln. E-mail: norbert.hanel@uni-koeln.de – Dr. Michael Bode, Deutsches Bergbau-Museum Bochum, Forschungsstelle für Archäologie und Materialwissenschaften, Archäometallurgie, Hernerstr. 45, D-44787 Bochum. E-mail: michael.bode@bergbaumuseum.de Schleuderbleie kamen wohl erst im Verlauf des 5. Jahrhunderts v. Chr. in Griechenland auf. Siehe Weiss et al. 2010. – 68 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:55 Pagina 69 leichte Verformbarkeit und die Eigenschaft, Edelmetalle zu binden, die in römischer Zeit zum Tragen kamen. Die Einsatzmöglichkeiten waren vielfältig (Fig. 1): Bedeutsam war die Verwendung im Bausektor, vor allem beim Vergießen von Eisenklammern und -dübeln, die Steinquader zusammenhielten. Hierbei wurden große Quantitäten verbraucht. Exemplarisch sei auf die Porta Nigra in Trier verwiesen: Modernen Schätzungen zufolge waren 7 Tonnen Blei zur Verfüllung der Eisenverdübelungen der Quadersteine dieses Stadttores vonnöten3. Weiterhin konnten zum Beispiel Dächer mit Bleiplatten gedeckt werden. Entsprechende Zeugnisse mehren sich in der Spätantike. Bedeutsam war Blei als Rohstoff zur Anfertigung von Bleirohren; allein in der Region Lyon wurden für Druckwasser-SiphonLeitungen römischer Aquaeduktsysteme nach modernen Schätzungen zwischen 10.00015.000 Tonnen Blei verwendet4. Ferner diente das Weichmetall zur Produktion von Bleigefäßen und Bleisarkophagen, zur Herstellung von Bleiplomben, Warenetiketten, Fluchtäfelchen, Schleuderbleien oder auch zur Edelmetallurgie (Kupellation). Auch im Bereich der antiken Schifffahrt spielten Geräte aus Blei eine wichtige Rolle, sei es als Anker, Netzbeschwerer oder als Material für Rohre, Pumpsysteme oder Behältnisse verschiedenster Art5. Von der Alltäglichkeit und Vielfältigkeit der Nutzung von Blei im Römischen Reich zeugt nicht zuletzt die erstmalige Entstehung eines spezialisierten bleiverarbeitenden Metallhandwerkerberufes, der plumbarii6. Fig. 1 Eine der zahlreichen Verwendungsmöglichkeiten von Blei im Alltag demonstriert diese römische Handmühle (mola manuaria). Um die Festigkeit der zentralen Achse zu gewährleisten, hatte man sie mit Blei vergossen. Museo Arqueologico de Portman, Prov. Murcia, Spanien. Fig. 2 Bedeutende Bleierzabbauregionen lagen vor allem im Westteil des Römischen Reiches. 3 4 5 6 Schwinden 2001, 143 ff. Trevor Hodge 1983, 220-221. Rosen et al. 2007. Rothenhöfer & Hanel (in Vorbereitung). – 69 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:55 Pagina 70 Fig. 3 Der römische Bleibergbaubetrieb zeichnet sich dadurch aus, dass die Barren in grosser Zahl und standardisierter Form produziert wurden. Typisch für die hispanischen Provinzen sind längliche Barren mit rundem Rücken, auf dem sich zentral angeordnet ein oder mehrere Kartuschen mit Inschrift oder Marken befinden. Hier in Schrägansicht ein Exemplar aus Cartagena (Spanien). Die Inschrift bezeichnet den Barren als Produkt des im 2./1. Jahrhundert vor Christus tätigen Unternehmers C(aius) Aquinius, Sohn des Marcus. Die wichtigsten Bergbaureviere Es ist demnach ein enormer Verbrauch im Imperium Romanum vorauszusetzen, der durch die Produktion in den verschiedenen Abbaugebieten des Reiches gedeckt werden musste. Die wichtigsten Reviere lagen dabei im Westteil des Imperiums (Fig. 2)7: Zu nennen sind vor allem die beiden bedeutenden Abbauregionen der Iberischen Halbinsel, die Region um Cartagena-Mazarrón mit ihren jungen subvulkanischen Hydrothermalvererzungen8 und die Sierra Morena mit ihren herzynischen Sulfid-Vererzungen9. Beide wurden schon in republikanischer Zeit ausgebeutet, wobei die Gewinnung von Silber im Vordergrund stand. Wohl ab augusteischer Zeit lieferten auch Bergwerke auf dem Balkan, vor allem aus der späteren Provinz Moesia Superior, Blei10. Mit der Eroberung Britanniens ab claudischer Zeit setzte auch dort eine umfangreiche Bleigewinnung in verschiedenen Revieren ein11 Kleinere, aber nicht weniger bedeutende Abbaugebiete bestanden z. B. auf Sardinien12 und – wie sich durch Forschungen der letzten Jahre abzeichnet – auch in den germanischen Provinzen. Hier sind vor allem zu nennen: Die Nordeifel mit Lagerstätten bei Mechernich, Kr. Euskirchen, und bei Stolberg, 7 8 9 10 11 12 13 Kr. Aachen. Kurzzeitig wurde mit großer Wahrscheinlichkeit Blei auch im nördlichen Sauerland auf der Briloner Hochfläche unmittelbar nach der Eroberung des rechtsrheinischen Germanien unter Augustus gewonnen; kleinere Erzreviere bestanden zudem an der Unteren Lahn und bei Wiesloch nahe Heidelberg. Abbaustellen sind ferner vom Lüderich bei Bergisch-Gladbach und von der Grube Altglück bei Königswinter-Oberpleis im Siebengebirge bekannt13. Bleibarren als historische Quellen Unser Wissen über römischen Bleibergbau beruht u. a. auf der literarischen Überlieferung – hier ist an erster Stelle auf Buch 34 der Naturgeschichte des Plinius zu verweisen –, doch sind die Informationen mehrheitlich nur punktueller Natur. Zu manchen Regionen schweigen die antiken Schriften diesbezüglich gänzlich, wie zum Beispiel zu Germanien. Auch montanarchäologische Funde und Befunde tragen eher selten zu einem vertieften Kenntnisstand über Größe, Dauer und Intensität der Erzgewinnung in den einzelnen Revieren bei, da jüngerer Abbau in der Regel die Spuren älterer Nutzungsphasen zerstörte. Viel stärker sind es die unmittelbaren Berg- Römischer Bleierzabbau ist z. B. auch in Nordafrika (Marokko, Tunesien, Ägypten) und der Türkei nachgewiesen. Die ökonomische Bedeutung ist allerdings vielfach noch unklar. Die attischen Silbergruben von Laurion (Griechenland) spielten dagegen in römischer Zeit keine überregionale Rolle mehr. Siehe Meier 1995. Zur Geologie zum Beispiel Urban 1968; Pavillon 1969; Graeser 1970. – Aus Cartagena stammen zum Beispiel die Barren aus den antiken Wracks von Comacchio, Mahdia und Mal di Ventre. Siehe Domergue et al. 2005; Begemann et al. 1994; Pinarelli et al. 1995, 79–86. Zur Geologie z. B. Lecuyer et al. 1998; San José et al. 2004. Genovesi 2005 mit weiterer Literatur. Tylecote 1964. Valera et al. 2005. Vgl. Rothenhöfer 2005, 88–94. – 70 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:55 Pagina 71 bauprodukte, d. h. Bleibarren, die zu einem deutlichen Kenntnisgewinn beitragen können. Römische Bleibarren stellen eine besondere Fundgruppe dar. Sehr viele Barren tragen Guss- und/oder Stempelinschriften und Schlagmarken. Schon in republikanischer Zeit entwickelte sich das Phänomen, dass die Produzenten des Bleis bereits bei der Herstellung des Produkts ihren Namen, in einigen Fällen erweitert um Herkunfts- oder Warenbezeichnung, in Form mitgegossener Kartuscheninschriften dauerhaft anbringen ließen (Fig. 3). Über 90 % aller Bleibarren tragen derartige Produzenteninschriften. Bedeutsam sind darüber hinaus weitere Arten von Inschriften, die sich auf den Barren finden. Dazu zählen in erster Linie mit Buchstabenstempeln eingeschlagene Markierungen, die ebenfalls auf den Produzenten verweisen können, öfters aber Kontrollvorgänge und/oder Besitzerwechsel anzeigen dürften und die sich auf nahezu fast allen Barren finden. Weitere Kategorien von Barrenmarkierungen sind zum einen Gewichtsangaben, die in der Regel mit einem Meißel eingeschlagen wurden, und zum anderen Zahlenangaben, oft in der Form von Graffiti. Das Erkenntnispotenzial allein der Produzenteninschriften berührt unter anderem Fragen der Herkunft und sozialen Stellung der genannten Personen, etwa wenn wie im Falle der plumbum Germanicum-Barren aus Soest und aus dem Wrack Saintes-Maries-de-la-Mer 1 sich ein sehr wahrscheinlich in augusteischer Zeit aus Hispanien in das neu eroberte Germanien zugewanderter Bergwerksunternehmer namens Lucius Flavius Verucla fassen lässt. Um in umfassenderem Sinne untersuchen zu können, welche Unternehmer welcher Herkunft an welchen Orten und in welchem Zeitraum im Bleigeschäft tätig waren, ist eine reichsweite Zusammenstellung aller Objekte notwendig. Dies ist das Ziel eines interdisziplinären Forschungsprojekts zwischen der Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik des Deutschen Archäologischen Instituts und dem Deutschen Bergbau Museum Bochum14. Auch die Namen von mindestens 14 verschiedenen Kaisern vornehmlich des 1. und 2. Jahrhunderts sind auf Bleibarren zu lesen, wodurch diese als Besitzer entsprechender Minen in verschiedenen Provinzen ausgewiesen sind (Fig. 4). Jenseits der Frage der Lokalisierung dieser Bergwerke und ihrer Betrachtung als bedeutende Einnahmequellen des Kaisers sind gerade diese Barren von Interesse für eine der zentralen Fragen der Struktur dieses Wirtschaftszweiges. Dabei gilt es zum Beispiel, die vor allem in Teilen der Forschung unter dem Eindruck einiger weniger Historikerstellen15 vertretene Hypothese einer mit Tiberius einsetzenden kaiserlichen Politik einer Monopolisierung der Bodenschätze kritisch zu überprüfen. Bleibarren lie- Fig. 4 Länglich pyramidenstumpfförmige Barren, bei den sich die Kartusche über den gesamten Rücken erstreckt, scheinen in der frühen Kaiserzeit aufzukommen. Dieses Exemplar aus Sardinien entstammt kaiserlichen Metallgruben, wie die Inschrift Caesaris Aug(usti) anzeigt. Altes Museum Berlin, Deutschland. 14 15 Die Arbeiten konnten im Herbst 2009 dank der großzügigen finanziellen Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) aufgenommen werden. Strabo 3,2 zu Besitzverhältnissen spanischer Minen; Tac. ann. 6,19,1 zur Verurteilung des Sex. Marius; Dio 52,28,5 über Bodenschätze als bedeutendste feste Einnahmequelle des Staates. Vgl. zuletzt Hirt 2010, 84-106. – 71 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:55 Pagina 72 fern auch in dieser Frage Anhaltspunkte, etwa wenn eine Gebietskörperschaft in der Gussinschrift als Produzent erscheint wie zum Beispiel im Fall der gallischen Segusiaver16. Ein Pachtverhältnis ist in diesem Fall auszuschlieFig. 5 Die Entnahme weniger Milligramm metallischen Bleis erfolgt in der Regel auf der Unterseite der Barren mittels eines AkkuDrehbohrers. Aufbereitung und Messung der Probe liegen in den Händen eines Spezialisten der Forschungsstelle für Archäologie und Materialwissenschaften des Deutschen BergbauMuseums Bochum. ßen. Vielmehr dürfte die Civitas der Segusiaver zu der Zeit, als der Barren produziert wurde, das ius metallorum besessen haben. Der Zugriff auf das Material unter dem Aspekt der Besitzverhältnisse führt zu einer weiteren zentralen Frage: Wem flossen die Einnahmen aus dem Bergbaubetrieb zu? Darüber hinaus erlauben die Barreninschriften konkrete Einblicke in die Organisation des Abbaubetriebes. Beispielsweise lassen sich einige private Produzenten mit großer Sicherheit als Pächter von Minen auf kaiserlichem Bergwerksbesitz nachweisen, da ihre Barren später mit Stempeln als kaiserlicher Besitz markiert wurden. Ein Aufkauf dieses Materials durch den Kaiser ist eher unwahrscheinlich; viel eher dürfte es sich um den Teil der Produktion handeln, der an den Verpächter, in diesem Falle den Kaiser, abzuführen war17. Eine umfassende Zusammenstellung und Untersuchung aller Barreninschriften ist die Voraussetzung, um auch in der Frage der Organisationsformen des Produktionsbetriebes zu vertieften Einsichten zu gelangen. 16 17 18 19 Von großer Bedeutung ist ferner, dass das Material selbst für die Altertumsforschung relevante Informationen bereithält (Fig. 5). Naturwissenschaftliche spektrometrische Analysemethoden ermöglichen die Bestimmung der Bleiisotopenanteile im Metall und geben dadurch Anhaltspunkte für eine Herkunftsbestimmung, die auf dem Vergleich mit den entsprechenden Werten von Erzen potentieller Liefergebiete beruht. Wichtig sind diese naturwissenschaftlichen Provenienzstudien in den Fällen, wo die Barren keinen Herkunftsvermerk wie zum Beispiel (plumbum) Britannicum oder Germanicum tragen. Dies ist aber bei der überwiegenden Mehrzahl der Barren der Fall. Und selbst bei den Fällen, bei denen bereits inschriftlich eine Herkunftsregion genannt ist, besteht die Möglichkeit, die Provenienz enger – wenn nicht sogar genau – einzugrenzen, wie etwa im Falle der Germanicum-Barren des Wracks Saintes-Maries-de-la-Mer 1, die innerhalb des römischen Germanien nur aus der Nordeifel oder dem nördlichen Sauerland stammen können. Eine selten untersuchte Frage ist diejenige nach der Art und Weise, wie römische Bleibarren hergestellt wurden, da man bislang keine entsprechenden Gussformen entdeckt hat18. Als Material der Gussformen werden gebrannter Lehm, Metall oder Holz in Erwägung gezogen. Von größter Wichtigkeit dürfte in diesem Zusammenhang eine Bleimatrize aus der Gegend von Mazarrón (Prov. Murcia, Spanien) sein. Sie zeigt spiegelverkehrte, eingetiefte Buchstaben. Das Formular stimmt mit Kartuscheninschriften auf Bleibarren überein19. Im Mittelpunkt der Untersuchungen muss die Frage stehen, wie diese Bleimatrize mit den eigentlichen Corpus Inscriptionum Latinarum XII 5700. Regelungen der hadrianischen lex metalla dicta aus dem portugiesischen Aljustrel/Vipasca zeigen, dass dort dem Kaiser als Verpächter ex more ein vertraglich festgelegter Anteil der Produktion zustand. Dort heißt es in Abs. 5: ... ita ut, cum venae ex eo proferentur, ex more pars dimidia fisco salva sit. - ... so dass, wenn aus ihr (der Grube) erzhaltiges Gestein gefördert wird, nach alter Gewohnheit die Hälfte dem Fiskus vorbehalten ist. Den Text mit deutscher Übersetzung gibt Flach 1979. Whittick 1961. Domergue 2005b, 188 Kat.-Nr. 66-67. – 72 – Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:55 Pagina 73 Gussformen verbunden war. Ferner ist zu überprüfen, wie viele Bleibarren ungefähr aus einer Gussform gewonnen werden konnten. Archäometallurgische Experimente versprechen neue Erkenntnisse zu den Herstellungsprozessen der Bleibarren und Einblicke in die Organisation des antiken Bleibergbaus. Von fundamentaler Bedeutung ist, dass bislang kein anderes Metall – sei es Eisen, Kupfer, Zinn etc. – ähnlich umfassende Möglichkeiten einer epigraphischen und zugleich naturwissenschaftlichen Auswertung bietet; zudem existiert von keinem anderen Metall eine auch nur annähernd vergleichbar hohe Anzahl massiver Barren. Die Gesamtzahl aller bekannten römischen Bleibarren dürfte bei knapp unter 2.500 Exemplaren liegen, wobei in den letzten Jahrzehnten Wrackfunde mit zum Teil großen Landungen an Bleibarren die Zahl hat in die Höhe schnellen lassen. Gegenüber einer ersten Übersicht durch Maurice Besnier aus den Jahren 1920/21 mit rund 150 bekannten Barren, die etwa 70 verschiedene Inschriften tragen, hat sich das Material demnach in außerordentlicher Weise vervielfacht20. Allerdings ist zu konstatieren, dass ein aktueller Überblick über diese Materialgruppe ein Desiderat darstellt. Allenfalls sind vereinzelte, jeweils sehr zerstreut publizierte Fundberichte erschienen. Eine Zusammenstellung und umfassende Auswertung unter epigraphischen, archäologischen und archäometallurgischen Gesichtspunkten – wie sie im Rahmen des Projekts Corpus der römischen Bleibarren (Corpus massarum plumbearum Romanarum – CMPR) seit September 2009 betrieben wird – stellt eine vorzügliche Basis dar, um die oben skizzierten Fragestellungen zu beantworten. 20 Bibliographie BEGEMANN, F. & SCHMITT-STRECKER S. 1994: Das Blei von Schiff und Ladung: Seine Isotopie und mögliche Herkunft. In: HELLENKEMPER-SALIES G. (ed.), Das Wrack. Der antike Schiffsfund von Mahdia, Köln, 1073-1076. BESNIER M. 1920: Le commerce du plomb à l’époque romaine d’apres les lingots estampillés. Revue Archeologique 12, (1920), 211-244. BESNIER M. 1921a: Le commerce du plomb à l’époque romaine d’apres les lingots estampillés. Revue Archeologique 13, (1921), 26–76. BESNIER M. 1921b: Le commerce du plomb à l’époque romaine d’apres les lingots estampillés. Revue Archeologique 14, (1921), 98–130. 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Zunächst wird dadurch das kaiserliche Engagement in der Produktion gut belegt, und zwar nicht nur in den Militärbezirken der Eroberungsphase, sondern auch in der Provinz Niedergermanien. Nach einer langen Periode, in der das Blei aus Germanien von Forschern gänzlich ignoriert wurde, erscheint durch die jüngsten Arbeiten eine Produktion im Sauerland unter Augustus sehr wahrscheinlich. Sie dauerte wohl nur sehr kurz, dürfte aber umfangreich gewesen sein. Der Export germanischen Bleis in den Mittelmeerraum ist gut belegt. Der Barren von Tongeren belegt zum ersten Mal kaiserliches Eigentum im frühen 1. Jahrhundert n. Chr. an den Minen der Nordeifel; bislang war lediglich eine spätere Produktion bekannt (z.B. durch die Marke der 16. Legion auf einem Bleigewicht aus Mechernich oder durch einen Barren aus St. Aldegund). Auch das unseres Erachtens toponymische Element reiht sich besonders gut in das Bündel von naturwissenschaftlichen und historischen Argumenten ein, die für eine Bleiproduktion in der Eifel in der römischen Epoche sprechen. Zeitenwende. Die Inschrift auf dem Bleibarren aus Tongeren belegt eindrucksvoll, dass die Abbaubezirke in der Nordeifel zur Zeit des Tiberius (14-37 n. Chr.) Teil des patrimonium principis waren. Als kaiserliche Minenbezirke dürften sie bereits mit der Aufnahme der Produktion unter Augustus eingerichtet worden sein. Über einen Zeitraum von wenigstens 230 Jahren wurde dort Blei in großen Mengen produziert, doch ist römische Produktion noch in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts nachgewiesen. In der Nordeifel existierten in römischer Zeit zwei bedeutende Abbaubezirke für Bleierze. Der eine umfasste den zentralen Bereich der Mechernicher Blei-Zink-Lagerstätte mit Schwerpunkt am Tanzberg bei Kall-Keldenich, der andere befand sich wenige Kilometer südlich von Stolberg (Kr. Aachen) im Raum Breinigerberg-Diepenlinchen-Gressenich. Hinweise für einen vorrömischen (“keltischen”) Bergbau fehlen. Vielmehr belegen ubische Münzen und ein sprunghaft erhöhter Bleigehalt in Sedimentablagerungen von EifelMaaren einen Beginn der Bleiproduktion in den letzten beiden Jahrzehnten vor der Um ein besseres Bild von der Bleiproduktion und –versorgung im gesamten römischen Reich und den Veränderungen in diesem Produktionssektor im Laufe der Zeit zu erhalten, werden seit 2009 sämtliche römische Bleibarren wissenschaftlich erfasst. Um das Informationspotential dieser Quellengattung ausschöpfen zu können, werden in interdisziplinärer Zusammenarbeit epigraphische, archäologische und naturwissenschaftliche Daten wie Bleiisotopenwerte und Spurenelementgehalte dokumentiert. Sie sollen in einem Corpus der römischen Bleibarren der Wissenschaft zugänglich gemacht werden. Der Artikel stellt weiter ein Provenienzstudie für eine besondere Gruppe frühkaiserzeitlicher römischer Bleibarren vor. Laut Inschirft stammen sie aus Germanien, wobei ein Bleibarrenfund aus Tongeren und drei aus dem französischen Mittelmeerraum im Vordergrund stehen. Mit Hilfe von Bleiisotopenvergleichen zwischen diesen plumbum Germanicum-Barren und weiteren römischen Bleibarren sowie römerzeitlichen Bleierzlagerstätten kann deutlich herausgestellt werden, dass die plumbum Germanicum-Barren nicht nur laut Inschrift, sondern auch aufgrund der geochemischen Signatur aus dem römisch besetzten Germanien stammen können. – 75 –